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Flughafen Kloten: Anatomie eines komplizierten Ortes
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Nicole Graf

Das Wissen der Pensionierten

Das Bildarchiv der Swissair ist ein bedeutendes Stück der Schweizer Luftfahrt- und Kulturgeschichte. Die Leiterin des Bildarchivs der ETH Bibliothek berichtet, wie ihr Team bei der Erschliessung eine besondere Form von »Schwarmintelligenz« entdeckte.

Ein Überbleibsel aus Swissair-Zeiten sollte für unser Crowdsourcing-Projekt entscheidend werden: Die Pensionierten-Vereinigung SWISSAIR (PVSR), in der die ehemaligen Swissair-Mitarbeiter*innen seit 1973 organisiert sind. In der PVSR gibt es wöchentliche Aktivitäten, rege Ausflugstätigkeit und eigene Zeitschriften.1 Jedes Jahr am dritten Samstag im Oktober findet der sogenannte Pensioniertentag statt, an dem auch ich teilnahm. Über sechshundert ehemalige Mitarbeiter*innen treffen sich im grossen Saal des Hotels Mövenpick in Regensdorf zu Apéro und anschliessendem Mittagessen. Der Vereinspräsident nimmt Ehrungen von Jubilar*innen vor und berichtet über das vergangene Jahr. Zwischen Vorspeise und Hauptgang durfte ich unser Crowdsourcing-Projekt bewerben und die Anwesenden für die Mitarbeit beim Beschriften der Bilder motivieren. Danach meldeten sich viele Pensionär*innen persönlich bei mir. Sie erzählten mir Anekdoten aus ihrem meist ereignisreichen Berufsleben oder stellten mir Fragen zum Fotoarchiv und dem Crowdsourcing.

Die Übernahme eines grossen Fotoarchivs

Für die ETH-Bibliothek bot sich 2009 die einmalige Gelegenheit, das Fotoarchiv der Swissair von der Stiftung Luftbild Schweiz zu übernehmen, um es dauerhaft zu sichern und öffentlich zugänglich zu machen. Den Grundstein für dieses Fotoarchiv hatte der Schweizer Flugpionier, Fotograf und spätere Swissair-Mitgründer Walter Mittelholzer mit seinen ab 1918 aufgenommenen Luftbildern gelegt.

Diese auf den Verkauf von Einzelabzügen und Postkarten ausgerichtete Luftbildfotografie wurde bis 2011 durch die Stiftung Luftbild Schweiz fortgeführt. Daneben entstand, primär als Produkt einer regen firmeneigenen Marketingtätigkeit, das Fotoarchiv der Swissair und ihrer Vorläufergesellschaften. Die Marketingabteilung der Swissair dokumentierte ab Mitte der dreissiger Jahre bis kurz vor dem Swissair-Grounding im Oktober 2001 die technische und personelle Entwicklung der Firma, den Arbeitsalltag ihrer Mitarbeitenden und auch die fotografische Inszenierung der Swissair als nationales Symbol. Die Swissair beschäftigte eigene Fotograf*innen und arbeitete mit Werbeagenturen sowie freischaffenden Fotograf*innen, wie etwa mit den weltweit bekannten Schweizer Fotografen Georg Gerster oder Emil Schulthess. Diese stellten Bildmaterial für Werbung, Publikationen wie Bordmagazine, Personalzeitungen oder Geschäftsberichte und auch ganz einfach zum Andenken her.

Abb. 1: Notlandung der Douglas DC-2 115-B, HB-ITI in Dübendorf im Jahr 1936.

Die Qualität dieser Bilder ist herausragend, wenn nicht sogar stilbildend in der konsequenten Reduktion auf wenige wesentliche Botschaften. In den technischen Abteilungen der Swissair fotografierten Angestellte technische oder betriebliche Details zur Dokumentation und internen Schulung. Hier war die fotografische Qualität weniger wichtig.2

Beide Bestände, die Luftbilder und die Firmenbilder, verdanken ihren Erhalt der im Jahr 1997 gegründeten Stiftung Luftbild Schweiz. In ihrem Gründungsjahr übernahm die Stiftung die Luftbilddokumentation von der damaligen Swissair Photo + Vermessungen AG, einer vom Swissair-Konzern abgestossenen Tochtergesellschaft. Nach dem Grounding der Swissair rettete sie auch das Firmen-Fotoarchiv der Swissair. Insgesamt standen somit 355 000 erhaltenswerte Bilder in ihrer Obhut. Angesichts dieser Masse suchte die Stiftung einen institutionellen Partner für die langfristige Sicherung der Bildbestände. Sie fand ihn schliesslich in der ETH-Bibliothek.

Das Swissairarchiv war seit der Gründung des Bildarchivs der ETH-Bibliothek, als wir auf einen Schlag die rund eine Million Bilder der ehemaligen Pressebildagentur Comet Photo AG übernommen hatten, der grösste Neuzuwachs. Dies war für alle Mitarbeitenden des Bildarchivs eine grosse Herausforderung. Allein schon die Logisitik bei der physischen Übernahme der 100 000 Luftbilder lässt die Dimensionen erahnen: Zwei Teilbestände mussten zuerst aus der geographischen Ordnung, die für die Nutzung vor Ort sinnvoll gewesen war, nach den bereits vorhandenen Laufnummern umsortiert werden, was eine für die Archivierung und Digitalisierung sinnvolle Ordnung darstellt.

Für diese Arbeit hatten wir im Magazin eine Strecke mit nummerierten, am Boden verteilten Behältern eingerichtet, so dass unsere studentischen Hilfskräfte über mehrere Tage die Bilder von grob nach fein sortieren konnten, und dabei viel hin und her gelaufen sind.

Abb. 2: Lounge in der First Class einer Douglas DC-8-53 der Swissair, sechziger Jahre.

Die Übernahme der Fotografien in das Bildarchiv wurde über einen Zeitraum von drei Jahren von Herbst 2009 bis zum Frühjahr 2012 abgewickelt. Die Aufarbeitung des Fotoarchivs erfolgte dank Drittmittelfinanzierung unmittelbar nach Beginn der Bestandesübernahme im Herbst 2009 und dauerte bis Ende 2013. Über diese Zeitspanne verteilt arbeiteten insgesamt 22 temporäre studentische Hilfskräfte und drei Festangestellte mit. Sie leisteten insgesamt 26 100 Stunden, das entspricht dreizehn Vollzeitjahren.

Die Vorarbeiten im Archiv

Die archivarische Aufarbeitung umfasste mehrere Arbeitsschritte. Der erste Arbeitsschritt war die Inventarisierung der Einzelbilder mit dem Ziel, den Gesamtbestand zu verzeichnen und zu quantifizieren. Im Swissair-Firmenarchiv wurden dreizehn Teilbestände identifiziert, die sich aus unterschiedlichen Bildformaten, Bildträgern wie Glasplatten oder Kunststofffilmen und inhaltlichen Bezügen wie etwa Reisedestinationen oder Betriebsdokumentationen ergeben haben. Jeder Teilbestand wurde für sich bearbeitet und jedes Bild wurde einzeln inventarisiert. Studentische Arbeitskräfte verzeichneten die vorhandenen Metadaten in einer Excelliste, säuberten wenn nötig die Bildträger, verpackten die Bilder in archivgerechte Behältnisse und signierten sie nach einem vorgegebenen Schema. Der Umfang des Gesamtbestandes wurde bei der Übernahme auf 262 000 Bilder geschätzt und musste nach Abschluss der Inventarisierung auf 355 000 hochkorrigiert werden. Unter anderem deshalb, weil die Inventarisierung neue Teilbestände zum Vorschein gebracht hatte.

Zunächst musste entschieden werden, ob ein Teilbestand digitalisiert wird, und wenn ja, ob komplett oder nur auszugsweise. Für die Digitalisierung wurden während des Inventarisierens die Einzelbilder nach vorgegebenen Kriterien bewertet. Es sollten jeweils die aussagekräftigsten und formal gelungensten Bilder aus einer Serie beziehungsweise Reportage ausgewählt werden. Wenn pro Motiv je ein Quer- und ein Hochformat vorhanden waren, wurden beide digitalisiert. Durch dieses Auswahlprinzip konnte gewährleistet werden, dass jedes Motiv in der Bilddatenbank repräsentiert und somit für die Benutzenden auffindbar ist.

Das Phänomen anwachsender Bestände lässt sich heute ganz allgemein beobachten. Je einfacher und verfügbarer die Technik und je billiger das Filmmaterial, desto mehr Bilder werden gemacht: eine Entwicklung, die durch die digitale Fotografie und neuerdings auch durch die Handyfotografie nochmals beschleunigt wird.

Im Anschluss an die Inventarisierung haben wiederum studentische Hilfskräfte die ausgewählten Bilder im bibliothekseigenen DigiCenter digitalisiert. Die Einzelbilder wurden in der Regel mit 300 dpi auf A3 gescannt und im Tiff-Format abgespeichert. Bei den Swissair-Luftbildern wurde gar auf A2 gescannt, damit Benutzende möglichst viele Details aus den Bildern herauslesen können. Die von der Hasselblad-Kamera ausgegebene RAW-Datei wurde nicht archiviert. Die Tiff-Dateien wurden gegebenenfalls invertiert und (möglichst minimal) in Adobe Photoshop bearbeitet – meist wurden Kontrast, Helligkeit und Farbe nachbearbeitet. Am meisten Bearbeitung war bei den Farbnegativ- und Farbdiapositiv-Filmen aus den sechziger und siebziger Jahren mit ersten Farbveränderungen im Original nötig. Das angestrebte Gesamtprojektsoll von 70 000 digitalisierten Bildern wurde mit 150 000 Bildern bei weitem übertroffen. Von den 220 000 Fotografien im Swissair-Firmenarchiv wurden rund 40 000 Bilder digitalisiert. Die durch Walter Mittelholzer sowie die Swissair produzierten Luftbilder wurden komplett digitalisiert.

Abb. 3: Cold-Meal der Economy-Class der Swissair, ca. 1980: erkennbar z.B. aufgrund der typischen Semmel.

Abb. 4: Pensionierten-Tag der Swissair im Bogenhangar am Flughafen Zürich-Kloten, Juni 1998.

Das Einbinden der Freiwilligen

Das Firmenfotoarchiv hatte während der Swissair-Zeiten einen nicht immer einwandfreien Ruf genossen. Nutzer*innen des Archivs monierten, dass die Titelangaben bisweilen sehr knapp, lückenhaft oder gar fehlerhaft waren. Noch bevor das erste von 220 000 Bildern des Swissair-Fotoarchivs an die ETH-Bibliothek transferiert worden war, kam im Frühsommer 2009 eine kleine Gruppe ehemaliger Swissair-Angestellter zu einem ersten Gespräch in das Bildarchiv der ETH-Bibliothek. Sie wollten uns bei der korrekten Beschriftung der Bilder helfen, waren sehr engagiert und äusserst motiviert, ihr Wissen an uns weiterzugeben, solange dies noch möglich war. Hilfe von ausserhalb bei der Erschliessung ist in Archiven keine Neuheit. Neu ist hingegen, dass im Zeitalter von Internet und Web 2.0 andere Kooperations- und Arbeitsformen mit interessierten Laien möglich sind.

Das Vorgehen nennt sich Crowdsourcing, das auf dem Wissen bzw. der »Weisheit der Vielen« aufbaut.3 Im kulturellen Sektor der Gedächtnisinstitutionen hält diese neue Form der Generierung von Wissen ebenfalls Einzug. Wichtige Crowdsourcing-Projekte aus dem Bibliothek- und Archivbereich sind beispielsweise das Kommentieren von Bildern auf Flickr Commons, ein durch die Library of Congress initiiertes Projekt für Bildarchive;4 die Georeferenzierung von alten Kartenmaterialien mittels Georeferencer an der British Library und der ETH-Bibliothek;5 oder die Text-Korrekturen beim Australian Newspapers Digitisation Program der National Library of Australia.6

Der erste Teilbestand (LBS_SR01) des Fotoarchivs wurde im Herbst 2009 übernommen und umgehend digitalisiert. Die Freiwilligenarbeit startete im Dezember 2009 und dauerte bis Dezember 2013. Die eingangs erwähnte Pensionierten-Vereinigung diente hierzu als Türöffner, um an die Swissair-Oldies und ihr verteiltes Wissen zu kommen. Inspiriert durch das Projekt der Library of Congress auf Flickr Commons7 wurden jeden Donnerstag zweihundert, später bei ausgiebigeren Reportagen 350 Bilder, in einem eigenen Datumsordner für die Swissair-Pensionär*innen auf unserer Bilddatenbank E-Pics Bildarchiv Online8 online gestellt. Jeder Ordner blieb insgesamt acht Wochen sichtbar. Die Freiwilligen konnten sich mit einem generischen Passwort direkt in jenen Teil der Bilddatenbank einloggen, in dem die zu bearbeitenden Bilder mittels Live-Filtering online gestellt waren. Auf der Datenbank wurden die vorhandenen Metadaten (Titel, Autor, Datierung) nur angezeigt, sie konnten von den Pensionär*innen nicht überschrieben werden. Im eigens für die Crowd eingerichteten Feld »Notizen« konnten die Freiwilligen zusätzliche Informationen ohne strukturelle Vorgaben eintragen und mit dem persönlichen Kürzel kennzeichnen. Dadurch war gewährleistet, dass bei Unklarheiten oder mehreren, sich widersprechenden Kommentaren die Verfasser*innen in der Adressliste identifiziert werden konnten. Die Freiwilligen nahmen Datierungen vor, identifizierten Orte, Personen und einzelne Gebäude, den genauen Flugzeugtyp inklusive Matrikelnummer, oder sie beschrieben Routen von Erstflügen oder andere wichtige Ereignisse der Swissair-Firmengeschichte.

Abb. 5: Revision eines DC-3 Motors in der Motorenwerkstatt Dübendorf. ca. 1937–1948.

»Wenn es Schilliger nicht weiss, dann wird es schwierig.«

Insgesamt verbesserten die Freiwilligen in den vier Jahren die Metadaten von rund 40 000 Bildern. Die Mitarbeitenden des Bildarchivs haben in der Folge die unterschiedlichen Informationen verifiziert und redigiert. Die Ergänzungen wurden mit den vorhandenen Metadaten abgeglichen, beziehungsweise auf die adäquaten Metadatenfelder verteilt (Titel, Beschreibung, Datum usw.) und auf inhaltliche Konsistenz sowie Orthographie kontrolliert. Die Originalnotizen der Freiwilligen wurden unverändert in der Datenbank belassen, die Originaltitel und Originalbeschreibungen der Bilder sind in den Inventarlisten nachvollziehbar. Schliesslich wurden die Bilder durch die Mitarbeitenden des Bildarchivs beschlagwortet.

Eindrückliche Informationsverbesserungen werden in zwei Bildbeispielen mit Vorher-Nachher-Titeln dokumentiert. So war ein Bild lediglich mit der lapidaren Information »Werkstatt« überliefert (siehe Abbildung 5). Nach der Bearbeitung konnte der Titel folgendermassen ergänzt werden: »Revision eines DC-3 Motors in der Motorenwerkstatt Dübendorf, Einbau der Kurbelwelle mit Gegengewicht in den Mittelteil des Kurbelgehäuses. Pratt & Whitney R-1830 Twin Wasp, 1937–1948«. Die Pensionär*innen scheuten oft keinen zusätzlichen Aufwand. Der Pensionär, der die Stewardess auf Abbildung 6 identifizierte, kontaktierte sie zusätzlich, um die Hintergrundinformationen zu ihrer Person zu verifizieren.

Eine weitere wichtige Quelle waren Swissair-Publikationen oder spezifische Aviatik-Literatur, welche die ehemaligen Angestellten für die Verifikation der Bildinformationen hinzuzogen. Andere Freiwillige wiederum verliessen sich auf ihr eigenes Erinnerungsvermögen. Vier Swissair-Pensionäre und ihre Vorgehensweisen wurden in der Tagespresse porträtiert.9

Unsere Swissair-Crowd bestand aus 140 interessierten Personen, mit einem Frauenanteil von knapp zwanzig Prozent. Auffällig war, dass sich meist nur Männer meldeten. Die Frauen blieben lange stumm. Erst als wir 2012 unseren neuesten Bildwelten-Band »Swissair Souvenirs« am Pensioniertentag feilboten, kam gegen Schluss der Veranstaltung eine Stewardess und blätterte in der Monographie. Erfreut über die vielen Bilder aus ihrer Berufszeit rief sie weitere ehemalige Flight-Attendants an den Bücherverkaufstisch. Das war das erste Mal, dass ich eine weibliche Sicht auf die Geschichte der Swissair-Stewardessen zu hören bekam: Bei der Bildbeschreibung arbeiteten zwar durchschnittlich vierzig Personen mit, davon waren aber nur sieben Prozent Frauen.

Abb. 6: Ursula Reimann, »Hostess« der Swissair, in den siebziger Jahren.

Die Männer dominierten. Ein halbes Dutzend beteiligte sich intensiv und regelmässig. Zwei Pensionäre wurden intern sogar zu »Erschliessungskönigen« erkoren; der eine für die historischen Bilder, der andere für die moderne Firmenchronik.10 Der Ältere der beiden, Richard Schilliger, Flugkapitän a. D., war besonders geduldig mit den Mitarbeitenden des Bildarchivs. Wenn wir etwas nicht wussten, dann fragten wir ihn. Der Leitspruch der Swissair-Pensionär*innen war: »Wenn es Schilliger nicht weiss, dann wird es schwierig«.11 Alle Teilnehmenden zeichneten sich durch spezifisches Fachwissen und ihre intrinsische Motivation aus, möglichst grosse Teile der erlebten Geschichte in die Bildbeschreibungen einfliessen zu lassen. Ein weiterer Vorteil von Crowdsourcing ist, dass sich die Teilnehmenden gegenseitig korrigieren oder präzisieren können. In der Gruppe befanden sich langjährige Piloten und Chefpiloten, Flight-Attendants, Techniker und administrative Mitarbeitende, so dass nicht nur eine grosse thematische Breite abgedeckt werden konnte, sondern sich das Wissen auch über mehrere Dekaden erstreckte. Die Pensionär*innen waren zwischen sechzig und fünfundachtzig Jahre alt.

Tatsächlich lieferte unsere Crowdsourcing-Community eine Menge an Fakten- und Kontextwissen. Auch wäre ohne deren engagierte Mithilfe viel heute noch bestehendes Wissen verloren gegangen, zumal es sich oft um Wissen handelt, das nicht ohne Weiteres in den zahlreichen Publikationen zugänglich ist. Ein vergleichbares Detailwissen hätten sich die sechs Mitarbeitenden des Bildarchvis mittels intensivem Literatur- und Quellenstudium nicht innerhalb kurzer Zeit aneignen können. Mit dem Anwachsen der Menge an digitalisierten und durch Metadaten ergänzten Bildern wuchs wiederum das Fachwissen im Bildarchiv.

Dieser Wissenstransfer hat uns sehr überrascht. Besonders augenfällig wird dies beim Schlagwortbaum in der Bilddatenbank. Das Bildarchiv arbeitet mit einem selber entwickelten Schlagwortbaum, der auf die jeweiligen Bestände zugeschnitten ist. Das Haupt-Schlagwort »Luftverkehr« konnte von ursprünglich zehn auf 684 Schlagwörter verfeinert werden. Es wurden neue Begriffe wie die Matrikelnummern jedes einzelnen Swissair-Flugzeuges unter »Flugzeuge nach Herstellern« (z. B. »Boeing 747-357, HB-IGD Basel«), Arbeitsprozesse von der »Betankung« bis zu »Zuschauer + Besucher«, Flugzeugbestandteile von den »Bestuhlungen« bis zu »Tragflächen« eingeführt und über hundert Fluggesellschaften in den Bildern identifiziert.

Zu Projektbeginn wurde allerdings der Aufwand für die Betreuung der ehemaligen Swissair-Angestellten durch das Bildarchiv unterschätzt. So wurden für die Betreuung und den Wissenstransfer im ersten Projektjahr circa 0.2 Vollzeitstellen eingesetzt. Rund 0.1 Vollzeitstellen gingen an das Aufbereiten und Hochladen der Bilder und den technischen Support der Freiwilligen. Die Titelredaktion nahm weitere zwanzig Stellenprozente in Anspruch. Für die inhaltliche Erschliessung des Bestandes wurde eine sechzig Prozent-Stelle während drei Jahren eingesetzt.

Abb. 7: Besucherinnen und die Douglas DC-2 115-B, HB-ITE in Dübendorf, 1940–1948.

Aus Perspektive der zukünftigen Benutzenden gibt das tradierte Wissen der Swissair-Pensionär*innen dem ›komplizierten Ort‹ Kloten eine historische Tiefe, die andernfalls verloren gegangen wäre. Denn wer würde heute beispielsweise noch wissen, dass das Flughafengebäude in Dübendorf lange Zeit »Aufnahmegebäude« genannt wurde?

Nicole Graf leitet das Bildarchiv der ETH-Bibliothek.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Unbekannt, Notlandung der Douglas DC-2 115-B, HB-ITI in Dübendorf, 28.02.1936, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR02-10783.

Abb. 2: Unbekannt, Lounge in der First Class einer Douglas DC-8-53 der Swissair, 1960–1980, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR03-21287.

Abb. 3: Unbekannt, Cold-Meal der Economy-Class der Swissair, ca. 1980, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR04-035584.

Abb. 4: Unbekannt, Pensionierten-Tag der Swissair im Bogenhangar am Flughafen Zürich-Kloten, 17.06.1998, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR05-098009-33.

Abb. 5: Unbekannt, Revision eines DC-3 Motors in der Motorenwerkstatt Dübendorf, 1937–1948, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR01-04616.

Abb. 6: Unbekannt, Hostess der Swissair, Ursula Reimann, 1960–1970, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR03-09620-02.

Abb. 7: Unbekannt, Besucherinnen und die Douglas DC-2 115-B, HB-ITE in Dübendorf, 1940–1948, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR01-02658.

Literatur
  1. 1

    Pensionierten-Vereinigung Swissair: https://pvsr.ch/ (3.2.2018).

  2. 2

    Ruedi Weidmann: »Swissair Souvenirs« Zürich: Scheidegger + Spiess (2012) [= Michael Gasser, Nicole Graf (Hg.): Bilderwelten. Fotografien aus dem Bildarchiv der ETH-Bibliothek, Bd. 2].

  3. 3

    So der Titel der deutschen Übersetzung von: James Surowiecki: The Wisdom of Crowds, London: Little, Brown (2004).

  4. 4

    Innerhalb von Flickr gibt es die Flickr Commons, ein Zusammenschluss von öffentlichen Bildarchiven. Das Commons-Projekt wurde am 16.1.2008 als Pilotprojekt zusammen mit der Library of Congress (LoC) gestartet, siehe Flickr: »Die Commons«, in: https://www.flickr.com/commons.

  5. 5

    British Library’s Georeferencer Project von 2012, http://www.bl.uk/maps/georefabout.html und das Projekt der ETH-Bibliothek von 2017, http://www.library.ethz.ch/Ressourcen/Geodaten-Karten/Crowdsourcing-Projekt.

  6. 6

    Rose Holley: »Crowdsourcing: How and Why Should Libraries Do It?«, in: D-Lib Magazine 16/3–4 (2010), doi:10.1045/march2010-holley.

  7. 7

    Jason Vaughan: »Insights into the Commons on Flickr«, in: Portal: Libraries and the Academy 10/2 (2010), S. 185–214, http://digitalscholarship.unlv.edu/lib_articles/123.

  8. 8

    ETH Zürich e-pics: http://ba.e-pics.ethz.ch.

  9. 9

    Nicola Brusa: »Der Geist der guten alten Swissair: Swissair-Bildarchiv«, in: Tagesanzeiger, 30.12.2010, S. 14–15.

  10. 10

    Ähnliche Erfahrungen hat auch die Library of Congress gemacht, von den vielen Kommentatoren konnten sie mit der Zeit eine Kerngruppe von 20 Personen identifizieren, diese »history detectives« ergänzten die Bilder regelmässig mit historisch relevanten Informationen: Springer Michelle et al.: For the Common Good: the Library of Congress Flickr Pilot Project. Final Report, Washington DC: Library of Congress (2008), S. 25, http://www.loc.gov/rr/print/flickr_report_final.pdf.

  11. 11

    Richard Schilliger verstarb im März 2017, ein Nekrolog auf dem Blog Crowdsourcing der ETH-Bibliothek würdigt seinen Projektbeitrag: https://blogs.ethz.ch/crowdsourcing/2017/03/10/richard-schilliger-memorian/.