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Flughafen Kloten: Anatomie eines komplizierten Ortes
1
Annina Haller

Drehscheibe des Konsums

Schon früh entwickelte sich der Flughafen Zürich-Kloten zu einem Ort des Luxus und Konsums. Ein Ursprung der heutigen Airport-Shoppingwelten liegt einige Kilometer vom Terminal entfernt: im Kaufhaus Globus in der Bahnhofstrasse.

Zürich-Kloten, 1957. Eine Frau mit hellen blonden Haaren steigt aus einem Flugzeug. Sie trägt eine weisse Bluse, einen Rock mit Fischgrätenmuster und einen eleganten Mantel mit schwarzem Kragen. Mit ihren Händen drückt sie einen kleinen, weissen Hund eng an ihren Körper. Hals und Ohren zieren eine goldene Kette und Ohrringe, sie lächelt in die Kamera. Ihr Gesicht ist sorgfältig geschminkt, die Lippen leuchten rot. Schützend hält ein Mann im Anzug einen grossen, roten Schirm über die Frau: Es handelt sich um die Schauspielerin Jayne Mansfield, die den Flughafen Zürich im Jahr 1957 mit ihrem Besuch beehrte.

Die Ankunft von illustren Menschen wie Mansfield, den Beatles oder dem israelischen Ministerpräsidenten Ben Gurion wurde in jenen Jahren ausführlich dokumentiert. Die Offizielle Zeitschrift des Interkontinentalen Flughafens Zürich-Kloten, die 1962 erstmals erschien – Kurztitel: Zürich – richtete zu diesem Zweck sogar eine eigene Rubrik ein: die Doppelseite »Drehscheibe der Welt«. Kloten wurde darin als Flughafen von Welt präsentiert und Zürich – die Stippvisiten der Stars, Staatsmänner und exotischer Gäste bezeugten dies – als ebensolche Stadt.

Abb. 1: Filmstar Jayne Mansfield kommt im Jahr 1957 in Zürich-Kloten an.

Die Zürich, die von der Baudirektion und dem Verkehrsverein des Kantons vierteljährlich herausgegeben wurde, betitelte sich selbst als »Werbeschrift«. Als »Bindeglied zwischen dem Flughafen und seinen in- und ausländischen Benützern gedacht«, verfolgte sie zweierlei Ziele: einerseits die Flugreisenden zum »Wirtschafts- und Touristenzentrum Zürich« zu dirigieren, und anderseits »das Interesse und das Verständnis für die Bedürfnisse des Flughafens« wachzuhalten. Es ging also darum, zur »weiteren gedeihlichen Entwicklung« des Flughafens beizutragen.1

Der Begriff der »Drehscheibe« suggeriert Zirkulation. Da Zürichs Gäste aus aller Welt nun in der Regel am Flughafen Kloten ankamen, wurden sie – so deutet dies auch das erste Editorial der Zürich im September 1962 an – Teil dieser Drehscheibe. Sie waren hier, um zu zirkulieren. Der Flughafen in Kloten war dabei nicht nur Verkehrsknotenpunkt, er war auch eine Art Bühne, auf der die internationalen Gäste auftauchten. Ihr mondäner Glanz strahlte auf den Flughafen ab; in Zeitschriftenrubriken wie der »Drehscheibe« fungierten sie gleichsam als Werbeträger*innen für die bestimmte Art des Konsums, den auch Mansfield mit ihrem edlen Mantel, den Ohrringen und der Kosmetik vor Augen führte. Welches Bild von Konsument*innen aber wurde hier genau erzeugt? Wie spiegelte sich dieser Konsum am Flughafen wider? Und wie wirkte dieser Konsum auf die Stadt Zürich – eine Stadt, die just zur selben Zeit begann, ihre mondäne und glamouröse Seite hervorzukehren?

Eine erste Antwort gibt die Flughafenzeitschrift selbst, wo auch all jene Orte angepriesen wurden, zu denen die wohlhabenden Konsument*innen nach Verlassen ihres Flugzeugs aufbrechen sollten: Luxushotels wie das Dolder Grand, Theatervorführungen von Peter Ustinov im Schauspielhaus, klassische Konzerte in der Tonhalle, spezielle Sonder-Veranstaltungen wie der »Dahlienschau« oder einem »italienische[n] Opern-Festival«.2 Vor allem aber war da die Bahnhofstrasse, wo die Leser*innen von Zürich Schuhe von Bally, veredeltes Briefpapier von Goessler, Kristallgeschirr von Rosenthal oder Modeschmuck, Seidenkrawatte und Abendkleid von Grieder erwarteten. Und ein Ort stach dort, gewissermassen als Pendant zur »Drehscheibe Kloten«, besonders hervor (schon des Namens wegen): der Globus.

Abb. 2: Die Zürcher »Drehscheibe der Welt« im Frühjahr 1967 – mit Sophia Loren, Orson Welles, S.E. Kardinal Antonio Samorè, einem »Indianer vom Stamm der Cherokees«, Kaiserin Farah Diba, Sängerin Sasi Naz mit ihrem Gepard Salina und der Schah von Persien .

Zürich Bahnhofstrasse

Zürich Bahnhofstrasse, 1967. Tischset, Unterteller, Suppenteller. Messer, Gabel, Löffel. Weinglas, Wasserglas, Stoffserviette. Duftendes Blumengesteck und atmosphärische Beleuchtung. Im Globus war alles so hergerichtet, wie es im eigenen, zeitgemäss-mondänen Esszimmer bei einem festlichen Anlass ebenfalls aussehen sollte. Nur dass hier kein Essen serviert, sondern Waren verkauft wurden – aus aller Welt.

Der Name ›Globus‹ war dabei Programm: Damit einher ging eine Verkaufstaktik, die das Neue, das Exotische und das Exklusive in den Vordergrund stellte. Der avantgardistische Aufbau der Verkaufsflächen sowie die Einführung modernster Infrastrukturen – Rolltreppen – sorgten ihrerseits dafür, dass der stete Fluss der Konsument*innen in Bewegung blieb: wie heute auf einem Flughafen. Im Entwurf der mobilen, weltgewandten Konsument*in spielte das Kaufhaus in den Nachkriegsjahrzehnten so tatsächlich eine Art Hauptrolle. Wie das?

Mit Kriegsende 1945 und dem wirtschaftlichen Wachstum der Folgejahre nahm auch in der Schweiz der »Hunger nach Luxus«3 zu. Eine von der Zürcher Gesellschaft für Marktforschung durchgeführte Umfrage über den Lebensstandard und die Konsumgewohnheiten in der Schweiz kam bereits im Jahr 1950 zu dem Ergebnis, dass allgemein ein »grosser Wohlstand«4 wahrnehmbar sei. Genau dieser Wohlstand spielte zwar der Konsumgüterindustrie wiederum in die Karten; zur Absatzförderung – die Grundbedürfnisse waren ja vorerst gedeckt – wurde aber insbesondere der Werbung zunehmende Bedeutung zugemessen. Verstärkt wurden nun Verführungstechniken auch im Einzelhandel eingesetzt.5 Erlaubt war auf Seiten des Verkaufs fast alles. Einen gesetzlich verankerten Konsumentenschutz gab es in dieser »Phase der Entfaltung der modernen Konsumgesellschaft« nicht.6 Einen ersten erfolgreichen Schritt machte der Globus im Jahr 1946, als er die begehrten amerikanischen Nylonstrümpfe von DuPont zum Kauf anbot. Der Chemiekonzern DuPont hatte den Nylonstrumpf erst wenige Jahre zuvor in den USA auf den Markt gebracht,7 und die Nachfrage nach dem neuen ›sündhaft teuren‹ Produkt aus Übersee war in Zürich gross.

Nicht nur der Globus, die gesamte Bahnhofstrasse verwandelte sich seit den fünfziger Jahren so in einen luxuriösen Ort des Konsums. Sie war bald auch eher Freizeitort als Ort des bedarfsgetriebenen Konsums. Hier fand die »modebewusste Schaufensterbummlerin« ihr »Dorado«, wie es im Flughafenmagazin hiess.8 Am sichtbarsten wurde dies in den Schaufenstern: »Ausgefeilte Dekorationskünste dienen der modischen Aktualität; in modernen, lichterfüllten Vitrinen werden Farbsymphonien komponiert, Modelle bald in mondänen, bald in spielerisch amüsanten Rahmen gesetzt… Wünsche weckend, Wünsche erfüllend.«9 Mode, Accessoires und Schmuck von »internationaler Grosszügigkeit«, so konnte man in der stilsicher gestalteten Flughafenzeitschrift lesen, paarten sich an der Bahnhofstrasse mit einer »hochwertige[n] Qualität in Material und Ausführung« sowie einer »geschmackvolle[n] Zurückhaltung in der Interpretation«, was als »typische schweizerische Züge« interpretiert wurde.10

Abb. 3: Verkaufspräsentation im Warenhaus Globus an der Zürcher Bahnhofstrasse, 1969.

Besondere Aktionen, die einzelne Länder in den Fokus rückten, bestimmten ab den fünfziger Jahren insbesondere das Bild des Warenhauses am Bahnhof: Dem Globus der Nachkriegsjahrzehnte ging es bald nicht mehr schlicht darum, den Konsument*innen anzupreisen, was sie bereits aus ihrem Alltag kannten, sondern darum, eine Welt voller neuer Eindrücke zu gestalten. Peter Kaufmann, seit 1932 Einkaufsleiter von Globus, war dabei die prägende Figur.11 Kaufmann initiierte sowohl die Gründung – 1941 – der Schweizerischen Gesellschaft für Marketing (GfM) sowie die hauseigene Denkfabrik Globus Studio, die sich seit 1958 mit den »Kundenwünschen von übermorgen«12 auseinandersetzen sollte. Kaufmann gehörte damit zur Avantgarde einer neuen Verkaufsästhetik.13 Und er war weit über Zürich und die Schweiz hinaus bekannt: »Man dürfe nicht den Käufer der Ware gegenüberstellen, sondern müsse »ihn ins ›Erlebnis‹ hineinführen«, stöhnte selbst Wolfgang Fritz Haug in seinem berühmten (und konsum-unfreundlichen) Buch Kritik der Warenästhetik (1971) über Kaufmanns unorthodoxe Strategien zur »Auflösung der Ware in einen Erlebnisvorgang«, wozu etwa »thematisch nach […] den Wunschträumen der Käufer« angeordnete Verkaufsinseln gehörten. »Die Erlebnisbühne des Globus-Warenhauses«, erklärte der deutsche Philosoph (die FAZ zitierend), »wurde zu einem Mekka, zu dem Jahr für Jahr Einzelhändler aus aller Welt pilgerten.«14

Kaufmann und sein schulemachendes Team fielen unter anderem durch »Länderaktionen« und Weihnachtspromotionen auf. Es war ein globaler, internationaler Konsumanspruch, dem man so – mit Aktionen, die Namen trugen wie: »Sieben Welten des Globus«15 – gerecht zu werden versuchte. Die Produkte kamen meist aus Übersee, aus Ländern, die als fern und exotisch dargestellt wurden. Als Feuerprobe für diese spektakelhafte Art der Warenpräsentation diente die im Jahr 1954 lancierte Italien-Aktion. Dreitausend italienische Spezialitäten – »von handbestickter Florentiner Damenwäsche, original italienischen Schuhmodellen und Strandtüchern samt Sonnenbrillen bis zu luftgetrockneten Teigwaren und Würsten«16 – gaben ein hausumfassendes Thema vor. Peter Kaufmann selbst wurde zu einer Art Dirigent, der sein Team – und nicht zuletzt seine Kundschaft – durch Werbung, Dekoration, Verkauf und Logistik orchestrierte.

Abb. 4: Der Globus-Neubau, hier im Jahr 1967.

Im Jahr 1969 verfasste Kaufmann das Buch Der Schlüssel zum Verbraucher, in dem er die Praktiken des Globus in eine Theorie überführte.17 Den »Verbraucher« imaginierte er dort als jemanden, der sich (zum Leidwesen Haugs) ganz und gar seinem lustgetriebenen Einkaufshandeln hingab. Kaufmann deutete den »Fluss der Waren und Dienste« im wirtschaftlichen Tausch zu einem »Fluss der Wünsche und des Begehrens« um.18 Dem lag ein Verständnis von Verkaufshandlungen als mehr oder weniger ambulante, impulsive Affekthandlungen zugrunde. Nicht nur Geld sollte demnach liquide sein, auch die Kaufhäuser selbst sollten zu fluiden, dynamischen »Erlebniswelten« werden – um den Einkaufenden so ein möglichst reibungsloses Konsumieren zu ermöglichen.

Kaufmanns »Modellierung« (Haug) der Konsument*innen materialisierte sich innerhalb des Globus also nicht zuletzt im infrastrukturellen Aufbau auf den verschiedenen Geschäftsebenen, wenn auch die Dynamisierung des Einkaufverhaltens an sich keine Globus-spezifische Erfindung war: Ende der fünfziger Jahre rüsteten sich viele Warenhäuser in der Schweiz und anderswo mit der modernen Technik von Rolltreppen aus, um so dem »altmodischen, unrationellen Treppauf- und Treppabgehen« zu entkommen, wie es in einer Episode der Filmwochenschau von 1959 heisst. Die Konsument*innen mussten, erfuhr man dort, lernen »zu rollen, statt zu gehen«: sie praktizieren nun ein »neuzeitliches Treppauf- und Treppabstehen«. Bequem zwischen den einzelnen Ebenen der Warenwelt herumreisend, konnten sie sich ganz aufs Schauen konzentrieren und am internationalen Ambiente teilhaben. Wie auf einem Flughafen?

Erlebniswelt Flughafen

Auch am Flughafen wandelten sich die Einkaufswelten in den sechziger Jahren. 1961 eröffnete die Swissair den ersten Zollfreiladen in der Transithalle. Auf einer Verkaufsfläche von lediglich vierzig Quadratmetern wurden hier Alkoholika, Kosmetik und Tabakwaren verkauft.19 Der Verkauf orientierte sich an wohlhabenden Konsument*innen – das Fliegen allgemein galt bis in die achtziger Jahre noch als Luxus, der wenigen vorbehalten blieb.20 Für die abfliegenden Besucher*innen, die ihre Konsumwünsche bereits in der Innenstadt gestillt hatten, gab es hier eine letzte Einkaufsmöglichkeit. Am Flughafen sollten sie nun noch von den zollfreien Preisen profitieren. »Auf dem Flughafen Kloten gibt es zwei Einkaufsmöglichkeiten«, erläuterte 1970 ein »Zürcher Shopping-ABC«:

»Ihr könnt hier – wie auf jedem vernünftigen Flughafen – im Taxfree Shop euren Schnaps- und Parfüm-Vorrat auffrischen. Oder ihr könnt einige Minuten vor Abflug noch ganz schnell das Souvenir oder jenen Pullover kaufen, den ihr eigentlich schon lange kaufen wolltet und dann aus irgendeinem verflixten Grund doch nicht bekommen habt. Es gibt im Flughafengebäude eine hübsche Shopping Arcade.«21

Nüchtern und unaufgeregt zeigen Fotoaufnahmen aus den siebziger Jahren die Zollfreiläden in der Transithalle: Schnapsflaschen oder Parfümflakons sind fein säuberlich auf den Regalen aufgereiht, von einer ›erlebnisreichen‹ Präsentation wie im Globus kann aber kaum die Rede sein. Allerdings fanden schon seit den fünfziger Jahren auch am Flughafen einzelne Events statt, über die schweizweit berichtet wurde und die den fluiden Konsumwelten des Globus durchaus ähnelten. Dazu gehörte die Modeschau, die fünf Schweizer Konfektionshäuser im Jahr 1953 am Flughafen veranstalteten. Die Schweizer Filmwochenschau war live dabei, als die Mode des internationalen Jetsets präsentiert wurde:

»Die belgischen Notizbücher füllten sich mit lobenden Sentenzen und die Importeure aus Brüssel, die auf diese Idee der fliegenden Modeberichterstatter gekommen waren, konnten sich zum Erfolg ihrer Unternehmung gratulieren. Kaum war das letzte Abendkleid weggerauscht, brummten wieder die Motoren. In Paris erwartete die Haute Couture die belgischen Gäste […].« (Siehe Abb. 7)

Die recht offensichtlich kosmopolitische Schau fand noch in einem Provisorium statt – ein designierter Ort für diese Art von Konsum-»Modellierung« existierte am Flughafen damals nicht. Das sollte sich mit dem neuen Terminal, der 1975 fertiggestellt wurde, ändern.

Abb. 5: Eine Rolltreppe in einem Lausanner Geschäftshaus. Still aus: »Rollen statt gehen«, 1959.

Abb. 6: Tax-free-Shop im später als Terminal A bezeichneten Teil des Flughafens Zürich-Kloten, 1961.

Im Globus der Nachkriegsjahrzehnte wurde eine Welt voll neuer Eindrücke gestaltet.

Im Zuge der weiteren Ausbauetappen wurden Einkaufsmöglichkeiten vermehrt in der architektonischen Planung berücksichtigt. Der Passagierfluss hatte dabei entscheidenden Einfluss darauf, wie die Einkaufsbereiche innerhalb des Flughafens angeordnet wurden. Schon 1963 hiess es dahingehend im Flughafenmagazin, dass die Reisenden künftig »vom Strassenfahrzeug zum Abfertigungsschalter nur einen sehr kurzen Weg« zurücklegen sollten.22 In den Folgejahren wurde ein wachsendes Angebot an Restaurations- und Einkaufsmöglichkeiten realisiert, das in Abhängigkeit von den Wegen, die Reisende vom Auto zum Flugzeug zurücklegen mussten, gestaltet wurde. Die architektonische Kopplung von Passagierfluss und Shopping-Bereichen fand international Anerkennung. So lobte etwa die Deutsche Presse-Agentur im Jahr 1975 neben der vorbildlichen Signaletik und den Sicherheitsanlagen vor allem auch die ansprechend-effiziente Innenarchitektur Klotens. Gerade die Einkaufspassagen luden die Passagiere zum Zeitvertreib ein:

»Der Grossflughafen Zürich-Kloten ist ein Flughafen der kurzen Wege geworden und darf für sich in Anspruch nehmen, einer jener grössten europäischen Flughäfen zu sein, wo Transitpassagiere mit kurzen Umsteigezeiten auskommen […]. Dass dieser Flughafen obendrein – trotz aller Technik – noch sympathisch und gemütlich wirkt, liegt letzten Endes an der wohlgelungenen Einordnung der Restauration und Ladenstrasse.«23

1976 entstand mit dem »Airport Plaza« ein weiteres Laden- und Dienstleistungszentrum im Parkhaus B, das nun aber – samt Bank, Post und vielerlei Verkaufsläden – »eine Grosszahl der menschlichen Bedürfnisse erfüllen« sollte, wie es in einer offiziellen Broschüre hiess. Ein Novum waren auch die erweiterten Öffnungszeiten:

»Von anderen Einkaufszentren hebt sich jenes im zweiten Geschoss des Parkhauses B dadurch ab, dass es jeden Tag Abendverkauf bietet, auch an Samstagen und Sonntagen, in der Regel bis 20 Uhr. So können sich die Passagiere auf dem Weg vom oder zum Fluge noch mit dem Notwendigen eindecken, ohne Zeit zu verlieren. Mit dem ›airport plaza‹ trugen die Planer der Drehscheibenfunktion des Parkhauses B Rechnung, die durch die darunterliegenden SBB-Bahnhöfen an Bedeutung gewinnt.«24

So wurde zwar auch hier wieder an die Semantik der »Drehscheibe« angeknüpft. Im Airport Plaza wurde allerdings nicht mehr mit Luxuswaren geworben, sondern mit Gütern des täglichen Bedarfs – die notwendigen Dinge des mobilen Lebens, die möglichst ohne Zeitverlust und grössere Umwege erstanden werden wollten. Der Passagierfluss stand zwar weiterhin im Zentrum, aber das Shopping-Erlebnis entkoppelte sich, zumindest teilweise, vom eigentlich Fliegen. Gerade auch für Anwohner*innen im Grossraum Zürich sollte das Airport plaza zum Konsumtempel des Alltags werden.

Abb. 7: Improvisierte Modenschau am Flughafen Zürich. Still aus: »Die Mode«, 1953.

Von der Drehscheibe zum Circle

Im Jahr 2003 wurde in Kloten eine weitere ›Drehscheibe‹ in Betrieb genommen, die eine neue Ära im Konsumbetrieb des Flughafens einläutete. Dem Wirtschaftsjournalisten Lukas Hässig zufolge hätte ein Fehler des Flughafens Zürich bis dato darin bestanden, dass, trotz der stetigen Integration von Einkaufsbereichen in die Terminalgebäude, für die Betreibergesellschaft immer die »atemberaubende Architektur an erster Stelle der Prioritätenliste«25 gestanden hatte. Ein Grund dafür war, dass die Swissair – der Hub-Carrier von Kloten – lange Zeit den Flughafen als eine Art Aushängeschild begriff. Der »Flughafenpalast« mit seinen »lichtdurchfluteten Hallen und beeindruckenden Glas- und Stahlbauten«26 war Teil des Reiseerlebnisses und sollte, so Hässig, in erster Linie das Kerngeschäft der Airline unterstützen. Spätestens mit dem Grounding der Swissair im Jahr 2001 aber diente das Kommerzgeschäft am Flughafen Zürich dann primär der finanziellen Erhaltung des Flughafens. Kloten reihte sich damit neben andere europäische Flughäfen ein, die mit klassischen Shoppingcentern Gewinne zu erzielen versuchen.27

Mit dem 2003 eröffneten »Airside Center« und dem als Shoppingcenter konzipierten Bahnhofshopping rücken die Einkaufsbereiche am Flughafen Kloten immer stärker in die Nähe von dem, was Marc Augé als Nicht-Ort bezeichnet.28 Der Konsum am Flughafen unterscheidet sich dabei durchaus von den »Erlebniswelten«, wie sie seit den fünfziger und sechziger Jahren in der Bahnhofstrasse und im Globus hergestellt wurden. Damals wie heute schmück(t)en sich Flughafen und Bahnhofsstrasse mit Internationalität. Während der Globus noch versuchte diese Internationalität gewissermassen lokal zu verankern, herrscht am Flughafen grösstenteils eine explizit ort-lose Verkaufsmentalität vor, die gemäss der Architekturhistoriker*innen Bader und Lepik typisch für Verkehrsinfrastrukturen ist.29

Nicht zuletzt gilt das für jenen Komplex, der derzeit am Flughafen entsteht; wie schon die Figuren der »Drehscheibe« und des »Globus«, bedient auch dieser die Metaphorik der Zirkulation: »The Circle«. Für diesen Gebäudekomplex, der die Bereiche Wohnen, Leben, Arbeiten und Shoppen räumlich integrieren soll, wird mit Schlagworten geworben, die dem sich fast unweigerlich einstellenden Eindrucks eines Nicht-Orts offenbar entgegenwirken sollen: The Circle ist »Raum für Geschichten«, »Quelle der Inspiration«, »Ort des Geniessens«, »Platz für Ideen«, »Oase der Ruhe« und »Place To Be«.30 Der Architekt von The Circle, Riken Yamamoto, liess sogar wissen, er sei dahingehend vom Zürcher Niederdorf inspiriert worden.31

Abb. 8: Das luxuriöse Runde: Die Bahnhofstrasse als Ort des internationalen Konsums, 1967.

Die Webseite vermittelt jedoch ein anderes Bild: Konzipiert als Assemblage »modularer« showrooms und flagship stores, food courts, co-working spaces und convention center erinnert The Circle eher an John Kasardas Konzept der »Aerotropolis« als an das Niederdorf. (Und tatsächlich schmückt sich die Website recht prominent mit einem Zitat des amerikanischen Soziologen: »Look for today's busiest airports and you will find the great urban centers of tomorrow.«) Mit »Aerotropolis« bezeichnet Kasarda Strukturen rund um einen Flughafen, die einerseits immer deutlichere Züge eines urbanen Raums aufweisen, andererseits aber durchweg kommerziellen Logiken gehorchen: die »Airport City«.32 In ihnen spiegelt sich eine Entwicklung wider, die man im Flughafenterminal längst beobachten kann: »Airport terminals are fast becoming luxurious shopping malls and artistic and recreational venues«.33 Komplexe wie The Circle sind, so gesehen, wohl mehr hochglänzende Nicht-Orte denn glamouröse Erlebniswelt oder gar städtisches Quartier.

Yamamotos Vergleich mit dem Niederdorf hinkt in jedem Fall. Konsequent wird The Circle als moderne Form der globalisierten Drehscheibe inszeniert und fügt sich damit nahtlos in die von Bader und Lepik beschriebene Geschichte von Shoppingcentern ein. Das Verhältnis von Stadt und Flughafen könnte sich allerdings mit The Circle grundlegend verändern. Das Zürcher Stadtzentrum spielt – folgt man der »Vision« – für The Circle keine entscheidende Rolle mehr. Während die Jetset-Passagiere der fünfziger und sechziger Jahre nach Verlassen der Drehscheibe noch zum Besuch von Erlebniswelten mit lokalem Flair animiert wurden, scheinen sich die Bedürfnisse der neuen internationalen Passagiere gewandelt zu haben. In der Vorstellung der Planer*innen lassen sich diese nun unmittelbar in Flughafennähe stillen.

Annina Haller studiert im Master »Geschichte und Philosophie des Wissens« an der ETH Zürich.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Unbekannt, Jane Mansfield, Filmstar, in Zürich, 10/1957, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Comet Photo AG, Com_C06-137-007.

Abb. 2: »Zürich – Drehscheibe der Welt«, in: Zürich. Offizielle Zeitschrift des Interkontinentalen Flughafens Zürich-Kloten und des Verkehrsvereins Zürich (Frühjahr 1967) S. 30.

Abb. 3: Hans Krebs, Firma Globus, Innenaufnahmen 1969, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Comet Photo AG, Com_M17-0214-0001-0007.

Abb. 4: wel, Globus, Neubau mit Fahnen, 05.09.1967, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Comet Photo AG, Com_M16-0162-0001-0003.

Abb. 5: Still aus: Schweizer Filmwochenschau, »Rollen statt gehen«, 06.11.1959, aus: Filmbestand Schweizer Filmwochenschau (1940–1975), Schweizerisches Bundesarchiv, J2.143#1996/386#891-1#2*, http://media.zem.ch/01WS/1959/SFW_0891.mp4#t=83,124.

Abb. 6: Unbekannt, Tax-free-Shop im später mit Terminal A bezeichneten Teil des Flughafens Zürich-Kloten, 1961, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR03-08978-01.

Abb. 7: Still aus: Schweizer Filmwochenschau, »Die Mode«, 06.03.1953, aus: Filmbestand Schweizer Filmwochenschau (1940–1975), Schweizerisches Bundesarchiv, J2.143#1996/386#564-1#2*, http://media.zem.ch/01WS/1953/SFW_0564.mp4#t=49,123.

Abb. 8: Zürich. Offizielle Zeitschrift des Interkontinentalen Flughafens Zürich-Kloten und des Verkehrsvereins Zürich (Winter 1967), Cover.

Literatur
  1. 1

    »›Zürich‹ stellt sich vor«, in: Zürich. Offizielle Zeitschrift des Interkontinentalen Flughafens Zürich-Kloten und des Verkehrsvereins Zürich (September 1962) S. 2–3, hier S. 2.

  2. 2

    »Zürcher Veranstaltungskalender September bis November 1962« (o.V.), in: Ebd., S. 14–15.

  3. 3

    Ernst Pfenninger & Magazine zum Globus: Globus - das Besondere im Alltag: das Warenhaus als Spiegel der Gesellschaft, Zürich: NZZ (2007), S. 41.

  4. 4

    Jakob Tanner: Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert, München: C.H. Beck (2015), S. 355.

  5. 5

    Ebd., S. 360.

  6. 6

    Ebd.

  7. 7
  8. 8

    »Modestadt Zürich«, in: Zürich. Offizielle Zeitschrift des Interkontinentalen Flughafens Zürich-Kloten und des Verkehrsvereins Zürich (September 1963), S. 12–15, hier S. 12.

  9. 9

    Ebd., S. 12.

  10. 10

    Ebd., S. 12.

  11. 11

    Ernst Pfenninger & Magazine zum Globus: Globus – das Besondere im Alltag: das Warenhaus als Spiegel der Gesellschaft, Zürich: Neue Zürcher Zeitung (2007), S. 44.

  12. 12

    Ebd., S. 46.

  13. 13

    Ebd., S. 52.

  14. 14

    Wolfgang Fritz Haug: Kritik der Warenästhetik, Frankfurt am Main (1971), S.84–88.

  15. 15

    Ebd., S. 88.

  16. 16

    Ernst Pfenninger & Magazine zum Globus: Globus – das Besondere im Alltag: das Warenhaus als Spiegel der Gesellschaft, Zürich: Neue Zürcher Zeitung (2007), S. 44.

  17. 17

    Peter Kaufmann: Der Schlüssel zum Verbraucher, Wien: Econ (1969).

  18. 18

    Ebd., S. 16.

  19. 19

    Lydia Gard, »Die Evolution des Einzelhandels«, in: AIR Magazin. Exklusives Magazin des Flughafens Zürich, Zürich: Zürich Flughafen (2012), S. 20.

  20. 20

    Ebd., S. 20.

  21. 21

    »Zürcher Shopping-ABC« (o.V.), in: Zürich. Offizielle Zeitschrift des Interkontinentalen Flughafens Zürich-Kloten und des Verkehrsvereins Zürich (Winter 1970), S. 7–20, hier S. 11.

  22. 22

    »Eine grosszügige Lösung. Der Ausbau des Zürcher Flughofes« (o.V.), in: Zürich. Offizielle Zeitschrift des Interkontinentalen Flughafens Zürich-Kloten und des Verkehrsvereins Zürich, Feb. 1963, S. 6-8, hier S. 6.

  23. 23

    Amt für Luftverkehr (Hg.): Flughafen Zürich. 1948 – heute, Zürich: Konkordia Druck- und Verlags AG (1978), S. 63.

  24. 24

    Ebd., S. 66.

  25. 25

    Lukas Hässig: Kloten-Clan. Hintergründe und Verantwortliche der Zürcher Airport-Wirren, Zürich: Werd Verlag (2003), S. 88.

  26. 26

    Ebd., S. 88.

  27. 27

    Ebd., S. 89.

  28. 28

    Marc Augé: Nicht-Orte, München: C.H. Beck (2011), S. 42.

  29. 29

    Andres Lepik, Vera Simone Bader: World of Malls. Architecture of Consumption, München: Hatje Cantz (2016), S. 11.

  30. 30
  31. 31

    Andres Lepik, Vera Simone Bader: World of Malls. Architecture of Consumption, München: Hatje Cantz (2016), S. 230.

  32. 32

    Vgl. John Kasarda: »The Evolution of Airport Cities and the Aerotropolis«, in: Airport Cities: The Evolution, London: Insight Media (2008).

  33. 33

    Vgl. ebd., Kap. 1.