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Archive des Aktivismus: Schweizer Trotzkist*innen im Kalten Krieg
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Michiel van Gulpen

Die Hoffnung in die »Kolonialrevolution«

Die antikolonialen Kämpfe in vielen Teilen der Welt wurden von den Schweizer Trotzkist*innen intensiv mitverfolgt. In ihrer Zeitschrift interpretierten sie diese als treibende Kraft für die Weltrevolution. Damit wurden die Trotzkist*innen zum Bindeglied zwischen dem traditionellen kommunistischen Internationalismus und dem aufkommenden Tiersmondismus.

»Proletarier aller Länder, vereinigt euch!«1 – Der Aufruf aus dem Kommunistischen Manifest (1848) von Marx und Engels findet sich prominent platziert auf der Titelseite jeder Ausgabe der trotzkistischen Zeitschrift Das Arbeiterwort. Doch was bedeutete die Parole konkret für die Proletarische Aktion der Schweiz (PAS), die Herausgeberin dieser ungefähr monatlich erscheinenden Zeitung? Immerhin waren seit der Veröffentlichung des Kommunistischen Manifests über hundert Jahre vergangen, als die PAS in den 1950er Jahren das Arbeiterwort lancierte – und die Welt war in vielerlei Hinsicht nicht mehr dieselbe.

Für Marx und Engels bedeutete der proletarische Internationalismus in erster Linie die »vereinigte Aktion« des Proletariats in den »zivilisierten Ländern«, die das Zentrum des jungen Kapitalismus bildeten.2 Auch wenn Marx sich durchaus auch mit aussereuropäischen Kämpfen auseinandergesetzt hatte, blieben Allianzen mit aussereuropäischen Gruppierungen, abgesehen von Nordamerika, in dieser Periode der Arbeiter*innenbewegung »exotische« Ausnahmen.3 In der Welt der 1950er Jahre, in denen die PAS das Arbeiterwort lancierte, wurden aussereuropäische Kämpfe und Gruppierungen hingegen zu einem zentralen Referenzpunkt für gewisse Teile der revolutionären Linken. Im Zuge des Wirtschaftswunders fand eine relative Stabilisierung der westlichen kapitalistischen Gesellschaften statt, während im Kontext des Kalten Krieges der Antikommunismus erstarkte. Die Perspektive einer revolutionären Bewegung der Arbeiter*innen in den Zentren des kapitalistischen Weltsystems war in weite Ferne gerückt.

Gleichzeitig hatte der Zweite Weltkrieg in vielen aussereuropäischen Ländern eine katalysierende Wirkung auf die antikolonialen Kämpfe ausgeübt. In den 1950er Jahren verschärften sich dann in den kolonialen und postkolonialen Weltregionen soziale und wirtschaftliche Auseinandersetzungen wie auch nationale Befreiungskämpfe. Ereignisse wie die anti-imperialistischen Revolutionen von 1952 in Ägypten und Bolivien, der Sieg der Viêt Minh über Frankreich 1954, die Bandung-Konferenz der blockfreien Staaten 1955, die Verstaatlichung des Suezkanals, die kubanische Revolution und der algerische Unabhängigkeitskrieg waren Teil einer »Revolte gegen den Westen«.4 Im Zuge dieser Revolte zerfielen innert weniger Jahrzehnte die europäischen Imperien grösstenteils, die vor den Weltkriegen noch den grössten Teil der Erde umspannten.

Die Dekolonisation war kein Prozess, der sich nur zwischen den Kolonisierten und den Kolonisatoren abspielte, sondern war von der gegenseitigen Wahrnehmung und Beeinflussung sozialer und politischer Bewegungen aus verschiedenen Erdteilen geprägt. Ein wichtiges Element dieser Verflechtungsgeschichte waren die ideologischen und politischen Verbindungen zwischen den antikolonialen Widerstandsbewegungen und der Arbeiter*innenbewegung in den europäischen Ländern.5 Wenn das Arbeiterwort in den 1950er Jahren den proletarischen Internationalismus beschwört, so stellt sich die Frage, wie die neu entbrannten Emanzipationskämpfe in den (post-)kolonialen Staaten und die globalhistorischen Prozesse der Dekolonisation in ein marxistisch-internationalistisches Weltbild eingeordnet wurden. Wie beeinflussten die anti-kolonialen Kämpfe der Dekolonisation die politische Analyse der Schweizer Trotzkist*innen und ihren Blick auf die (post-)kolonialen Länder?

Abb. 1: Die Tradition des proletarischen Internationalismus bildete den Rahmen für die Auseinandersetzung der Schweizer Trotzkist*innen mit den antikolonialen Kämpfen im globalen Süden. Das bringt auch das Motto des Arbeiterworts zum Ausdruck: »Proletarier aller Länder, vereinigt euch!«

Sowohl in der politischen Erinnerungskultur der radikalen Linken als auch in der Geschichtsschreibung zu den Verflechtungen zwischen der Arbeiter*innenbewegung und den antikolonialen Kämpfen werden meistens zwei historische Momente ins Zentrum gerückt: einerseits der proletarische Internationalismus und Antiimperialismus der frühen Kommunistischen Internationale (Komintern) unter Lenin, andererseits die tiersmondistische Bewegung ab den späten 1960er Jahren. Die Kämpfe der nun als »Dritte Welt« oder »Trikont« bezeichneten Weltregionen wurden im Zuge des Tiersmondismus zu einem der zentralen Fokuspunkte der radikalen Linken.6

Der Tiersmondismus war geprägt von einer radikalen Dezentrierung Europas. Den europäischen Mächten wurde in diesem Kontext vorgeworfen, sie hätten durch koloniale und kapitalistische Expansion die Probleme des globalen Südens zu verantworten, könnten aber keine Lösungen dafür bieten.7 Das moralisch und politisch korrumpierte Europa wird in dieser ideengeschichtlichen Verschiebung »vom Subjekt zum Objekt der Geschichte«,8 während die »Dritte Welt« zum Ort der »Hoffnung auf Erneuerung und die Entwicklung einer politischen und gesellschaftlichen Alternative« wird.9 In der Forschung wird oft die Neuartigkeit des tiersmondistischen Fokus auf den globalen Süden betont. Dabei werden die Brüche und Diskontinuitäten hervorgehoben, die diese neuen Solidaritätsdiskurse und -bewegungen von den älteren Traditionen des proletarischen Internationalismus und des kommunistischen Antiimperialismus abgrenzen.10

Das Narrativ der Diskontinuität trifft allerdings nur bedingt zu, wie sich in der trotzkistischen Auseinandersetzung mit den antikolonialen Kämpfen zeigt. Schon Mitte der 1950er Jahre – also noch vor dem eigentlichen Aufkommen des Tiersmondismus – formierte sich, eng verbunden mit der Eskalation des Algerienkriegs, zunächst in Frankreich, und kurz darauf auch in anderen westlichen Industriestaaten, eine »neue radikale Linke«.11 Sie setzte sich aus neuen intellektuellen Strömungen in der Linken und älteren dissidenten Strömungen des Linkssozialismus, Anarchismus und des Trotzkismus zusammen.12 Diese neue radikale Linke formulierte scharfe Kritik an den Institutionen des offiziellen Kommunismus und der Sozialdemokratie, wobei ihr »wichtigstes Distinktionsmerkmal« ein »radikaler Antikolonialismus« war. Sie war an der »Entdeckung der Dritten Welt« im Westen, die sich in dieser Periode auch in bürgerlichen Entwicklungsdiskursen zu äussern begann, massgeblich beteiligt und hätte gleichzeitig ohne die Inspiration durch die antikolonialen Kämpfe nicht existiert.13

Die Schweizer Trotzkist*innen der PAS können als Pioniere dieser »neuen« linken Politik in der Schweiz betrachtet werden. In ihrer Auseinandersetzung mit den Widerstandsbewegungen im globalen Süden lässt sich eine gewisse Kontinuität zwischen dem »alten« linken Antiimperialismus der Komintern und dem neuen politischen Fokus auf die antikolonialen Bewegungen feststellen. Anhand der Berichterstattung im Arbeiterwort wird folgend die Auseinandersetzung der Schweizer Trotzkist*innen mit den antikolonialen Bewegungen während der 1950er Jahre im Hinblick auf diese ideengeschichtliche Kontinuität analysiert.

Abb. 2: In den Ende der 1960er Jahre aufkommenden tiersmondistischen Diskursen ersetzten die Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt das westliche Proletariat als das Subjekt revolutionären Wandels. In einer Wandzeitung in Zürich von 1968 wird dieses Prinzip humoristisch überspitzt, indem gefordert wird, dass die Vietcong den Umsturz der griechischen Militärjunta unter Stylianos Pattakos in die Hand nehmen sollen.

Das Arbeiterwort und sein Publikum

Das Arbeiterwort wurde von der PAS und dem Sozialistischen Arbeiterbund (SAB) ab 1952 mit Heinrich Buchbinder als verantwortlichem Redaktor monatlich herausgegeben.14 In ihrem Selbstverständnis verfocht die Zeitung »[…] im Gegensatz zur Sozialdemokratie und zur kremlhörigen PdA eine konsequente und saubere sozialistische Politik.«15 Die Quellenlage erlaubt keine genaue Nennung der Auflage. Klar ist, dass das Arbeiterwort kein Massenmedium war. Aus internen Korrespondenzen lässt sich schliessen, dass die Zeitung 1955 nicht mehr als achtzig Abonnent*innen zählte, auch wenn der tatsächliche Leser*innenkreis »wesentlich grösser« gewesen sein soll.16 Es ist wahrscheinlich, dass die Zeitung innerhalb der Organisationen ohne formelle Abonnemente zirkulierte. Dazu kommen Exemplare, die über den Strassenverkauf in Umlauf gebracht wurden, was wohl den Grossteil der Auflage ausgemacht haben dürfte. Darüber hinaus wurde das Arbeiterwort auch in trotzkistischen Zusammenhängen ausserhalb der Schweiz gelesen. So sendete die PAS nach eigenen Angaben schon 1952 monatlich zweihundert Exemplare des Arbeiterworts an ihr nahestehende Organisationen in Deutschland. Sogar in Dänemark wurde die Presse der PAS gelesen.17

Als Adressaten des Arbeiterworts kann aufgrund der kleinen Auflage kaum die schweizerische Arbeiterschaft als Ganzes angenommen werden. Der Grossteil der Arbeiter*innen, inklusive jener, die in der politischen Arbeiter*innenbewegung organisiert waren, wäre kaum empfänglich gewesen für die revolutionären Ideen der Trotzkist*innen – zu stark dominierte dort im Kontext der Hochkonjunktur der Nachkriegsjahre und des Antikommunismus eine »Politik des Klassenkompromisses und der nationalen Verständigung«.18 Das Arbeiterwort war wohl viel eher an drei spezifische Gruppen gerichtet. Erstens an die Mitglieder und Sympathisant*innen der PAS und des SAB selbst: Publizistische Organe sind als kontinuierliches Element von ideologischer Selbstkonstitution und interner Bildung für politische Organisationen von zentraler Bedeutung. Zweitens müssen auch trotzkistische Organisationen im deutschsprachigen Ausland als Adressaten mitgedacht werden. Drittens wurden Dissident*innen aus Sozialdemokratie, Gewerkschaften und der PdA sowie unabhängige Linke adressiert, für die die PAS oder der SAB eine Alternative zu Sozialdemokratie oder Stalinismus bieten konnte. Dies zeigt sich zum Beispiel im Arbeiterwort daran, dass die PAS Sozialdemokrat*innen des linken Flügels der SP eine Plattform für Kritik an der eigenen Partei bot, oder dass sich der SAB mit offenen Briefen an die PdA und ihre Mitglieder wandte.19

Die antikolonialen Bewegungen im Arbeiterwort

Berichterstattungen und Analysen zu den antikolonialen und sozialen Kämpfen in den (post-)kolonialen Ländern finden sich in den meisten Ausgaben des Arbeiterworts in den 1950er Jahren. Dies ist bemerkenswert, wenn man den gesellschaftlichen Kontext, in den die Trotzkist*innen mit der Publikation intervenierten, bedenkt. In der Schweizer Öffentlichkeit der 1950er Jahre wurden den Entwicklungen in den (post-)kolonialen Ländern allgemein wenig Beachtung geschenkt. Wenn dies doch einmal geschah, so wurde tendenziell hinter »[…] jedem Ereignis die lange Hand Moskaus oder Pekings vermutet […]«, was ein Verständnis für die Tragweite der Dekolonisierungsprozesse blockierte.20 Das Arbeiterwort jedoch solidarisierte sich bereits in seinen ersten Ausgaben mit der antiimperialistischen Bewegung und bekräftigte in der Berichterstattung zur bolivianischen Revolution von 1952 und der Suezkrise den Grundsatz, dass für die »[…] Überwindung der unerträglichen Lebensverhältnisse [in Ägypten] die Abschaffung der kolonialen Fremdherrschaft Voraussetzung ist«.21

Die Kontextualisierung der Situation in Ägypten und Bolivien, die im Arbeiterwort von Beginn weg vor dem Hintergrund des »Aufstand[s] der kolonialen Völker«22 betrachtet wurde, zeigt auf, dass die Schweizer Trotzkist*innen ein eher breites Verständnis von antikolonialen Kämpfen hatten. Es war nicht etwa auf die nationalen Unabhängigkeitsbestrebungen der Kolonien beschränkt, sondern schloss auch Widerstand gegen andere Formen der Abhängigkeit von den kapitalistischen Staaten Europas und der USA ein. Schliesslich waren weder Bolivien noch Ägypten zu jenem Zeitpunkt formell Kolonien. Auch wurde der Imperialismus nicht nur als koloniale Expansion im engeren Sinne begriffen, wie folgende Passage aus dem Arbeiterwort deutlich macht: »Der Aufstand der kolonialen Völker hat auf den Imperialismus, auf den unmittelbaren Machtbereich der Wallstreet übergegriffen.«23 Entsprechend der marxistischen Imperialismustheorie entsprach der Imperialismus für die Schweizer Trotzkist*innen einer Expansion des Kapitals, die – insbesondere durch das Finanzkapital vorangetrieben – nicht zwingend über koloniale Integration funktionierte.

Abb. 3: In den Rubriken »Jenseits des Eisernen Vorhangs« und »Diesseits des Eisernen Vorhangs« kritisierte das Arbeiterwort die Entwicklungen in den beiden Lagern des Kalten Krieges. In der letzteren werden immer wieder die Kolonialgreuel der europäischen Mächte und der US-Imperialismus angeprangert. Das Verhältnis des Westens zur »Dritten Welt« wird im Arbeiterwort stets als Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnis thematisiert.

In der wiederkehrenden Arbeiterwort-Rubrik »Zur Weltlage« dominierten zu Beginn der 1950er Jahre noch Nachrichten aus Europa, den USA und der Sowjetunion. Insbesondere die Befürchtung, die Krise der amerikanischen Wirtschaft und die massiven Investitionen in die Rüstungsindustrie könnten zu einem »heissen« Krieg führen, ist regelmässig zu beobachten.

Allerdings wurde die Intensivierung von antikolonialen Bewegungen durchaus registriert und das Erstarken des »Heer[s] von Kolonialsklaven, die an ihren Ketten rütteln« zu einem weltpolitischen Faktor antizipiert. Zusammen mit den »Heerscharen des Arbeitervolks [im Westen]« wird hier das Potential verortet, den scheinbar bevorstehenden Krieg zu verhindern.24 Die antikolonialen Bewegungen, die im Arbeiterwort oft in abstrakter Form als »die Kolonialrevolution« vereinheitlicht werden, tauchen also schon früh als eine historische Kraft auf, die »eigene Gesetzmässigkeiten und damit auch eine entsprechende ›Eigenwilligkeit‹ aufweist«, und nicht bloss »diplomatisches Schachergut« der Sowjetunion ist.25

Allerdings blieb die Auseinandersetzung mit der Dekolonisation und den antikolonialen Bewegungen als weltpolitischer Faktor in den Jahren 1952 und 1953 eher auf Nebensätze beschränkt. Dies änderte sich 1954 mit der Genfer Indochinakonferenz zu den Korea- und Indochinakriegen. Im Kontext der Berichterstattung zu dieser Konferenz, an der die USA, die Sowjetunion, China, die Kolonialmacht Frankreich und die Viêt Minh teilnahmen, erschien im Arbeiterwort eine Reihe von Artikeln, die die weltpolitische Wichtigkeit der antikolonialen Bewegungen in neuer Deutlichkeit unterstreichen, wie folgende Textstelle illustriert:

»Die Kolonialrevolution marschiert heute in zwei Kontinenten mit Kolonnen, die dreimal so zahlreich sind, wie die Bevölkerung der sie beherrschenden ›Mutterländer‹. Und die Bedeutung, die dieser Bewegung zukommt, erhellt (sic!) neuerdings aus der Tatsache, dass ihr Ausmass und ihre Tiefe eine Stabilisierung des Imperialismus im Weltmassstab unmöglich machen[...].«26

Die antikolonialen Bewegungen werden hier bereits als weltpolitische Kraft wahrgenommen, die die Stabilität der globalen Machtverhältnisse herausfordert. Die im Westen verbreitete Vorstellung, diese Bewegungen seien von Moskau aus gesteuert, wird negiert. Es wird festgehalten, dass »[…] die koloniale Befreiungsbewegung Asiens und Afrikas nicht wegen, sondern trotz dem Kreml im Gange« sei. In den antikolonialen Bewegungen sieht das Arbeiterwort sogar den Beweis dafür, dass die »Aufteilung der Welt […] in Interessensphären« nicht mehr die einzige weltpolitische Dynamik sei, sondern dass »die überwiegende Mehrheit der Menschheit, angetrieben durch ihre verzweifelte Lebenslage, aufgebrochen ist, sich eine andere Welt und eine andere Zukunft als jene der Ausbeutung, des Elends, der Krise und der Kriege zu erkämpfen«. Darin spiegelt sich die Hoffnung, dass die antikolonialen Bewegungen als eine neue, revolutionäre Dynamik in die rigide Blockkonstellation des Kalten Krieges intervenieren würden, indem sie »[…] die Befreiung des arbeitenden Menschen aller Rassen, Farben und Kontinente […] auf die Tagesordnung der Geschichte« stellen.27

Die afroasiatische Konferenz von Bandung 1955 stellte die Dekolonisation definitiv auf die »Tagesordnung der Geschichte«. Schon im Vorfeld der Konferenz beschrieb auch das Arbeiterwort die Zusammenkunft in Bandung als einen »gewaltigen Schritt vorwärts« für die Emanzipation der Kolonialvölker. Schon fast euphorisch wird proklamiert, dass die »[…] Stunde der europäischen Kolonialherrschaft [...] unwiderruflich geschlagen […]« habe.

Darüber hinaus wird den antikolonialen Kämpfen im Verbund mit dem westlichen Proletariat eine zentrale Bedeutung in der Weltrevolution zugesprochen:

»Am Tage, da sich die kämpfenden Arbeiter Westeuropas mit den kämpfenden farbigen Massen verbünden und sich über die reformistische und stalinistische Politik des Burgfriedens und der friedlichen Koexistenz der Klassen hinweg sozialistische Ziele stecken werden, an dem Tage wird auch die Stunde des Kapitalismus geschlagen haben.«28

Nach der Konferenz von Bandung hielt das Arbeiterwort zwar weiterhin daran fest, dass diese ein »revolutionäres Ereignis« gewesen sei, das den Eintritt der Völker Asiens und Afrikas in die Weltgeschichte markiere. Allerdings wird auch ernüchtert festgestellt, dass die Konferenz »keine Zusammenkunft revolutionärer Vertreter« der afrikanischen und asiatischen Länder gewesen sei. Im Gegenteil, die Konferenzteilnehmenden werden als »bürgerlich« und »halbfeudal« bezeichnet. Darüber hinaus wird heftig kritisiert, dass die revolutionären Freiheitsbewegungen Algeriens, Marokkos, Kenias und Mittel- und Südafrikas nicht eingeladen waren. Das Bild des durchwegs einheitlichen und revolutionären Charakters der »Kolonialrevolution« wird hier also getrübt.29 Die Konfrontation zwischen sichtbarer Realität der Politik der postkolonialen Staaten und der Projektion revolutionärer Perspektiven auf diese Staaten und die antikolonialen Bewegungen führt zu einer stärker differenzierenden Wahrnehmung von den verschiedenen Kräften innerhalb der antikolonialen Bewegungen.

Die antikolonialen Bewegungen werden hier bereits als weltpolitische Kraft wahrgenommen, die die Stabilität der globalen Machtverhältnisse herausfordert.

In den folgenden Jahren verorteten die Trotzkist*innen die revolutionäre Dynamik der antikolonialen Kämpfe vor allem im Maghreb, und zwar in erster Linie im algerischen Unabhängigkeitskampf. Das sozialrevolutionäre Potential dieses Konflikts sahen sie vor allem in der Tatsache, dass in Algerien so gut wie keine einheimische Bourgeoisie existierte. Darum gingen sie davon aus, dass die Revolution keine bürgerlich-nationalistische Form annehmen könne, sondern im Sinne der permanenten Revolution direkt und unter der Führung der Arbeiter*innen und der Landbevölkerung von der nationalen in die soziale Revolution übergehen müsse.30 Der Krieg in Algerien wird im Arbeiterwort stets als »Frontabschnitt[...] der Befreiungsbewegung der Kolonialvölker« konzeptualisiert, der den »Imperialismus an seinem schwächsten Glied, Frankreich« angreift.31 In der Analyse der Schweizer Trotzkist*innen schwächen die antikolonialen Kämpfe in Nordafrika nicht nur den französischen, sondern auch den globalen Imperialismus massgeblich.32

Stark betont wird immer wieder der Einfluss des Algerienkriegs auf die europäische Arbeiter*innenbewegung, in erster Linie die französische. Es wird von Meutereien und Desertionen französischer Soldaten berichtet, die sich an der Seite gegen den Krieg protestierender Arbeiter*innen tagelange Strassenschlachten mit der französischen Sicherheitspolizei liefern würden.33 Für die Trotzkist*innen sind dies »Symptome, die den Vorabend einer Revolution charakterisieren.« Gemäss ihrer Analyse hat der Algerienkrieg den französischen Kapitalismus in eine Krise gestürzt, welche »[…] die Unvereinbarkeit seiner Herrschaft mit den Lebensinteressen der französischen und nordafrikanischen Werktätigen in krassester Weise aufzeigen wird«. Im Zuge der Meutereien in der französischen Armee spekulierte das Arbeiterwort in der Novemberausgabe 1955 schon über die soziale Revolution in Frankreich als erster Schritt »[…] zu einem auf die Kolonialrevolution gestützten, sozialistischen Europa der Arbeiter und Bauernbewegung und zur Isolierung des kriegerischen USA-Imperialismus«.34

Die weiteren Entwicklungen in Algerien und in Frankreich mögen diese euphorische Einschätzung nicht bestätigt haben, dennoch hielt sich die Vorstellung, dass die antikolonialen Bewegungen einen entscheidenden Einfluss auf die globalen Entwicklungen, die Klassenkämpfe in den Metropolen und die globale revolutionäre Perspektive haben. In der Tat nahmen die antikolonialen Kämpfe im Arbeiterwort während der zweiten Hälfte der 1950er Jahre eine zentrale Rolle ein, wie die folgende Passage aus der Ausgabe vom Juni 1957 exemplarisch zeigt:

»Über Algier-Frankreich erschüttert die Koloniale Revolution sehr spürbar das Gefüge des europäischen Kapitalismus […]. Mit als Folge dieses Prozesses kristallisiert sich an all diesen Brennpunkten der weltpolitischen Umwälzung sichtlich eine immer wirkungsvollere und aktionsfähigere sozialistische Linke heraus, die es ablehnt, mit den am Kolonialismus hängenden Profiteuren der Kolonialherrschaft […] gegen das eigene Volk und gegen die farbigen Völker zu marschieren. Sie suchen überall den Weg freizulegen für einen engen Schulterschluss zwischen der sozialistischen Arbeiterschaft des Westens und den kolonialrevolutionären Massen Asiens und Afrikas. […] Heute noch nur ihre grosse Hoffnung, wird [sic!] morgen die Massen der Kolonien mit jenen der Metropole vereinen, um durch den gemeinsamen Kampf das kapitalistische System aus seinen Angeln zu heben. […]«35

Wenn man diese Passage aus der Rubrik »Zur Weltlage« mit dem Artikel derselben Rubrik in der Erstausgabe vom Januar 1952 vergleicht, in der noch angekündigt worden war, dass »die allernächsten Monate [...] im Verlaufe der sich ankündigenden sozialen Kämpfe insbesondere in Westeuropa, die Vorentscheidung bringen [werden] im Wettlauf zwischen Krieg und Revolution«,36 so wird eine Verschiebung der Perspektive deutlich. Während zu Beginn der 1950er Jahre ein klarer Fokus auf die Klassenkämpfe in Westeuropa festzustellen war, hatten die Ereignisse der Dekolonisation in Kombination mit dem Ungarn-Aufstand und anderen politischen Widerstandsbewegungen in der Sowjetunion ein Bild einer Weltrevolution mit drei sich gegenseitig verstärkenden Teilen gezeichnet: die antikolonialen Bewegungen der »Kolonialrevolution«, die »politische Revolution« im Sowjetstaat gegen die stalinistische Bürokratie sowie die »soziale Revolution« in den kapitalistischen Industrienationen, allen voran diejenige in Europa. Der wichtigste Ausgangspunkt, sozusagen die treibende Kraft der Weltrevolution, lag neu aber klar bei den antikolonialen Kämpfen und deren Wirkung auf die Klassenkämpfe in Europa.

Abb. 4: Der Algerienkrieg war ein Schlüsselmoment in der Verflechtungsgeschichte der radikalen Linken und der antikolonialen Bewegungen. Die Solidaritätsbewegung für den algerischen Widerstand in der europäischen Linken war die erste ihrer Art in der Nachkriegszeit. Sie stellte die antikolonialen Kämpfe in den Fokus linker internationalistischer Politik und nahm viele der Merkmale und Organisationsformen späterer Solidaritätsbewegungen mit der Dritten Welt vorweg. 1. Mai-Demonstrationszug über die Selnaubrücke in Zürich, 1960.

Allerdings muss eingeräumt werden, dass auch die Schwäche der revolutionären Arbeiter*innenbewegung in der Schweiz und in Europa einen grossen Teil zu dieser Umorientierung beigetragen haben dürfte. Dies zeigen die Autor*innen des Arbeiterworts indirekt selbst, wenn sie zuerst mit nostalgischem Pathos beklagen, dass die Losung der »Weltrevolution«, welche »einst Millionen von Arbeiterherzen zu heroischem Kampf entflammte«, in der Schweiz nunmehr »leer und ›veraltet‹« scheine, um daraufhin auf ihre Lebendigkeit in den antikolonialen Bewegungen zu verweisen:

»Doch der Schein trügt, niemand spricht mehr von der Weltrevolution, und doch ist sie da, sie spielt sich vor unseren Augen ab. Die ungeheure Bewegung der farbigen Völker [...] ist eine Phase der revolutionären Umgestaltung der Erde, die zum weltweiten Sieg des Sozialismus führen muss und wird [...].«37

Die starke Dynamik der Bewegungen in den (post-)kolonialen Gegenden bot den Trotzkist*innen die Möglichkeit, die Perspektive der Weltrevolution trotz der stagnierenden revolutionären Linken in der Schweiz und der eigenen Marginalisierung aufrecht zu erhalten. Durch diese Projektion wurden die (post-)kolonialen Weltregionen im Arbeiterwort gewissermassen als homogene Einheit und die verschiedenen antikolonialen Kämpfe als eine einzige weltpolitische revolutionäre Kraft dargestellt. Dadurch erfuhren die konkreten historischen Ereignisse, ihre Akteure und Schauplätze eine Abstraktion, welche sie in ein kohärentes Narrativ globalhistorischer Prozesse einpasste. Die Rhetorik, mit der die Bevölkerungen (post-)kolonialer Länder beschrieben werden, ist denn auch geprägt von der Bildsprache der anonymen, uniformen Masse, die geeint auf ein Ziel zumarschiert. Die Kolonialvölker treten als »Heer der Kolonialsklaven, das an seinen Ketten rüttelt«38 oder als »die kämpfenden farbigen Massen«39 in Erscheinung. Diese fiktive Homogenisierung der zahlreichen Befreiungskämpfe aus verschiedensten kolonialen Kontexten in eine globale und einheitliche »Kolonialrevolution« war typisch für das Bild der »Dritten Welt« in der neuen radikalen Linken der 1950er Jahre.40

Abb. 5: Die Projektion revolutionär-sozialistischer Hoffnungen auf die antikolonialen Bewegungen ermöglichte es den Trotzkist*innen, die Perspektive der Weltrevolution angesichts der Schwäche der revolutionären Arbeiter*innenbewegung im industrialisierten Westen aufrechtzuerhalten. Illustration der personifizierten Weltarbeitermacht, die nach der Erde greift, auf der Titelseite des Arbeiterworts.

Bruch oder Kontinuität?

Wie bereits beschrieben, hebt der grösste Teil der historischen Forschung die Diskontinuität zwischen dem kommunistischen Antiimperialismus der frühen Komintern und dem Tiersmondismus hervor. Im Schweizer Kontext könnte dies damit zu tun haben, dass die bisherige Forschung die trotzkistische Bewegung, die auf den ersten Blick eine eher marginale Erscheinung in der Schweizer Linken der 1950er Jahre war, weitgehend vernachlässigt hat.

Die obenstehenden Beobachtungen lassen jedoch den Schluss zu, dass die Positionen der Trotzkist*innen durchaus eine Kontinuität zwischen dem traditionellen proletarischen Internationalismus und dem Tiersmondismus darstellten.

Die Auseinandersetzung der Schweizer Trotzkist*innen mit der Dekolonisierung im Arbeiterwort deutet nämlich an, dass sie bereits in den 1950er Jahren einen durch die antikolonialen und antiimperialistischen Bewegungen angeregten und einen auf diese bezogenen Internationalismus vertraten. Dieser Internationalismus grenzte sich vom Internationalismus der kommunistischen Parteien ab, welchen sie in erster Linie als aussenpolitisches Instrument der Sowjetunion betrachteten.

Dennoch bezogen sich die Schweizer Trotzkist*innen sehr stark auf den proletarischen Internationalismus. Sie knüpften direkt an den Theorien von Marx, Lenin, Luxemburg und Trotzki an. Nicht nur das anfangs genannte Motto der Zeitung – »Proletarier aller Länder, vereinigt euch!« – stellt einen direkten Bezug zu Marx und damit zu den Ursprüngen des proletarischen Internationalismus her. Auch im Hinblick auf die Solidarität mit den antikolonialen Kämpfen greift das Arbeiterwort explizit auf Marx zurück: »Schon Marx hat darauf hingewiesen, dass die weissen Arbeiter nie wirklich frei sein können, solange sie zulassen, dass ihre farbigen Brüder in kolonialen Ketten gehalten werden.«41

Die Schweizer Trotzkist*innen beziehen sich im Arbeiterwort zudem explizit auf die Grundlagen der marxistischen Imperialismustheorie, die unter anderem von Lenin und Luxemburg gelegt wurden.42 Deren Analyse besagt, dass der Imperialismus für den Kapitalismus überlebensnotwendig geworden sei, weshalb die antikolonialen Kämpfe den Kapitalismus entscheidend schwächen würden und damit als natürliche Verbündete des internationalen Proletariats zu betrachten seien. Die Weltlage wird im Arbeiterwort entlang dieses analytischen Kernpunktes betrachtet. Das Recht auf Selbstbestimmung der unterdrückten Nationen wird denn auch, wie schon bei Lenin, bedingungslos unterstützt, selbst wenn diese Kämpfe von bürgerlichen Kräften geführt werden.43 Die internationale Solidarität wird als eine gemeinsame Interessenslage des Proletariats in den Ländern des Westens und den Völkern der (post-)kolonialen Länder begriffen, was eine Kontinuität des traditionellen proletarischen Internationalismus und des kommunistischen Antiimperialismus der frühen Komintern darstellt.

Ein weiteres wichtiges Element marxistischer Theorie, das den Analysen im Arbeiterwort zugrunde liegt, ist Trotzkis Konzept der permanenten Revolution. Dieses Konzept geht davon aus, dass in den Ländern, in denen sich der Kapitalismus noch nicht vollständig entwickelt hat und die Bourgeoise nicht stark genug ist, die ihr vom Marxismus zugeordnete Aufgabe der demokratischen Revolution und der nationalen Befreiung zu erfüllen, diese Aufgabe vom Proletariat und der Bauernschaft übernommen werden muss. Die Phase der politischen Emanzipation der Bourgeoise wird dabei übersprungen, und auf die demokratische Revolution und die nationale Befreiung folgt sogleich die Diktatur des Proletariats. Das herrschende Proletariat treibt dann die Entwicklung der Produktivkräfte und die Transformation zum Sozialismus, welche notwendigerweise ein internationaler Prozess sein müsse, voran.44

Diese Überlegungen sind die Grundlage für die Behauptung, die koloniale Revolution werde nicht auf der kapitalistischen Etappe stehen bleiben, da in den meisten postkolonialen Ländern nicht einmal eine schwache einheimische Bourgeoisie auszumachen sei.45 Das grosse sozialrevolutionäre Potential, das die Schweizer Trotzkist*innen in den antikolonialen Bewegungen erkannten, muss vor dem Hintergrund dieser theoretischen Überlegungen betrachtet werden.

Sowohl in ihrem Selbstverständnis als auch in Bezug auf die angewendeten Erklärungsmuster liegt die Beschäftigung des Arbeiterworts mit den antikolonialen Kämpfen also klar in einer ungebrochenen Kontinuität mit dem traditionellen proletarischen Internationalismus und dem Antiimperialismus der frühen Komintern. Nennenswerte neue theoretische Einflüsse, etwa von Intellektuellen oder Kämpfer*innen aus dem globalen Süden, wie sie für den späteren Tiersmondismus bezeichnend waren, lassen sich keine feststellen.

Trotz all dieser Kontinuitäten lässt sich eine Veränderung der Rolle feststellen, die den antikolonialen Kämpfen in den weltpolitischen Entwicklungen und globalen revolutionären Prozessen zugeschrieben wurde. So treten die antikolonialen Bewegungen nicht mehr als »Hilfstruppen« der proletarischen Revolution im Westen auf,46 sondern als die momentan wichtigste Dynamik der Weltrevolution, die auch auf die Klassenkämpfe und revolutionären Perspektiven im Westen entscheidenden Einfluss ausüben. Es kann in diesem Sinne durchaus von einer gewissen »Dezentrierung« des Westens gesprochen werden. Dabei wird aber nicht – wie später im Tiersmondismus – das westliche Proletariat als revolutionäres Subjekt von den antikolonialen Bewegungen abgelöst. Vielmehr wird eine organische, sich gegenseitig vorantreibende Verflechtung der antikolonialen Revolution in den (post-)kolonialen Ländern und der sozialen Revolution im Westen konstruiert. Die »Kolonialrevolution« wird dabei als die momentan stärkere Bewegung dargestellt, während gleichzeitig die »soziale Revolution« im Westen nach wie vor als die für den Sieg des Sozialismus unabdingbare Kraft gilt.

Eine weitere Verschiebung liegt in den Entwicklungen in der Sowjetunion seit der Oktoberrevolution und der weltpolitischen Situation des Kalten Krieges begründet, die zu Zeiten Lenins und Luxemburgs so kaum vorhersehbar waren. Die Bedeutung der antikolonialen Kämpfe beschränkte sich für die Schweizer Trotzkist*innen in den 1950er Jahren nicht mehr nur auf ihre Rolle im Kampf gegen Imperialismus und Kapitalismus. Vermehrt sahen die Trotzkist*innen in ihnen einen weltpolitischen Faktor, der einen positiven Einfluss auf die Weltlage hatte. Sie sprachen ihnen das Potential zu, die rigiden Dynamiken der Blockkonfrontation aufzulockern und eine neue revolutionäre Dynamik anzustossen, die sowohl die antistalinistischen Bewegungen im Osten, als auch die Klassenkämpfe im Westen stärken würden. Damit würden beide Konfliktpartner des Kalten Krieges geschwächt, die Kriegsgefahr relativiert und neue Perspektiven progressiver Veränderungen eröffnet.

Dies waren jedoch keine grundlegenden Abweichungen von den traditionellen marxistischen Deutungsmustern, vielmehr scheint es, als seien die verschiedenen Elemente des proletarischen Internationalismus und der marxistischen Imperialismustheorie einfach an die neue Weltlage angepasst worden. Allerdings finden mit der Anpassung dieser ideengeschichtlichen Felder an den Kontext der Dekolonisation und des Kalten Krieges einzelne Verschiebungen in Richtung einer graduellen Dezentrierung des Westens statt, die gewisse ideengeschichtliche Brüche im linken Internationalismus ankündigen, welche sich aber erst mit dem Tiersmondismus der 1960er Jahre stärker ausprägen sollten.47 Gewissermassen kann die trotzkistische Bewegung in der Schweiz also als ein Element der Kontinuität des linken Internationalismus angesehen werden, über welches der traditionelle proletarische Internationalismus in die Diskurse des Tiersmondismus einfloss.

Die PAS sollte das Aufkommen des Tiersmondismus nicht mehr erleben. Die Existenz der Organisation lässt sich durch die Quellen nur bis 1962 belegen.48 Auch das Arbeiterwort selbst, das vom SAB noch bis 1969 herausgegeben wurde, konnte sich nicht bis zum Höhepunkt der Dritte-Welt-Bewegung halten. Es war eine neue Generation von Aktivist*innen, geprägt von 1968, die den Fokus auf die antikolonialen Bewegungen und die Solidarität mit den Kämpfen im globalen Süden zu einem der Hauptthemen einer breiten linken Bewegung machte. Mit der Revolutionären Marxistischen Liga (RML) war – zumindest zeitweise – auch eine neue Generation von trotzkistischen Aktivist*innen an diesen Entwicklungen beteiligt.49

Michiel van Gulpen studiert Geschichte und Englisch im Master an der Universität Zürich.

Gewissermassen kann die trotzkistische Bewegung in der Schweiz als ein Element der Kontinuität des linken Internationalismus angesehen werden, über welches der traditionelle proletarische Internationalismus in die Diskurse des Tiersmondismus einfloss.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Titelseite, in: Das Arbeiterwort Jg. 10 (Mai 1954), Schweizerisches Sozialarchiv (SozArch), S. 1.

Abb. 2: Wandzeitung in Zürich, September 1968, SozArch, F 5093-Zd-227.

Abb. 3: Rubriken »Diesseits des Eisernen Vorhangs« und »Jenseits des Eisernen Vorhangs«, in: Das Arbeiterwort Jg. 9 (Mai 1953), SozArch, S. 2 (Ausschnitt).

Abb. 4: Berndt B., 1. Mai-Umzug in Zürich: Marschierende mit Banner »Freiheit und Unabhängigkeit für Algerien«, 1960, SozArch, F 5047-Fb-066.

Abb. 5: Abbildung »Nur die Weltarbeitermacht kann den Frieden sichern«, in: Das Arbeiterwort Jg. 10 (Mai 1954), SozArch, S. 1 (Ausschnitt).

Literatur
  1. 1

    Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Berlin: Dietz Verlag (1959), Band 4, S. 459–493, hier S. 493.

  2. 2

    Ebd., S. 479.

  3. 3

    Vgl. Reinhardt Kössler: »Von der Sozialen Revolution zur nationalen Befreiung«, in: Wladislaw Hedeler, Mario Kessler, Gert Schäfer (Hg.): Ausblicke auf das vergangene Jahrhundert: Die Politik der internationalen Arbeiterbewegung von 1900 bis 2000, Hamburg: VSA Verlag (1996), S. 324–337; zu Marx' Auseinandersetzung mit der aussereuropäischen Welt vgl. Kevin B. Anderson: Marx at the Margins: On Nationalism, Ethnicity, and non-Western Societies, Chicago: Chicago University Press (2010).

  4. 4

    Vgl. Geoffrey Barraclough: »The Revolt Against the West«, in: Duara Prasenjit (Hg.): Decolonization: Perspectives from Now and Then, London: Psychology Press (2003), S.118–130.

  5. 5

    Siehe beispielsweise Christoph Kalter: »›Le monde va de l’avant. Et vous êtes en marge‹: Dekolonisierung, Dezentrierung des Westens und die Entdeckung der Dritten Welt in der radikalen Linken in Frankreich in den 1960er Jahren«, in: Anja Kruke (Hg.): Dekolonisation: Prozesse und Verflechtungen 1945–1990, Bonn: J.H.W. Dietz (2009), S. 99–132.

  6. 6

    Vgl. ebd.

  7. 7

    Vgl. René Holenstein: Was kümmert uns die Dritte Welt, Zürich: Chronos (1998), S. 44f.

  8. 8

    Jean-Paul Sartre: »Vorwort«, in: Frantz Fanon: Die Verdammten dieser Erde, zitiert nach: René Holenstein: Was kümmert uns die Dritte Welt, Zürich: Chronos (1998), S. 45.

  9. 9

    Monica Kalt: Tiersmondismus in der Schweiz der 1960er und 1970er Jahre, Bern: Peter Lang (2010), S. 145.

  10. 10

    Vgl. Christoph Kalter: »›Le monde va de l’avant. Et vous êtes en marge‹: Dekolonisierung, Dezentrierung des Westens und die Entdeckung der Dritten Welt in der radikalen Linken in Frankreich in den 1960er Jahren«, in: Anja Kruke (Hg.): Dekolonisation: Prozesse und Verflechtungen 1945–1990, Bonn: J.H.W. Dietz (2009), S. 105; Monica Kalt: Tiersmondismus in der Schweiz der 1960er und 1970er Jahre, Bern: Peter Lang (2010), S. 207.

  11. 11

    Vgl. René Holenstein: Was kümmert uns die Dritte Welt, Zürich: Chronos (1998), S. 44.

  12. 12

    Vgl. Christoph Kalter: »›Le monde va de l’avant. Et vous êtes en marge‹: Dekolonisierung, Dezentrierung des Westens und Entdeckung der Dritten Welt in der radikalen Linken in Frankreich in den 1960er Jahren«, in: Anja Kruke (Hg.): Dekolonisation: Prozesse und Verflechtungen 1945–1990, Bonn: J.H.W. Dietz (2009), S. 104.

  13. 13

    Vgl. Christoph Kalter: Die Entdeckung der Dritten Welt: Dekolonisierung und neue radikale Linke in Frankreich, Frankfurt am Main: Campus Verlag (2011), S. 9.

  14. 14

    Vgl. »Von der PA zum Arbeiterwort« in: Das Arbeiterwort Jg. 7 (Januar 1952), S. 3.

  15. 15

    Ebd.

  16. 16

    Brief von Walter Imhof, 24.02.1955, Schweizerisches Sozialarchiv (SozArch), Marxistische Aktion der Schweiz (MAS) / Proletarische Aktion der Schweiz (PAS), Ar. 453.10.10.

  17. 17

    Vgl. Brief der PA, 11.03.1952, SozArch, Marxistische Aktion der Schweiz (MAS) / Proletarische Aktion der Schweiz (PAS), Ar. 453.10.10. Siehe auch: Brief von I.A.E. Altwein aus Bremerhaven an die PA, 05.02.1952, SozArch, Marxistische Aktion der Schweiz (MAS) / Proletarische Aktion der Schweiz (PAS), Ar. 453.10.10; Brief von der Gruppe „Internationale Kommunisten in Dänemark”, Kopenhagen, 11.02.1948, SozArch, Marxistische Aktion der Schweiz (MAS) / Proletarische Aktion der Schweiz (PAS), Ar. 453.10.9. Bei der dänischen Korrespondenz geht es allerdings noch nicht um Das Arbeiterwort, sondern um die Vorgängerzeitung Proletarische Aktion.

  18. 18

    Monica Kalt: Tiersmondismus in der Schweiz der 1960er und 1970er Jahre, Bern: Peter Lang (2010), S. 227.

  19. 19

    Vgl. zum Beispiel: »Offener Brief an die Partei der Arbeit und ihre Mitglieder«, in: Das Arbeiterwort Jg. 12 (Mai 1956), S. 4.

  20. 20

    René Holenstein: Was kümmert uns die Dritte Welt, Zürich: Chronos (1998), S. 29.

  21. 21

    »Ägypten in Bewegung«, in: Das Arbeiterwort Jg. 7 (Januar 1952), S. 3.

  22. 22

    »Aus dem proletarischen Lager«, in: Das Arbeiterwort Jg. 8 (Juli 1952), S. 3.

  23. 23

    »Siegreiche Revolution in Bolivien«, in: Das Arbeiterwort Jg. 8 (Juli 1952), S. 3.

  24. 24

    »Zur Weltlage«, in: Das Arbeiterwort Jg. 9 (Mai 1953), S. 4.

  25. 25

    »Zur Weltlage«, in: Das Arbeiterwort Jg. 8 (April 1953), S. 2.

  26. 26

    »Zur Genfer Asienkonferenz«, in: Das Arbeiterwort Jg. 10 (Mai 1954), S. 2.

  27. 27

    Ebd.

  28. 28

    »Zur Weltlage«, in: Das Arbeiterwort Jg. 10 (Februar 1955), S. 2.

  29. 29

    Vgl. »Am Rande vermerkt«, in: Das Arbeiterwort Jg. 10 (Mai 1955), S. 1.

  30. 30

    Vgl. »Zur Weltlage«, in: Das Arbeiterwort Jg. 12 (April 1956), S. 2.

  31. 31

    »Zur Weltlage«, in: Das Arbeiterwort Jg. 11 (September/Oktober 1955), S. 2.

  32. 32

    Vgl. ebd.

  33. 33

    Vgl. »Klassenkampf gegen den Krieg«, in: Das Arbeiterwort Jg. 11 (November 1955), S. 2.

  34. 34

    »Zur Weltlage«, in: Das Arbeiterwort Jg. 11 (November 1955), S. 2.

  35. 35

    »Zur Weltlage«, in: Das Arbeiterwort Jg. 13 (Juni 1957), S. 2.

  36. 36

    »Zur Weltlage«, in: Das Arbeiterwort Jg. 7 (Januar 1952), S. 2.

  37. 37

    »Zur Weltlage«, in: Das Arbeiterwort Jg. 11 (April 1956), S. 2.

  38. 38

    »Zur Weltlage«, in: Das Arbeiterwort Jg. 8 (Mai 1952), S. 2.

  39. 39

    »Zur Weltlage«, in: Das Arbeiterwort Jg. 10 (Februar 1955), S. 2.

  40. 40

    Vgl. Christoph Kalter: »›Le monde va de l’avant. Et vous êtes en marge‹: Dekolonisierung, Dezentrierung des Westens und Entdeckung der Dritten Welt in der radikalen Linken in Frankreich in den 1960er Jahren«, in: Anja Kruke (Hg.): Dekolonisation: Prozesse und Verflechtungen 1945–1990, Bonn: J.H.W. Dietz (2009), S. 119.

  41. 41

    »Zur Weltlage«, in: Das Arbeiterwort Jg. 14 (August 1958), S. 2.

  42. 42

    Vgl. »Marxismus und Arbeiterpartei«, in: Das Arbeiterwort Jg. 9 (Mai 1953), S. 2.

  43. 43

    Vgl. »Zur Weltlage«, in: Das Arbeiterwort Jg. 13 (Februar 1958), S. 2.

  44. 44

    Vgl. Daniel Bensaïd: Was ist Trotzkismus?: Ein Essay, Köln: ISP (2004), S. 17.

  45. 45

    »Zur Weltlage«, in: Das Arbeiterwort Jg. 11 (April 1956), S. 2.

  46. 46

    Reinhardt Kössler: »Von der Sozialen Revolution zur nationalen Befreiung«, in: Wladislaw Hedeler, Mario Kessler, Gert Schäfer (Hg.): Ausblicke auf das vergangene Jahrhundert: Die Politik der internationalen Arbeiterbewegung von 1900 bis 2000, Hamburg: VSA (1996), S. 324–337, hier S. 324.

  47. 47

    Kalter sieht die Trotzkist*innen als eine jener Gruppen, die diese neue antikoloniale Linke geprägt haben. Vgl. Christoph Kalter: »›Le monde va de l’avant. Et vous êtes en marge‹: Dekolonisierung, Dezentrierung des Westens und Entdeckung der Dritten Welt in der radikalen Linken in Frankreich in den 1960er Jahren«, in: Anja Kruke (Hg.): Dekolonisation: Prozesse und Verflechtungen 1945–1990, Bonn: J.H.W. Dietz (2009), S. 104; die Rolle der Trotzkist*innen (wenn auch eher als Einzelpersonen denn als Organisationen) in der Schweizer Algerien-Solidarität wird von Holenstein hervorgehoben. Vgl. René Holenstein: Was kümmert uns die Dritte Welt, Zürich: Chronos (1998), S. 44f., 53, 63–65; dass die Trotzkist*innen auch in der französischen Algerien-Solidarität eine wichtige Rolle spielten, lässt sich zum Beispiel aus Stutjes Biographie von Ernest Mandel herauslesen. Vgl. Jan Willem Stutje: Rebell zwischen Traum und Tat: Ernest Mandel (1923–1995), Hamburg: VSA (2009), S. 196–198.

  48. 48

    SozArch, Marxistische Aktion der Schweiz (MAS) / Proletarische Aktion der Schweiz (PAS).

  49. 49

    Frank Nitzsche: Aus dem Schatten in die Reichweite der Kameras: Die Entwicklung trotzkistischer Organisationen in Deutschland, Österreich und der Schweiz unter besonderer Berücksichtigung des Einflusses der neuen Sozialen Bewegungen, Siegen: Hochschulschrift (2006), S. 128.