Welche freiwilligen Hilfen leisteten Liechtensteinerinnen im Ersten Weltkrieg? Die Antwort auf diese Frage ist nicht einfach, weil unbezahlte Arbeit von Frauen keine grosse Wertschätzung erhielt und darum unsichtbar blieb. Eine Spurensuche.
Meine Spurensuche beginnt mit selbstkritischen Fragen: Was beinhaltet Arbeit? Was gilt als Arbeit? Wer führt Arbeit durch? Und was geht überhaupt als Arbeit in die Geschichte ein? Meine Antwort auf diese Fragen lautete anfangs folgendermassen: Arbeit ist eine Tätigkeit, die ungefähr 42 Stunden in der Woche in einem Büro oder auf einer Baustelle, im Friseursalon oder einer Buchhandlung gegen eine Bezahlung geleistet wird. Dabei hätte ich auch geschätzt, dass Männer nach wie vor mehr arbeiten, da Frauen nach der Geburt ihrer Kinder oft zu Hause bleiben oder ihr Arbeitspensum reduzieren.
Tatsächlich ist dem aber nicht so. Laut Bundesamt für Statistik arbeiten Frauen pro Woche durchschnittlich 1.6 Stunden mehr als Männer in derselben Familiensituation. Entgegen meiner Annahme wird nämlich nicht nur bezahlte Arbeit in der Statistik aufgenommen. Das Bundesamt für Statistik erfasst seit 1997 sowohl bezahlte als auch unbezahlte, institutionalisierte als auch informelle Arbeitstätigkeiten. Dazu gehört nicht nur die Erwerbsarbeit, sondern auch Haus- und Familienarbeit, Freiwilligenarbeit in Vereinen sowie Hilfeleistungen für Bekannte und Verwandte. Die Aufnahme unbezahlter Arbeit in die Statistik, vor allem von Haus- und Familienarbeit, welche immer noch mehrheitlich Frauen bewältigen, hat die Sichtbarkeit und Wertschätzung dieser Tätigkeiten gefördert.1 Diese Erkenntnis leitet meine Suche an. Ich stelle nämlich fest, dass weibliche Freiwilligenarbeit vor 1997 nicht nur in den Statistiken fehlte, sondern auch in schriftlichen und visuellen Quellen schwer zu fassen ist. Das gilt auch für die weibliche Freiwilligenarbeit im Ersten Weltkrieg, für die ich mich interessiere. Da ich selbst Liechtensteinerin bin und mich für die Geschichte meiner Heimat interessiere, lege ich einen Schwerpunkt auf diese Region, was sich später als schwierige Entscheidung erweisen wird. Denn das weibliche Engagement ist in Liechtenstein noch weniger greifbar als in der benachbarten Schweiz.
Was beinhaltet Arbeit? Was gilt als Arbeit? Wer führt Arbeit durch?
Wenig Literatur, kaum Pressemitteilungen
Das hat zunächst mit der fehlenden Forschungsliteratur zu tun, die sich mit Freiwilligenarbeit im Ersten Weltkrieg beschäftigt. Nur die dreibändige Publikation von Rupert Quaderer-Vogt zur Geschichte Liechtensteins zwischen 1914 und 1926 setzt sich mit Hilfsaktionen von Frauen auseinander, und auch das nur auf einer einzigen Seite. Den wenigen weiblichen Hilfsaktionen vorausgegangen war laut Quaderer-Vogt die Initiative eines eigens gegründeten Männerkomitees, bestehend grösstenteils aus Politikern, das im August 1914 zum Spenden für das Rote Kreuz in Österreich aufforderte. Bei der Sammlung kam ein Betrag von 8081.41 Kronen zusammen – eine beachtliche Summe für ein so kleines Land.2
Als Reaktion auf diese Kampagne starteten einige Ehefrauen der Komiteemitglieder eine eigene Aktion. Sie sammelten ebenfalls Geld, um damit Stoffe zu kaufen.3 Wie ich später anhand eines Zeitungsartikels herausfinden werde, stellten die Frauen im Oktober 1914 damit Verbandstoff und Pulswärmer her. Zudem strickten sie Socken. Diese »Liebesgaben«, wie sie zu dieser Zeit genannt wurden, schickten sie anschliessend an das Rote Kreuz, das sie den Soldaten an der Front zustellte.4
Zudem finde ich in den Oberrheinischen Nachrichten vom 29. August 1914 einen Leserbrief, der einiges über die Hilfsbereitschaft der Liechtensteiner*innen für die Soldaten im Krieg aussagt. Der Autor oder die Autorin erwähnt eine Spende der Gemeinde Mels für das Rote Kreuz in der Höhe von 400 Franken. Anstatt das ganze gesammelte Geld an das Rote Kreuz zu übergeben, sei »ein Teil für die Gemeindearmen zurückbehalten« worden.5 Dies sei »eine verständige Massnahme«, da es auch in vielen liechtensteinischen Gemeinden arme Familien gebe, die wegen ihrer finanziellen Lage Schwierigkeiten hätten, ihre Kinder ausreichend zu ernähren.6 Deshalb wolle die Autor*in »die Frage aufwerfen, ob nicht auch bei uns von den gesammelten Geldern ein Teil für solche Zwecke zurückbehalten werden« könnten.7 Diese Bitte entspricht einer Aufforderung zur Selbsthilfe. Bei den gesammelten Geldern, so vermute ich, handelt es sich um die Spendenaktion des Männerkomitees vom August 1914.
In den späteren Kriegsjahren scheint sich die Freiwilligenarbeit der liechtensteinischen Frauen mehr und mehr auf die Selbsthilfe verlagert zu haben. Ich stosse im Liechtensteiner Volksblatt vom 30. November 1917 nämlich auf eine Publikation mit folgendem Wortlaut: »Die fürstl[iche]Regierung plant zu Anfang Dezember d[es] J[ahres] die Veranstaltung von Kursen für die Anfertigung von Hausschuhen aus Abfallstoffen.«8 Dieser achttägige Kurs, durchgeführt von zwei Wanderlehrerinnen aus Vorarlberg, hat am 1. Februar 1918 tatsächlich auch stattgefunden.9
Für die kommenden Kriegsjahre finde ich in der liechtensteinischen Presse jedoch keine Hinweise mehr auf weitere Spendenaktionen oder Freiwilligenarbeit. Ich vermute, dass es daran liegen könnte, dass mit dem Beginn des Krieges auch in Liechtenstein die Preise für Lebensmittel und Rohstoffe erheblich stiegen. Obwohl das Land nicht am Kampfgeschehen teilnahm, war es von den Wirtschaftssanktionen gegen Österreich-Ungarn betroffen (denn Liechtenstein befand sich seit 1852 in einem Zoll- und Steuervertrag mit Österreich-Ungarn).10 Zudem kam es zu einem Prozess der Geldentwertung, und die Arbeitslosigkeit stieg nach 1914 an. Grenz- und Ausfuhrsperren setzten dem Land wirtschaftlich und sozial zu. Je länger der Krieg dauerte, desto verheerender waren seine Folgen für die Bevölkerung.11
Und Archivquellen?
Um mehr über die Freiwilligkeit zu erfahren, wende ich mich direkt an das Landesarchiv in Vaduz. Dort gibt es aber erwartungsgemäss keinen konkreten Bestand zur weiblichen Freiwilligenarbeit im Ersten Weltkrieg. Ich wühle mich also durch die zahlreichen Akten des Landesarchivs, die unter den Stichworten »Krieg« und »Rotes Kreuz« zu finden sind.
Dabei stosse ich auf einen Quellenbestand zu österreichischen Ferienkindern in Liechtenstein. Um Kindern aus den Städten Vorarlbergs, die unter dem Krieg litten, eine Auszeit auf dem Land zu bieten, nahm Liechtenstein im Ersten Weltkrieg hundert Kinder für ein paar Wochen auf.12 Als ich die Akte öffne, erwarte ich, etwas zur Freiwilligenarbeit der Liechtensteinerinnen zu finden, da die Kinderbetreuung traditionell zu den weiblichen Zuständigkeitsbereichen gehörte.13 So stelle ich mir vor, wie die Kinder in den verschiedenen Gemeinden in bestehende Familien integriert und gemeinsam mit den eigenen Kindern von den Frauen betreut wurden. Da der Aufenthalt für die österreichischen Kinder in Liechtenstein unentgeltlich war, dürfte wohl freiwillige Arbeit geleistet worden sein. Tatsächlich finde ich aber keinerlei Hinweise darauf. In der Akte finden sich zwar Dokumente über die Ankunft der Kinder und deren Namen, die Betreuung wird hingegen nicht thematisiert.14 Gerade die Selbstverständlichkeit, dass Frauen Kinderbetreuung leisteten, könnte ein Grund für die lückenhafte Überlieferung darstellen. Ihre Hilfstätigkeiten waren wohl nicht erwähnenswert und gingen darum auch nicht in die Quellen ein.
In einer anderen Akte des Österreichischen Roten Kreuz aus dem Jahr 1914, in der vor allem die Spendenaktion des Männerkomitees dokumentiert ist, finde ich schliesslich einen kleinen Zettel, auf dem einzig ein Name steht: Hedwig Minst.15 Woher stammt der Zettel? Weshalb befindet er sich in dieser Akte? Wer ist diese Frau? Was hat sie mit dem männlichen Spendenaufruf zu tun, der sich sonst ebenfalls in der Akte befindet? Weitere Archivdokumente zum Namen gibt es keine. Doch im Liechtensteiner Volksblatt vom 21. November 1914 finde ich einen Hinweis zu Hedwig Minst. Laut einer Zeitungsnotiz hat sie 1914 mit einer Gruppe Frauen »Liebesgaben« – Socken, Pulswärmer und Mützen – für das Rote Kreuz in Österreich gestrickt. Den selbstgefertigten Spenden haben die Liechtensteinerinnen Verbandsmaterial und Tabak beigefügt.16
Ich lese weiter in der Liechtensteiner Presse, da ich immer noch hoffe, ergiebigere Hinweise zu finden. Wenn ich einen Verweis auf eine Organisation oder einen Verein finden würde, könnte ich weiterrecherchieren. Doch meine Suche schlägt fehl. Stattdessen fällt mir eine Zeitungsannonce in die Hände, in der das Rote Kreuz nach Krankenpflegerinnen in Österreich sucht. »Beim roten Kreuz wird eine sehr strenge Auswahl getroffen, da die Anforderungen im Krankenpflegedienst sehr hohe sind«, heisst es dort.17 Leider finde ich in den folgenden Pressemitteilungen jedoch keine Informationen, ob dieser Aufruf Anklang gefunden hat und wie viele junge Frauen sich als Krankenpflegerinnen meldeten.18
Aufgrund meiner Suchergebnisse versuche ich nun ein Zwischenfazit zu ziehen. Mithilfe von Archivquellen, Zeitungsberichten und der Forschungsliteratur konnte lediglich ein schemenhaftes Bild weiblicher Freiwilligenarbeit im Ersten Weltkrieg gezeichnet werden. Frauen setzten sich für österreichische Soldaten an der Front ein, indem sie diese mit »Liebesgaben« versorgten. Ob sie das freiwillig taten oder nicht, muss offen bleiben. Die von mir gefundenen Materialien schweigen sich darüber aus. Stattdessen stellen sich mir eine Reihe von Fragen. Könnte es sein, dass Frauen sich tatsächlich nur so spärlich freiwillig engagierten, wie es die (fehlenden) Quellen nahelegen? Oder haben es die Dokumente, wie etwa Tagebücher oder Briefe von engagierten Frauen, einfach nie ins Archiv geschafft? Welche anderen Gründe könnte es dafür geben? Ist es denkbar, dass die Geringschätzung von freiwilliger Arbeit die Verdienste der Frauen unsichtbar machte und deswegen keine Quellen ihr Engagement belegen? Welches Prestige genoss die Freiwilligenarbeit der Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts?
Unliebsames Engagement von Frauen in der Öffentlichkeit
Mit diesen Fragen im Kopf recherchiere ich weiter. Dabei stosse ich auf ein Gedicht, welches meine Vermutung bestätigt, dass die bürgerliche Gesellschaft Freiwilligenarbeit von Frauen und diese allgemein unsichtbar machte. Frauen wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht gerne in der Öffentlichkeit gesehen, vor allem dann nicht, wenn hinter ihrem sozialen Engagement ein politisches Interesse steckte. Dies wird in einem anonymen Gedicht im Volksblatt aus dem Jahr 1914 deutlich:
»Moderne Hauswirtschaft.
(Frei nach Sch[i]ller.)
Die Frau muss hinweg
Vom Kochtopf und Nadeln
Muss rauchen und radeln,
Muss lesen, studieren,
Und politisieren,
Muss mitreden immer,
Zu Haus bleiben nimmer.
Und drinnen waltet der züchtige Hausherr,
Der Vater der Kinder,
Und schaffet leise,
Im häuslichen Kreise,
und ehret die Mädchen,
Und prügelt die Knaben,
Steht unterm Pantoffel
Und schält die Kartoffel
Mit stillem Behagen,
Und hat nichts zu sagen.«19
Die damals üblichen Geschlechterrollen werden im Gedicht umgekehrt. Die häusliche Sphäre der Frau wird in die Öffentlichkeit gekehrt. Parodiert wird dabei die Forderung der Frau, sich nicht mehr nur im Haushalt zu betätigen, sondern auch männliche Aufgaben in der Öffentlichkeit zu übernehmen. Dazu gehört das politische Engagement und die Beteiligung in Vereinen. Die Parodie wird mit der Umkehr des Mannes in die häusliche, private Sphäre noch weiter ad absurdum getrieben. So übt der Mann völlig wehrlos und gefügig typisch weibliche Tätigkeiten aus wie Kinderbetreuung und Kochen. Besonders die Attribute »leise« und »still« offenbaren zudem die von der Gesellschaft erwartete politische Passivität der Frauen. Andererseits zeigt das Gedicht auch die männliche Furcht davor, was passieren könnte, wenn die Forderungen der Frau nach mehr Mitbestimmung und Freiheit erfüllt würden.
Das Gedicht verdeutlicht damit die Stellung der Frau in Liechtenstein zu Beginn des Krieges und die ablehnende Haltung der Gesellschaft gegenüber Frauen in der Öffentlichkeit. Das bestätigt eine zeitgenössische Publikation von Albert Schädler. Der Arzt, Politiker und Gründer des Historischen Vereins publizierte 1919 ein Werk zur Geschichte Liechtensteins, das eine Übersicht der Vereine auflistet, ohne jedoch einen einzigen Frauenverein zu nennen.20 Diese Nichterwähnung dokumentiert die aktive Ausgrenzung von Frauen aus der Öffentlichkeit.
Eine Bestätigung für meine Vermutung, dass die bürgerliche Geschlechterideologie etwas mit der kargen Quellenlage zu tun haben könnte, finde ich in einem Aufsatz von Christel Hilti-Kaufmann. Darin beschäftigt sie sich mit Frauenvereinen und Frauen in der Öffentlichkeit vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart.21 Das beginnende 20. Jahrhundert beschreibt sie als eine Zeit, in der in Liechtenstein weibliches Engagement in Form von Vereinstätigkeiten in der Öffentlichkeit kaum beachtet und noch weniger gewürdigt wurde. Damit zusammenhängen dürfte die eben beschriebene Furcht der Männer vor einem Austritt der Frauen aus der häuslichen und einem Eintritt in die öffentliche Sphäre – inklusive der damit einhergehenden Forderung nach politischer Partizipation. Christel Hilti-Kaufmann erwähnt in ihrer Publikation dennoch einige Frauenvereine, beispielsweise solche, die sich mit Kranken- und Wöchnerinnenpflege befassten oder diverse Theatervereinigungen. Zudem waren fast alle Frauen Mitglieder eines katholischen Vereins wie den Marianischen Jungfrauenkongregationen oder den verschiedenen Müttervereinen des Landes.
Soziales Engagement oder sittlich-religiöse Unterweisung?
Diesem Hinweis gehe ich weiter nach. Die Protokollbücher der Marianischen Jungfrauenkongregation befinden sich im Gemeindearchiv Schaan. Gemäss Christel Hilti-Kaufmann übernahm jeweils der Pfarrer oder Kaplan, auch Präses genannt, den Vorsitz des Vereins. Ziel der Organisation war die sittlich-religiöse Unterweisung lediger Frauen, die durch strenge Regeln beim Besuch der Gottesdienste, der Durchführung des täglichen Gebets und der monatlichen Versammlungen durchgesetzt wurde.22
In einem der beiden Protokollbücher aus der Jungfrauenkongregation von Schaan finde ich Einträge über die Aktivitäten des Vereins. Im April 1915 äussert sich ein Mädchen zu einer Predigt des Pfarrers. Dieser habe sie auf ihre weiblichen Pflichten im Krieg aufmerksam gemacht, nachdem er auf die Erbsünde verwiesen hätte. Wer aber nun erwartet, der Pfarrer hätte die Mädchen zu fleissigem Stricken von Socken aufgefordert, irrt sich. Stattdessen »erklärte […] Herr Präses die Frauenschuld u[nd] Frauensühne beim gegenwärtigen Weltkriege u[nd] nannte besonders 2 wirksame Mittel, die hl. Kommunion u[nd] das h[ei]l[ige] Messopfer. Er wünschte, dass wir die Generalkommunion für die im Felde stehenden Soldaten aufopfern sollen, was am Dreifaltigkeitsfeste geschah.«23
Die Autorin schreibt, der Pfarrer nenne zwei Mittel für die Frauen, um den Soldaten im Krieg zu helfen: Den Besuch der katholischen Messe und die Einnahme der geweihten Hostie. Es ist zu vermuten, dass der Pfarrer mit der »Frauenschuld«24 auf den Sündenfall von Eva verweist und den Frauen somit eine universelle Schuld an allem Übel und somit auch am Krieg zuschreibt. Er fordert jedoch, dass die nächste Generalkommunion – eine Messe an der alle Vereinsmitglieder anwesend sind – für die Soldaten im Krieg abgehalten werden soll. Die Gebete dieser Messe richten sich mit der Bitte an Gott, den Krieg sobald wie möglich zu beenden und möglicherweise sogar zugunsten der Mittelmächte zu entscheiden.25
Diese Haltung des Vorstands eines katholischen Frauenverbunds traf man nicht nur in Liechtenstein an. Auch der Katholische Frauenbund der Schweiz vertrat im Krieg diese Auffassung. Dort wollten die Frauen zwar mit Hilfsaktionen ihren Beitrag zur Landesverteidigung leisten, die Federführung übernahmen aber der männliche Volksverein und die lokalen Pfarrämter. Auch im Frauenbund der Schweiz herrschte die Meinung vor, das Engagement von Frauen und Kindern im Krieg habe sich auf das Beten zu beschränken.26 Insofern schränkte auch die katholische Kirche, die sich stark der bürgerlichen Geschlechterideologie verpflichtete und Frauen zum Verbleiben in der Sphäre des Haushalts anwies, das soziale Engagement von Frauen ein.
Fazit
Trotz anfänglicher Schwierigkeiten fand ich in Zeitungen und Archivbeständen einige Hinweise auf weibliche Freiwilligkeit im Ersten Weltkrieg in Liechtenstein. Diese scheinen im Hinblick auf den historischen Kontext umso bedeutsamer. Die fehlende gesellschaftliche Akzeptanz des öffentlichen Engagements von Frauen, so scheint es, korrespondierte mit einer lückenhaften Dokumentation und Überlieferung ihrer Tätigkeiten und Hilfsaktionen. Die karge Quellenlage überraschte mich. Da die Spendensammlung des Männerkomitees ausführlich erschlossen ist, hoffte ich, auch über die Aktionen von Frauen etwas herauszufinden. Gerne hätte ich ein Plädoyer für Frauen und deren soziales Engagement im patriarchal strukturierten Liechtenstein geschrieben. Stattdessen bleibt mir die Erkenntnis, dass genau diese gesellschaftliche Struktur die Freiwilligenarbeit der Frauen verhindert oder unsichtbar gemacht hat. Nicht zuletzt deshalb finde ich es wichtig, dass das Bundesamt für Statistik Freiwilligenarbeit in ihrer Statistik unter Arbeit erfasst. Dies nicht allein deshalb, weil zukünftigen Historiker*innen die Recherche zur Freiwilligenarbeit leichter fallen wird, sondern auch, weil es damit einen bedeutenden Beitrag zur gesellschaftlichen Wertschätzung für freiwillige Tätigkeiten leistet.
Chiara Jehle hat ein Bachelorstudium in Geschichte und Deutscher Sprach- und Literaturwissenschaft an der Universität Zürich abgeschlossen und führt dieses jetzt im Masterstudium fort.
Abb. 1: Rotes Kreuz, Empfangsbestätigung des österreichischen Roten Kreuzes über eine Spende, 15. September 1914, Liechtensteinisches Landesarchiv, Spendensammlung für das österreichische Rote Kreuz, RE 1914/2131.
Abb. 2: Walter Wachter, Gruppenbild eines Schuhmacherinnen-Kurses in Schaan, 01. Februar 1918, Liechtensteinisches Landesarchiv, SgAV 01 N 008/263.
Abb. 3: Unbekannt, Notizzettel mit dem Namen Hedwig Minst (1914), Liechtensteinisches Landesarchiv, Spendensammlung für das österreichische Rote Kreuz, RE 1914/2131.
Abb. 4: »Liebesgaben« (o.V.), in: Liechtensteiner Volksblatt (21. November 1914), S. 3.
Abb. 5: Walter Wachter, Jungfrauen-Verein bei einem Ausflug auf einem geschmückten Leiterwagen in Triesen (ca. 1920), Liechtensteinisches Landesarchiv, SgAV 01 N 048/82.
- 1
Bundesamt für Statistik: »Frauen leisteten 50% mehr Haus- und Familienarbeit als Männer im Jahr 2020 – aber Männer legen zu«, in: Bundesamt für Statistik, www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/aktuell/medienmitteilungen.assetdetail.17124476.html (2021).
- 2
Rupert Quaderer-Vogt: Bewegte Zeiten in Liechtenstein 1914 bis 1926, Bd. 1, Zürich: Chronos (2014), S. 127–128.
- 3
Rupert Quaderer-Vogt: Bewegte Zeiten in Liechtenstein 1914 bis 1926, Bd. 1, Zürich: Chronos (2014), S. 128.
- 4
»Neue Spenden zum roten Kreuz«, in: Liechtensteiner Volksblatt (31. Oktober 1914), S. 1.
- 5
»Balzers: (Eingesandt)«, in: Oberrheinische Nachrichten (29. August 1914), S. 2.
- 6
»Balzers: (Eingesandt)«, in: Oberrheinische Nachrichten (29. August 1914), S. 2.
- 7
»Balzers: (Eingesandt)«, in: Oberrheinische Nachrichten (29. August 1914), S. 2.
- 8
»Anfertigung von Hausschuhen«, in: Liechtensteiner Volksblatt (30. November 1917), S. 1.
- 9
Walter Wachter, Gruppenbild eines Schuhmacherinnen-Kurses in Schaan (01.02.1918), Liechtensteinisches Landesarchiv, SgAV 01 N 008/263.
- 10
Rupert Quaderer-Vogt: »Erster Weltkrieg«, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein, https://historisches-lexikon.li/Erster_Weltkrieg (2011).
- 11
Rupert Quaderer-Vogt: »Liechtenstein nach dem Ersten Weltkrieg«, in: Studia Historica Brunnensia 67/2 (2020), S. 63.
- 12
»Österreichische Kriegskinder – Ferienaufenthalt in Liechtenstein«, (o.V.), Liechtensteinisches Landesarchiv, RE 1917/3076.
- 13
Vgl. Karin Hausen: Geschlechtergeschichte als Gesellschaftsgeschichte, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (2012), S. 47–48.
- 14
»Österreichische Kriegskinder – Ferienaufenthalt in Liechtenstein«, (o.V.), Liechtensteinisches Landesarchiv, RE 1917/3076.
- 15
»Österreichisches Rotes Kreuz«, Liechtensteinisches Landesarchiv, RE 1914/2131.
- 16
Das Pfarramt: »Liebesgaben« (o.V.), in: Liechtensteiner Volksblatt (21. November 1914), S. 3.
- 17
»Anmeldungen nach Österreich« (o.V.), in: Liechtensteiner Volksblatt (15. August 1914), S. 1.
- 18
»Anmeldungen nach Österreich« (o.V.), in: Liechtensteiner Volksblatt (15. August 1914), S. 1.
- 19
»Moderne Hauswirtschaft: Frei nach Schiller« (o.V.), in: Liechtensteiner Volksblatt (11. Juli 1914), S. 5.
- 20
Christel Hilti-Kaufmann: »Öffentlichkeit – auch für Frauen? Die liechtensteinischen Frauenvereine und Frauenorganisationen«, in: Veronika Marxer, Christel Hilti-Kaufmann, Evelyne Bermann u.a. (Hg.): Inventur: Zur Situation der Frauen in Liechtenstein, Bern: eFeF-Verlag (1994), S. 146–147.
- 21
Christel Hilti-Kaufmann: »Öffentlichkeit – auch für Frauen? Die liechtensteinischen Frauenvereine und Frauenorganisationen«, in: Veronika Marxer, Christel Hilti-Kaufmann, Evelyne Bermann u.a. (Hg.): Inventur: Zur Situation der Frauen in Liechtenstein, Bern: eFeF-Verlag (1994).
- 22
Christel Hilti-Kaufmann: »Öffentlichkeit – auch für Frauen? Die liechtensteinischen Frauenvereine und Frauenorganisationen«, in: Veronika Marxer, Christel Hilti-Kaufmann, Evelyne Bermann u.a. (Hg.): Inventur: Zur Situation der Frauen in Liechtenstein, Bern: eFeF-Verlag (1994), S. 147.
- 23
Protokollbuch Marianische Jungfrauenkongregation 1905–1936, (o.V.), 25. April 1914, Gemeindearchiv Schaan, PA 7/1.
- 24
»Protokollbuch Marianische Jungfrauenkongregation 1905–1936«, (o.V.), 25. April 1914, Gemeindearchiv Schaan, PA 7/1.
- 25
»Protokollbuch Marianische Jungfrauenkongregation 1905–1936«, (o.V.), 25. April 1914, Gemeindearchiv Schaan, PA 7/1.
- 26
Beatrix Mesmer: Staatsbürgerinnen ohne Stimmrecht: Die Politik der schweizerischen Frauenverbände 1914-1971, Zürich: Chronos (2007), S. 28.