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Flughafen Kloten: Anatomie eines komplizierten Ortes
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Niki Rhyner

Kleine Freiheit, Grosse Freiheit

Den Luftraum bevölkern nicht nur Flugzeuge, sondern auch kleineres Fluggerät. Die Drohne steht derzeit im Zentrum der Aufmerksamkeit – dabei waren es die Modellflugsportler*innen der siebziger Jahre, die erstmals den mittleren Luftraum für sich reklamierten.

Zwei Augenpaare sind schräg nach oben gerichtet. Synchron verfolgen sie ein Objekt am Himmel. Die Kamera haftet sich an die beiden Gesichter, fängt ihre ernsthaften Blicke ein, aber auch die Komplizenschaft, die zwischen den beiden Brüdern besteht. Gleichzeitig hört man ein lautes Brummen, das die kurzen Kommentare, die ausgetauscht werden, beinahe übertönt. »Chlii. Langsami Rolle«, weist der eine, etwa dreissigjährige Mann seinen jüngeren Bruder an. »Warte! Guet!« – Schnitt. Das Bild zeigt plötzlich den Blick von oben auf die Szenerie; Die Kamera sitzt nun auf dem Objekt, dem zuvor die Augen gefolgt sind. Ein Modellflugzeug fliegt seine langsamen Rollen über einer grünen Zürcher Ackerlandschaft. Für einen kurzen Moment sind die beiden Brüder in ihren farbigen Jacken zu erkennen.

Die oben beschriebene Sequenz ist Teil des Dokumentarfilmes Kleine Freiheit des Schweizer Regisseurs Hans-Ulrich Schlumpf aus dem Jahr 1978. Im Begriff der »Freizeit«, so der Regisseur damals, klinge die »Freiheit« an. Er wolle Porträts von Menschen zeigen, die in ihrer Freizeit ein Glück suchen, welches sie in ihrer Erwerbsarbeit nicht oder nur ungenügend finden.1 Bruno und Emil Giezendanner fliegen jeden Abend ihre selbstgebauten Modellflugzeuge; Emil sieht den Modellflugsport als »[...] Chance, sich und seine Persönlichkeit auf einem Gebiete zu entwickeln, das bisher zu kurz gekommen ist«.2 In ihrer freien Zeit erleben Emil und Bruno ihre kleine Freiheit immer dann, wenn sie zu ihrem Mini-Flugzeug hinaufschauen und es mit dem Sender in der Hand durch die Luft steuern.

»Die Gefahr besteht, dass das Gesetz ein Hobby zerstört.«3 So lässt sich Emil Giezendanner im Februar 2017, inzwischen 75 Jahre alt, in der Regionalzeitung Zürcher Oberländer zitieren. Modellflieger*innen unterstehen mittlerweile demselben Recht wie Drohnenpilot*innen. Anlässlich der Verbreitung der Drohne als ziviles Fluggerät werden neue Vorschriften diskutiert, was zur Folge hat, dass nun auch Modellflugzeuge registriert werden müssten. »Das käme praktisch einem Verbot unseres Hobbys gleich.«4 In der Schweiz wächst der Markt für die sogenannten »Multikopter« jedes Jahr, und es ist noch nicht geklärt, welche Regeln für den Luftraum der Drohne gelten sollen – und damit auch für den Luftraum der Modellflieger*innen.

Doch im Wandel befinden sich nicht nur die Rechtsregeln, sondern auch der »Luftraum« selbst. Der Luftraum ist ein hochkomplexes und umkämpftes Gebilde, das sich im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts immer wieder verändert hat. Unzählige horizontale und vertikale Grenzen teilen ihn inzwischen in verschiedene Rechtszonen auf.5 Ein Grund für die Parzellierung des Luftraums sind unterschiedliche historische Formen der Nutzung. In Zürich waren es jedoch nicht nur die grossen Akteure – die Luftfahrtpioniere und Fluggesellschaften –, die den Luftraum von Kloten aus prägten.

Abb. 1: Emil (links) und Bruno (rechts) Giezendanner schauen am liebsten nach oben zum Modellflugzeug, hier im Jahr 1978.

Abb. 2: Der Blick von oben, wie er durch die improvisierte Kamera-Vorrichtung in der Kleinen Freiheit erscheint. Still aus: Kleine Freiheit, 1978.

Spätestens seit den siebziger Jahren meldeten wenige Kilometer entfernt auch Modellflugsportler wie Emil und Bruno Giezendanner ihren Anspruch auf seine mittlere Sphäre an. Als Teil einer Freizeitbewegung suchten sie Freiräume, um ihre Begeisterung für die Luftfahrt – ihre airmindedness – auszuleben.6 Die neue airmindedness der Modellflugsportler*innen bedeutete einen Perspektivwechsel: Während die Luftfahrt klassischerweise den Blick von oben zelebrierte, blickten die Brüder Giezendanner am liebsten nach oben zu ihrem Modellflugzeug. Mit der Drohne, an der sich derzeit die Auseinandersetzungen um die Teilhabe am Luftraum entzünden, bekommen die Blicke vom und zum Himmel eine neue politische und rechtliche Relevanz.

Grosse Freiheit

»Eine neue, unbekannte Welt liegt vor ihm, es ist, als ob die Erde ein anderes Antlitz zeigte und sein Auge nun erst wirklich vollkommen sei.«7 So beschrieb Pilot und Fotograf Walter Mittelholzer im Jahr 1928 den Blick von oben in seinem populären Buch Alpenflug. Mittelholzer hatte schon früh eine Faszination für die Alpen gehegt; in der Luftfahrt fand sein Alpinismus einen neuen Ausdruck: »[...] mir war das Fliegen Mittel zum Zweck, um unsere geliebten Berge mit Hilfe der Photographie auf eine neue Art darzustellen. Schauen wir doch aus unserer luftigen Warte über ein Gipfelmeer, das gleichsam brandet und wogt – ahnen die Zusammenhänge – und erkennen die verborgensten Winkel der Täler. Unsere Seele ist erfüllt von den reinsten aller Freuden – Entdeckerfreuden.«8 Die grosse Freiheit des frühen Motorflugs ermöglichte Mittelholzer den Blick über eine »neue Welt«: »Wohl prägen wir uns mit geschulten Augen den Charakter einer Landschaft auf unseren ersten Flügen unauslöschlich ein. Wir lesen Zusammenhänge heraus, die uns in der Tiefe erst nach langem Suchen offenbar würden.«9

Abb. 3: Mit dem Blick von oben auf die Schweizer Alpen wurde Mittelholzer bekannt (Alpenflug, 1928).

In Mittelholzers Fotografien aus der Vogelperspektive vermischten sich Alpinismus, Technikbegeisterung, Heimatliebe und Landschaftserkennungskompetenz. Es handelte sich um eine Spielart der airmindedness, die eng mit der Entstehung des Schweizer Nationalstaates verbunden war: Im kartografischen Projekt der Dufourkarte wurde Mitte des 19. Jahrhunderts die Schweizer Topographie so gezeichnet, als ob man von oben auf die Landschaften blickte.10 Ab 1878 war die Dufourkarte der zentrale Referenzpunkt für die militärisch ausgebildeten Bürger der Schweiz – und somit auch für Walter Mittelholzer. Die fotografisch vermittelte und inszenierte Flugbegeisterung blieb noch lange in der vaterländisch-militärischen Tradition der Dufourkarte verankert.11

Airmindedness 1.0

Mit dem Büchlein flieg!, das 1940 von der Stiftung Pro Aero publiziert wurde, sollte den Schweizer Jungen die Fliegerei qua Modellflugzeugbau ans Herz gelegt werden. Damit einher ging ein Transfer von Wissen und Idealen: »Der Flugmodellbau ist die lehrreichste Freizeitbeschäftigung der Jugend. Er vertieft die Kenntnisse im technischen Zeichnen, in der Mathematik, Physik, Meteorologie und Geographie. Er fördert die Handfertigkeit in der sachgemäßen Bearbeitung zahlreicher und verschiedenartigster Baustoffe und Materialien.«12 In diesen Worten drückt sich eine militarisierte Vorstellung von Männlichkeit aus, die der Pilot in dieser Zeit verkörperte. Im Geleitwort schrieb der freisinnige Bundesrat Marcel Pilet-Golaz: »Der Flugsport weckt im Menschen als Haupteigenschaften Kaltblütigkeit, wahren Mut, stets gepaart mit Umsicht und weisem Masshalten. [...] Seine harte Erziehung zur Männlichkeit ist vor allem ein wertvoller Beitrag an die Landesverteidigung.«13

Das Bild des Schweizer Piloten war heroisch-alpin und patriotisch. In der grossen Freiheit, die Walter Mittelholzer in seinen einsamen Flügen über der Schweiz empfand, zeigte sich der Luftraum in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts als Gestaltungsraum für wenige, technisch versierte Männer – meist mit militärischem Hintergrund. Dem entsprach die rechtliche Konstitution des Luftraums. Zwar hatte der Bundesrat per Bundesratsbeschluss 1920 das Eidgenössische Luftamt als Aufsichtsbehörde über die zivile Luftfahrt geschaffen; bis zum Bau des »Interkontinentalflughafens Zürich-Kloten« ab 1946 war die nationale Gestaltung des Luftraums allerdings relativ zurückhaltend. Ab 1950 wurde der Flugverkehr Teil des öffentlichen Verkehrs, und damit stieg die Dichte der Bewegungen am Himmel und die Dichte der rechtlichen Regelungen.14 Auch für die Modellflieger änderte sich einiges. Ab den fünfziger Jahren gab es immer mehr Modellflugzeuge mit Verbrennungsmotoren und Radiofernsteuerung.15 Parallel zur Entstehung von zivilen Grossflughäfen nistete sich die airmindedness also bei einem Teil der Flugbegeisterten in einem Lebensbereich ein, der in den siebziger Jahren einen Boom erlebte: die Freizeit.

Abb. 4: Qua Modellflug die Liebe zur Luftfahrt pflegen: Schweizer Jungen üben sich im Modellflugbau (Flieg!, 1940).

Kleine Freiheit

Emil Giezendanner bilanzierte 1978: »Wie gross ist unsere Freiheit wirklich? In welchen Dimensionen bewegen wir uns? Reglemente, Pflichtenblätter, verbindliche Richtlinien grassieren im Modellflug.«16 Der Einsatz der Modellflieger für ihr Hobby war ein Ringen um den Luftraum als Freiraum. Hans-Ulrich Schlumpfs Kleine Freiheit macht einen breiten Diskurs rund um den Begriff der Freizeit sichtbar. Im Film porträtierte Schlumpf neben Bruno und Emil Giezendanner drei weitere Hobbyist*innen: ein pensioniertes Ehepaar mit Schrebergarten, einen einfachen Arbeiter, der Holzskulpturen schnitzte, und einen Senioren mit Miniatur-Dampflokomotive. Schlumpf interessierte an den Tätigkeiten das »Schöpferische«: »Ich finde es [...] mehr denn je nötig, dass wir uns mit unseren vielfach verschütteten schöpferischen Fähigkeiten befassen, die eine der wenigen Hoffnungen sind, aus dem Teufelskreis der selbstzerstörerischen Expansion von Produktion und Konsumation auszubrechen.«17

Die Recherchematerialien zum Film – grob sortierte Unterlagen, darunter Zeitungsartikel, Subventionsanträge und handschriftliche Aufzeichnungen von Interviews – liegen heute in acht Archivschachteln in der Dokumentationsstelle der Cinémathèque suisse in Zürich. Die Sammlung gibt Einblick in den aufgeladenen Freizeitbegriff der siebziger Jahre. Die Recherchematerialien zeugen von einer Auseinandersetzung mit der sozialen Lage von »Arbeitern« und »Randständigen«. So spielte der wirtschaftliche Einbruch Mitte der siebziger Jahre in der Schweiz eine Rolle, als mit der Arbeitszeitverkürzung die »Problematik des ›Freizeit-Menschen‹«18 virulent wurde. Ein Teil der Recherchematerialen ist unter dem Stichwort »Vermarktung der Freizeit« abgelegt. Der Ordner enthält Prospekte von Freizeitangeboten wie den »Freizeit Atlas Schweiz« oder Flyer für ein »Sensitivity-Creativity-Training«.19 Ebenso interessierte sich Schlumpf für die Migros Klubschule, die ab den fünfziger Jahren ihr Freizeitangebot aufbaute, damit aber auch politische Ziele verfolgte: etwa die »wachen Intelligenzen« davon abzuhalten, in der Freizeit zu »revoluzzen«. Gleichzeitig sollten die Freizeitkurse Sympathien wecken und so eine »Tiefenpropaganda« aufbauen, die neue Kund*innen generierte.20 Diese Dokumente zeigen: Freizeit war spätestens in den siebziger Jahren ein Wirtschaftszweig. 1974 titelte die Zürcher Zeitschrift das konzept kritisch: »Freizeit – keine Freiheit von der Entfremdung«.21 1978 gab Schlumpf seinem Film den Namen Kleine Freiheit. Das war zwei Jahre vor Züri brännt und dem Beginn der Jugendunruhen der frühen achtziger Jahre, in denen die Freiheit auf der Strasse noch einmal in ganz anderer Form problematisiert wurde.

Hobbyisten, oder: Der etwas andere Kampf um den öffentlichen Raum

»Die Allmend [Brunau in der Stadt Zürich] ist ganz allgemein ein Ort der Freiheit«22, hiess es 1976 in einer Zeitschrift für Landschaftsarchitektur. Ort der Freiheit deshalb, weil sie ein Ort für Freizeit war. »Die Allmend ist bis heute der einzige stadtnah gelegene Aussenraum für ein nichtorganisiertes Freizeitgeschehen geblieben.«23 Auch für die »flugbegeisterten Schüler« war genügend Platz.

Abb. 5: »Flugbegeisterte Schüler« auf der Zürcher Allmend, ein Foto aus der Publikation anthos: Zeitschrift für Landschaftsarchitektur, 1976.

Solche Orte, die verschiedenen Freizeitgebräuchen offenstanden, waren rar. Diesen Eindruck vermittelte insbesondere die von Emil Giezendanner ab 1971 herausgegebene Zeitschrift modellflugsport. Eines der grössten Probleme, die sich den Modellfliegern in den siebziger Jahren aufdrängten, war der drohende Wegfall geeigneter Flugplätze. 1976 wurde eine nationale Verordnung beschlossen, die den Modellflugsport im Umkreis von fünf Kilometern von militärischen und zivilen Flugplätzen verbot.24 Emil Giezendanner schlug daraufhin vor, den Modellfluggruppen befristete Nutzungsbewilligungen auszustellen, denn diese würden »den Modellflugbetrieb rund um Flugplätze in geordnetere Bahnen lenken, was ja auch in unserem Sinne und Interesse liegt, da wir uns, als verantwortungsbewusste Mitnutzer des Luftraumes, mit allen Mitteln für die Flugsicherheit einsetzen wollen«.25

Die regionalen Gruppen befanden sich in einem andauernden Aushandlungsprozess mit den Gemeinden. 1978 klagte Emil Giezendanner: »Lassen irgendwo auf einer Wiese ein paar Individualisten ein Flugzeugmotörchen schnurren, so beschäftigt dies heute Behörden und Gerichte.«26 Die Auseinandersetzung führte ein Jahr später zu einer (vorläufigen) Klärung. Nach einigen Verboten des motorisierten Modellflugsports auf Gemeindeebene erklärte das Eidgenössische Luftamt die Verbote für nichtig; jedoch wurden vielen Regionalgruppen Einschränkungen auferlegt.27 Die Modellflugsportler waren aber auch selbst darum bestrebt, ihr Hobby für die Umwelt verträglicher zu gestalten. So widmeten sich viele Ausgaben der modellflugsport der »Lärmbekämpfung im Modellflug«;28 1978 fand der erste schweizerische Lärmbekämpfungskurs in Biel statt.29 Vom Aufkommen der Elektromodelle erhoffte sich Emil gar eine »leise Revolution«.30

Die Lärmproblematik betraf freilich nicht nur die Modellflieger. Der Ausbau des Flughafens Zürich-Kloten war 1957 von den Zürcher Stimmbürgern noch aus Lärmbedenken abgelehnt worden; am 27. September 1970 stimmten sie der dritten Ausbauetappe des Flughafens Zürich-Kloten zu, nahmen aber gleichzeitig ein umfangreiches Fluglärmgesetz an.31 Die Argumente der Gegner wurden somit gleichzeitig ernst genommen und ausgehebelt.

Airmindedness 2.0

Der Luftraum war schon in den siebziger Jahren ein umkämpfter Raum. So mussten sich die Modellflieger auch darum Sorgen machen, ob ihre Flugbegeisterung neben derjenigen der »richtigen« Flieger bestehen konnte. Das Verhältnis der Modellflieger zum Aero Club Schweiz nimmt in den Editorials der modellflugsport viel Platz ein. Die Modellflugsportler gehörten diesem Verein zwar als vollwertige Mitglieder an, fühlten sich jedoch übergangen und nie richtig anerkannt. Und das, obwohl sie in eigenen Augen den wichtigen Auftrag wahrnahmen, in der Bevölkerung den »Fluggedanken« zu fördern und der Schweizer Jugend die Fliegerei schmackhaft zu machen.32 So boten sie in den Schulferien Einsteigerkurse an, um genügend Nachwuchs zu rekrutieren. Gleichzeitig galt ihnen das Modellfliegen, insbesondere das Bauen des eigenen Modellflugzeugs, weiterhin als »ausgezeichnete Schule für’s Leben.«33 Auch im Winter, wenn nicht geflogen werden konnte, sei die Arbeit in der Werkstatt ein lohnenswerter Zeitvertrieb: »Im Bauen widerspiegelt sich die Persönlichkeit, zeigt sich der Mensch und seine Entwicklung.«34 Der Modellflug gewann auch im Vergleich mit alternativen Hobbys: »Als stumpfsinnige, aber sehr verbreitete Freizeitbeschäftigung finde ich Mopedfahren und Vandalen-Streifzüge.«35 Emil Giezendanner sah 1975 in den steigenden Nachwuchszahlen gar eine veränderte Einstellung der jungen Menschen zur Arbeitswelt: »Hier könnte ein Ansatzpunkt für eine grössere Gewichtung der Freizeit des Menschen zu finden sein. [...] Die Jugend soll nicht mehr einseitig auf beruflichen Erfolg gedrillt sondern in ihrer Ganzheit entfaltet werden [...].«36

Abb. 6 und 7: Freiheitsgefühle der »Individualisten« und airmindedness zur Förderung des »Fluggedankens«: Cover der Zeitschrift modellflugsport, 1974 und 1975.

Der Luftraum war schon in den siebziger Jahren ein umkämpfter Raum.

Nach wie vor war die Jugend, die hier angesprochen wurde, fast ausschliesslich männlich – was an der militärisch-patriotischen Herkunft des Modellflugs liegen mag. Doch was sich sehr wohl gewandelt hatte, war der gesellschaftliche Anspruch, der mit der airmindedness einherging. Das Ziel der Erziehung qua Modellflugzeugbau war nicht mehr die Verteidigung der Nation, sondern die Selbstverwirklichung des Einzelnen als wertvoller Teil der Gesellschaft. Die kleine Freiheit der Modellflieger zeigte sich als prekäre Gestaltungsfreiheit in einer Auseinandersetzung um den öffentlichen Raum, zu dem der Luftraum mittlerweile gehörte.

Epilog

»Airbus und Drohne stossen fast zusammen.«37 »Darf ich die Drohne des Nachbarn abschiessen?«38 »Dürfen kleine Drohnen alles?«39 »Drohnen-Gesuche überfordern das Bazl.«40

Tout court: Die zivile Nutzung der Drohne erzeugt gegenwärtig Konflikte, die mit den bisherigen gesetzlichen Regelungen des Luftraumes nicht aufgefangen werden können. Zurzeit befindet sich der Luftraum in einem drastischen Wandel: Jede Drohnennutzung soll in Zukunft in einem nationalen Überwachungskontext stattfinden. Bisher kontrollierten sich Drohnennutzer*innen hauptsächlich selbst.41 Ausnahmebewilligungen in sensiblen Gebieten werden von der privatrechtlichen Aktiengesellschaft Skyguide vergeben, die der Schweizerischen Eidgenossenschaft gehört und den gesamten Schweizer Luftraum überwacht: eine Institution, die aus den Auseinandersetzungen um den Luftraum resultierte.

Während die ›kleinen‹ Nutzer*innen im gesamten zwanzigsten Jahrhundert nicht in diesen national überwachten Luftraum einbezogen wurden, plant Skyguide nun die Integration nicht nur der militärischen, sondern aller zivil und privat genutzten Drohnen in einen vereinheitlichten Schweizer Luftraum. »E-Registrierung« und »E-Identifizierung« sollen alle Drohnen – und damit auch Modellflugzeuge – in Zukunft auf den Bildschirmen der Luftsicherung sichtbar machen. Der neue Luftraum soll U-Space heissen.42 U-Space würde der Drohnenindustrie das zukünftige Wachstum ermöglichen und wäre als Konzept nicht nur in der Schweiz, sondern auch in der gesamten EU anwendbar. Wieso provoziert die Drohne eine solche Veränderung?

Sowohl Modellflugzeuge als auch Drohnen sind unbemannte Flugobjekte, die per Fernsteuerung gelenkt werden. Mit der Popularisierung der Drohne lässt sich jedoch ein Paradigmenwechsel beobachten: Es geht nicht mehr primär um das Fliegen, sondern vermehrt um das Schauen. Der Blick von oben war wie in der eingangs erzählten Szene aus Kleine Freiheit ein Nebenprodukt. Mit der Drohne ist er Normalität geworden.43 Es geht bei diesen Aufnahmen nicht mehr um die technische Herausforderung des Fliegens, wie sie noch bei Mittelholzer oder in den siebziger Jahren im Zentrum stand. Vielmehr hat sich der Blick von oben in einen Blick nach unten verwandelt.44

Abb. 8: Ein altes Modellflugzeug diente 1978 in Kleine Freiheit als Träger für die Kamera, um Aufnahmen aus der Luft zu erstellen.

Der Blick nach unten liefert die Erklärung dafür, wieso die Drohne die Entstehung eines neuen Luftraumes provoziert: Der Lärm der Modellflieger in den siebziger Jahren störte zwar, konnte aber reduziert und verhandelt werden; das Schauen der Drohne stört auch, gehört aber zu den erwünschten und vermarkteten Eigenschaften des Flugobjekts. Dieser Umstand ist es, der sowohl Sicherheitsfragen provoziert als auch die Drohne mit zahlreichen Rechtsgebieten kollidieren lässt, wie etwa dem Besitzschutz.45 Diese Fragen werden seit Beginn der Luftfahrt diskutiert, müssen aber mit der Drohne neu verhandelt werden – beispielsweise, wie viel Meter über Grund im Grundeigentum enthalten sind. Probleme bezüglich Datenschutz rücken die Drohne zusätzlich in den Fokus der Rechtsprechung und der Öffentlichkeit.46 Ein neuer, feinmaschig überwachter Luftraum namens U-Space ist der Vorschlag von offizieller Seite, um diese unterschiedlichen Interessen zu stabilisieren und den mittleren Luftraum für neue Geschäftszweige zu öffnen. Die Modellflieger*innen rund um Emil Giezendanner müssen sich heute erneut ihren Platz erkämpfen – ob ihre kleine Freiheit bestehen bleibt oder ob der mittlere Luftraum künftig vor allem von wirtschaftlichen Interessen bestimmt wird, wird sich zeigen.

Ich danke Hans-Ulrich Schlumpf und Emil Giezendanner für den bereitwilligen und interessanten Austausch sowie Seraina Winzeler für die Unterstützung in der Cinémathèque suisse.

Niki Rhyner studiert im Master »Geschichte und Philosophie des Wissens« an der ETH Zürich.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Fotografie aus dem persönlichen Archiv von Hans-Ulrich Schlumpf, aus: Kleine Freiheit, Zürich (1978, Copyright by Hans-Ulrich Schlumpf, Zürich).

Abb. 2: Filmstill aus: Hans-Ulrich Schlumpf: Kleine Freiheit, Zürich (1978, Copyright by Hans-Ulrich Schlumpf, Zürich).

Abb. 3: Carolyn Kerchof, Abfotografierte Doppelseite, aus: Walter Mittelholzer: Alpenflug, Zürich: Orell Füssli (1928, keine Seitenangabe).

Abb. 4: Carolyn Kerchof, Abfotografierte Doppelseite, aus: Erich Tilgenkamp: Flieg. Pro Aero: ein Schaubuch der schweizerischen Luftfahrt, Bern: Schweizer Aero-Revue (1940), S. 12–13.

Abb. 5: Alfred Schneider: »Plädoyer für die Zürcher Allmend«, in: anthos: Zeitschrift für Landschaftsarchitektur | Une revue pour le paysage, herausgegeben vom Bund Schweizer Landschaftsarchitekten und Landschaftsarchitektinnen BSLA 15 (1976), S. 20–23, hier S. 22.

Abb. 6: modellflugsport 2 (1974), Cover.

Abb. 7: modellflugsport 3 (1975), Cover.

Abb. 8: Fotografie aus dem persönlichen Archiv von Hans-Ulrich Schlumpf, aus: Kleine Freiheit, Zürich (1978, Copyright by Hans-Ulrich Schlumpf, Zürich).

Literatur
  1. 1

    Vgl. Schweizerisches Filmzentrum (Hg.): Kleine Freiheit von Hans-Ulrich Schlumpf, Zürich: Schweizerisches Filmzentrum (1978), S. 7f.

  2. 2

    Emil Giezendanner: »Editorial«, in: modellflugsport 2 (1975), S. 3.

  3. 3

    Andres Eberhard: »Flugplatz Speck: Modellflieger sehen ihr Hobby in Gefahr«, in: Zürcher Oberländer/Anzeiger von Uster (04.02.2017), S. 3.

  4. 4

    Ebd.

  5. 5

    Vgl. Stuart Banner: Who owns the sky? The Struggle to Control Airspace From the Wright Brothers On, Cambridge, MA: Harvard University Press (2008).

  6. 6

    Zum Begriff der airmindedness vgl. Peter Fritzsche: »Machine Dreams: Airmindedness and the Reinvention of Germany«, in: The American Historical Review 3 (1993), S. 685–709; Peter Adey: »Airports and Air-mindedness: Spacing, Timing and Using the Liverpool Airport, 1929–1939«, in: Social & Cultural Geography 3 (2006), S. 343–363.

  7. 7

    Walter Mittelholzer: Alpenflug, Zürich: Orell Füssli (1928), S. 3.

  8. 8

    Ebd., S. 2.

  9. 9

    Ebd., S. 7.

  10. 10

    Vgl. David Gugerli, Daniel Speich: Topografien der Nation: Politik, kartografische Ordnung und Landschaft im 19. Jahrhundert, Zürich: Chronos 2002.

  11. 11

    Die Dufourkarte zur Ansicht: https://s.geo.admin.ch/781015c1fc.

  12. 12

    Erich Tilgenkamp: Flieg! Ein Schaubuch der schweizerischen Luftfahrt, Bern: Schweizer Aero-Revue (1940), S. 11.

  13. 13

    Ebd., S. 7.

  14. 14

    1954 stellte die Schweiz auf das sogenannte »Luftstrassensystem« um.

  15. 15

    Vgl. Schweizer Filmwochenschau, »Flugmeeting en miniature«, 27.09.1957, aus: Filmbestand Schweizer Filmwochenschau (1940-1975), Schweizerisches Bundesarchiv, J2.143#1996/386#787-1#4*,http://media.zem.ch/01WS/1957/SFW_0787.mp4#t=288,365.

  16. 16

    Emil Giezendanner: »Editorial«, in: modellflugsport 5 (1978), S. 3.

  17. 17

    Hans-Ulrich Schlumpf, »›Hobby‹ (Arbeitstitel). Gesuch um einen Drehbuch-Beitrag für eine mittellange bis lange dokumentarische Film-Recherche«, 31.03.1975, Cinémathèque suisse, Abteilung Dokumentationsstelle Zürich, Fonds Hans-Ulrich Schlumpf, CSZ-013-01-08-04, S. 5f.

  18. 18

    Hans-Ulrich Schlumpf an Alex Bänninger, 21.08.1975, Cinémathèque suisse, Abteilung Dokumentationsstelle Zürich, Fonds Hans-Ulrich Schlumpf, CSZ-013-01-08-02.

  19. 19

    Cinémathèque suisse, Abteilung Dokumentationsstelle Zürich, Fonds Hans-Ulrich Schlumpf, CSZ-013-01-08-01.

  20. 20

    Gottlieb Duttweiler, »Mehr Lebensinhalt durch mehr Freizeit«, 1957, Cinémathèque suisse, Abteilung Dokumentationsstelle Zürich, Fonds Hans-Ulrich Schlumpf, CSZ-013-01-08-01.

  21. 21

    Freie Jugend Winterthur, »Freizeit – keine Freiheit von der Entfremdung«, 25.09.1974, Cinémathèque suisse, Abteilung Dokumentationsstelle Zürich, Fonds Hans-Ulrich Schlumpf, CSZ-013-01-08-01.

  22. 22

    Alfred Schneider: »Plädoyer für die Zürcher Allmend«, in: anthos: Zeitschrift für Landschaftsarchitektur | Une revue pour le paysage, herausgegeben vom Bund Schweizer Landschaftsarchitekten und Landschaftsarchitektinnen BSLA: 15 (1976), S. 20–23, hier S. 21. Hinzufügung durch die Autorin.

  23. 23

    Ebd., S. 23.

  24. 24

    Gemeint ist die »Verordnung vom 06.09.1976 über bestimmte Fluggeräte und Flugkörper (VFF)«, die am 01.01.1977 in Kraft trat. Vgl. https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19760199/index.html.

  25. 25

    Emil Giezendanner: »Editorial«, in: modellflugsport 5 (1976), S. 3.

  26. 26

    Emil Giezendanner: »Editorial«, in: modellflugsport 2 (1978), S. 3.

  27. 27

    Die Modellfluggruppe Büren durfte zum Beispiel nur noch zu bestimmten Tageszeiten ihre Modellflugzeuge mit Verbrennungsmotor fliegen: abends unter der Woche bis um 18 Uhr und sonntags nur vormittags. Vgl. Emil Giezendanner: »Die Geschichte eines Modellflugplatzes«, in: modellflugsport 6 (1979), S. 23–26.

  28. 28

    Zum Beispiel in den Ausgaben modellflugsport 2 (1974), S. 6; modellflugsport 1 (1976), S. 10; modellflugsport 2 (1978), S. 12–13.

  29. 29

    Vgl. Emil Giezendanner: »Lärmbekämpfung im Modellflug. Erster schweizerischer Lärmbekämpfungskurs in Biel«, in: modellflugsport 2 (1978), S. 12–13.

  30. 30

    Emil Giezendanner: »Die im wahrsten Sinne des Wortes ›Leise Revolution‹ im Modellflug«, in: modellflugsport 2 (1980), S. 2ff., hier S. 3.

  31. 31

    Beide Abstimmungen fanden noch vor der Einführung des kantonalen Frauenstimmrechts in Zürich am 15.11.1970 statt.

  32. 32

    Vgl. unter anderen Hannes Steiger: »Editorial«, in: modellflugsport 2 (1974), S. 3.

  33. 33

    Emil Giezendanner: »Editorial«, in: modellflugsport 4 (1977), S. 3.

  34. 34

    Emil Giezendanner: »Editorial«, in: modellflugsport 1 (1978), S. 3.

  35. 35

    Werner Heise: »Flugmodellbaukurse und der Nachwuchs«, in: modellflugsport 1 (1975), S. 4–5, hier S. 4.

  36. 36

    Emil Giezendanner: »Editorial«, in: modellflugsport 3 (1975), S. 3.

  37. 37

    Johanna Wedl: »Airbus und Drohne stossen fast zusammen«, in: Neue Zürcher Zeitung, https://www.nzz.ch/zuerich/aktuell/flughafen-zuerich-airbus-und-drohne-stossen-fast-zusammen-ld.1297063 (26.05.2017).

  38. 38

    »Darf ich die Drohne des Nachbarn abschiessen?« (o.V.), in: 20 Minuten, http://www.20min.ch/finance/news/story/Darf-ich-die-Drohne-des-Nachbarn-abschiessen--23624237 (03.04.2017).

  39. 39

    Bundesamt für Zivilluftfahrt: »Dürfen kleine Drohnen alles?«, https://www.bazl.admin.ch/bazl/de/home.html (13.12.2017).

  40. 40

    »Drohnen-Gesuche überfordern das Bazl« (o.V.), in: Schweizer Radio und Fernsehen, https://www.srf.ch/news/schweiz/unter-druck-drohnen-gesuche-ueberfordern-das-bazl (14.12.2017).

  41. 41

    Zur Selbstkontrolle stellt der Bund eine Karte der Flugverbotszonen zur Verfügung: https://s.geo.admin.ch/780511d733.

  42. 42

    Skyguide: Medienmitteilung, 14.09.2017, Dokument verfügbar unter: https://www.skyguide.ch/wp-content/uploads/2017/09/INMR-2017-09-14-D-U-Space-Demonstration.pdf.

  43. 43

    Im Folgenden ist der zivile Gebrauch von Drohnen gemeint; für die militärisch genutzte Drohne siehe Grégoire Chamayou: Ferngesteuerte Gewalt: Eine Theorie der Drohne, Wien: Passagen Verlag (2014).

  44. 44

    Es gibt zivile Nutzungen der Drohne, die sich dieser Charakterisierung entziehen. So gibt es wie im Modellflugsport eine DIY-Kultur, die das Selber-Bauen der Drohne pflegt, oder Nutzungen im Bereich der digitalen Kunst. Zum Beispiel Jasper van Loenen: »DIY (Drone It Yourself) v1.0«, https://vimeo.com/68841788 (2014) und Ars Electronica: »Drone 100«, https://www.youtube.com/watch?v=7cegKFOW5fM (11.01.2016).

  45. 45

    Vgl. Daniel Kettiger: »Das gerichtliche Verbot als Instrument zur Abwehr ziviler Drohnen«, in: Jusletter (11.04.2016); Stephanie Hrubesch-Millauer, David Bruggisser: »Sachenrechtliche Aspekte zum Einsatz von privaten Drohnen«, in: Jusletter (11.08.2014).

  46. 46

    Rolf H. Weber, Dominic Oertly: »Datenschutzrechtliche Problemfelder von zivilen Drohneneinsätzen«, in: Jusletter (26.10.2015).