Æ Æther

Flughafen Kloten: Anatomie eines komplizierten Ortes
1
Robin Leins

Sicherheit am Fliessband

In den siebziger Jahren wurde am Zürcher Flughafen die »totale Kontrolle« aller Passagiere eingeführt. Die steigende Zahl an Flugzeugentführungen sollte mit logistischen Methoden bekämpft werden.

Flughafen Zürich-Kloten, 1964: Der Blick des elegant gekleideten Herren gleitet von der Besucherterrasse über das betriebsame Vorfeld. Er trifft auf Flugzeuge der Swissair, Reisende, die sich zu Fuss zu ihren Flugzeugen begeben, Flughafenarbeiter*innen auf Fahrrädern und Gepäckwagen. Ein kleiner Vorgarten mit gepflegtem Rasen trennt die schicke Terrasse vom emsigen Flugbetrieb. Vergeblich sucht man nach Absperrungen, Sicherheitskräften oder Überwachungskameras: Das Bild stammt aus einer Zeit, in der eine Flugreise noch das Gefühl von Freiheit, Luxus und Fortschritt vermittelte. Die Besucherterrasse war Element der offenen und einladenden Flughafenarchitektur in den Anfangsjahren des zivilen Luftverkehrs, als sich Personen frei am Flughafen bewegen konnten – um eine Reise anzutreten, sich von Angehörigen zu verabschieden oder einfach dem bunten Treiben in der Abflughalle und auf dem Vorfeld zuzusehen. Für die Flugreisenden, Geschäftsleute oder gut betuchte Tourist*innen gab es in diesem »goldenen Zeitalter des Luftverkehrs«1 noch keine Passkontrolle. Um das Flughafengelände herum gab es vielerorts nicht einmal einen Zaun.2

In den sechziger Jahren rechnete kaum jemand damit, dass der Flughafen Zürich einmal Ziel eines gewaltsamen Anschlags werden könnte: Selbst als sich gegen Ende der sechziger Jahre die Meldungen über Flugzeugentführungen aus dem Ausland häuften, wähnte man sich in der neutralen Schweiz in Sicherheit. Am 18. Februar 1969 geschah schliesslich das »Undenkbare«,3 als vier Angehörige der »Palästinensischen Befreiungsorganisation« (PLO) mit automatischen Waffen auf das Vorfeld des Zürcher Flughafens schritten und eine Boeing 720 der israelischen Fluggesellschaft El Al beschossen. Bei dem missglückten Attentat wurde einer der Angreifer getötet, drei weitere konnten von der Polizei verhaftet werden. Am 21. Februar 1970 wurde ein zweites Attentat verübt, als in einem Swissair-Flug von Zürich nach Tel Aviv eine Paketbombe explodierte. In der Gemeinde Würenlingen stürzte das Flugzeug in den Boden, überschlug sich und explodierte. Der Flugzeugabsturz forderte 47 Menschenleben und bleibt bis heute der schlimmste Terroranschlag, der in der Schweiz verübt wurde.4 Ein weiterer Vorfall ereignete sich am 6. September 1970, als Mitglieder der PLO zwei Flugzeuge – darunter eines der Swissair – in die jordanische Wüste entführten. Ziel der Entführer*innen war unter anderem die Freilassung der drei Palästinenser, die nach dem Attentat auf die El Al zu einer zwölfjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden waren. Unter Hochdruck verhandelten die Unterhändler Israels, der USA, Grossbritanniens, Westdeutschlands und der Schweiz mit den Entführer*innen und gaben dabei in fast allen Punkten nach. Am 12. September liessen diese schliesslich die letzten Geiseln frei und sprengten anschliessend die leeren Flugzeuge. Die Bilder des brennenden Swissair-Flugzeugs gingen um die Welt.5

Abb. 1: Offene Flughafenarchitektur in den sechziger Jahren: Blick von der Besucherterrasse auf das Vorfeld des Flughafens Zürich-Kloten.

In Zürich wurden als Konsequenz aus den Anschlägen drei Massnahmen ergriffen: Erstens beschloss die Kantonspolizei, alle abfliegenden Reisenden einer genauen Kontrolle zu unterziehen. Auf dem Vorfeld richtete sie dafür improvisierte Kontrollstellen ein, an denen alle Reisenden abgetastet und ihr Gepäck von Hand durchsucht wurde.6 Zweitens legte der Bundesrat in der gleichen Sitzung fest, dass künftig alle »gefährdeten« Swissair-Flüge von fliegenden Sicherheitsbeamten, sogenannten Tigern, begleitet werden sollten. Drittens beschloss der Bundesrat am 25. September 1970 den Einsatz der Armee, um den Flughafen gegen gewaltsame Angriffe von aussen zu schützen. Schon am nächsten Tag rückte ein Gebirgsschützenbataillon mit sechshundert Mann an den Flughafen vor, um das Gelände zu bewachen und notfalls zu verteidigen. »Rund um die Flughäfen herum«, schrieb das Weltwoche Magazin 1974, »begann die triste Zeit der Stacheldrahtverhaue, der Schützengräben und Wachttürme, Sturmgewehre, Maschinenpistolen, Infrarotstrahler, Wachhunde«.7

Das goldene Zeitalter der Flugzeugentführungen

Anfang der siebziger Jahre nahmen Flugzeugentführungen und terroristische Anschläge weltweit zu. Im Buch The Skies Belong to Us beschreibt der Journalist Brendam I. Koerner, wie einfach es in den sechziger und frühen siebziger Jahren war, ein Passagierflugzeug zu entführen.8 Im »Golden Age of Hijacking« brauchte man dafür kaum mehr als ein gültiges Flugticket, ein Messer und die Bereitschaft, das eigene Leben zu riskieren. Dies lockte nicht nur Organisationen wie die PLO an, sondern auch spontane Einzeltäter*innen, Personen mit psychischen Erkrankungen und Kleinkriminelle. Sie alle nutzten die Tatsache, dass Länder erpressbar waren, wenn das Leben ihrer Bürger*innen auf dem Spiel stand. Globale Nuklearmächte, die im Verlauf des Kalten Krieges gerade ihre ganze militärische Stärke zu einem Gleichgewicht des Schreckens auftürmten, konnten von einem Aussenseiter mit einem Teppichmesser erpresst werden.9

Abb. 2: Die Bilder der brennenden Flugzeuge gingen um die Welt: Sprengung der entführten Flugzeuge in der jordanischen Wüste. Still aus »1970 PFLP Dawson's Field«.

Die Vorschläge, wie man der grossen Zahl der Flugzeugentführungen begegnen sollte, waren vielfältig und mitunter kreativ. Legendär wurde die Idee, die Archie Bunker 1972 in der Comedy-Serie All in the Family präsentierte: »They just pass out pistols at the beginning of the trip, and then pick ’em up again at the end – case closed.«10 Realistischer, aber vom Prinzip her ähnlich, war der Einsatz von Sicherheitspersonal auf sogenannten Risikoflügen. Allerdings stellte sich hier die Frage, ob dies die Sicherheit tatsächlich verbesserte oder im Falle einer Entführung bloss das Risiko eines Gewaltausbruchs erhöhte. Umstritten waren auch die gewaltsamen Befreiungsaktionen der Polizei. Zwar wurde angenommen, dass ihnen eine abschreckende Wirkung zukam; sie waren aber auch äusserst riskant: Von allen Menschen, die zwischen 1968 und 1986 bei Flugzeugentführungen starben, kamen laut Schätzungen 85 Prozent bei solchen Befreiungsaktionen ums Leben.11

So konzentrierten sich die betroffenen Staaten, allen voran die USA und Israel, bald aber auch alle anderen Industriestaaten, auf vorbeugende beziehungsweise vorgelagerte Massnahmen. Konkret wurden dabei politische, juristische oder logistische Lösungsansätze erprobt, die jeweils unterschiedliche Konsequenzen nach sich zogen.

In der politischen Betrachtung waren Flugzeugentführungen eine Folge von Konflikten – wie beispielsweise des Nahostkonflikts –, die mit den Anschlägen auf den Luftverkehr internationalisiert wurden. Die Sicherheit des Flugverkehrs konnte demnach durch diplomatische Mittel erhöht werden. So konnten sich die vom Terror bedrohten Staaten für eine friedliche Konfliktlösung einsetzen, die staatliche Duldung oder Unterstützung von terroristischen Organisationen sanktionieren oder die geheimdienstliche Informationsbeschaffung ausbauen.12

Aus juristischer Perspektive erfüllte eine Flugzeugentführung beispielsweise die Tatbestände Erpressung, Nötigung, Freiheitsberaubung, Entführung oder Geiselnahme (in der Schweiz Art. 156, 181 und 183–185 StGB). Die strafrechtliche Verfolgung von Flugzeugentführer*innen gestaltete sich jedoch schwierig, da die Ermittlungen oft von politischen Interessengruppen behindert wurden. Oftmals wendeten politische Kräfte eine Verurteilung von Terroristinnen und Terroristen aus Angst vor Vergeltungsschlägen oder diplomatischen Konflikten ab. Auch für die Paketbombe, die im Februar 1970 zum verheerenden Absturz über Würenlingen führte, musste sich nie jemand vor Gericht verantworten – trotz erdrückender Beweislage wurden die Ermittlungen abrupt eingestellt. Inzwischen gibt es Hinweise, dass der Schweizer Bundesrat die Einstellung des Verfahrens in einem geheimen Abkommen mit der PLO vereinbarte.13

Weniger offensichtlich, aber effektiver als die politische und die juristische Perspektive, war die Konstruktion des Terrorismus als logistische Herausforderung. In dieser Sichtweise wird der Terror auf seine notwendigen Bedingungen reduziert: Akteur und Waffe. Das Problem liegt in dieser Betrachtung nicht in den Intentionen oder kriminellen Energien der Täter*innen, sondern – sehr viel schlichter – in deren nicht-reglementierten Zugang zum Flugzeug.

Einführung der »totalen Kontrolle«

Die logistische Herangehensweise hatte den Vorteil, dass sie sich relativ gut in die bestehende Flughafenorganisation integrieren liess. Bereits vor 1970 wurden die Passagiere am Check-in von ihrem Gepäck getrennt, und an der Ticketkontrolle blieben diejenigen, die kein Flugticket vorweisen konnten, zurück. Neu hinzu kam die Sicherheitskontrolle, bei der die Reisenden von allen als gefährlich eingestuften Gegenständen getrennt wurden. Der neue Ansatz wurde von der Polizei und später den Medien als »totale Kontrolle«14 bezeichnet, um ihn von der »selektiven Kontrolle« einzelner Reisender zu unterscheiden: Alle Reisenden wurden nun gleichermassen überprüft – im Prinzip unabhängig von Aussehen, Geschlecht, Alter und Nationalität.15

Selbst als sich gegen Ende der sechziger Jahre die Meldungen über Entführungen aus dem Ausland häuften, wähnte man sich in der neutralen Schweiz in Sicherheit.

Abb. 3: Straflosigkeit für die mutmasslichen Täter: Aufräumarbeiten nach dem Flugzeugabsturz in Würenlingen, 1970.

So simpel das logistische Konzept der Terrorabwehr war, so überstürzt erfolgte die konkrete Umsetzung im laufenden Betrieb. Relativ plötzlich mussten nun knapp 7000 Passagiere pro Tag mit ihrem Handgepäck kontrolliert und pünktlich zum Flugzeug vorgelassen werden. Die »totale Kontrolle« wurde in Zürich am 7. September 1970 eingeführt, noch während die entführte Swissair-Maschine in der jordanischen Wüste lag. In einer ersten Phase wurde die Kontrolle von der Kantonspolizei und der Swissair durchgeführt, welche dafür täglich vierzig bis fünfzig Sicherheitsbeauftragte aufboten.16 Nachdem die Kontrolle zunächst auf dem Vorfeld stattgefunden hatte, verlegte man die Kontrollstationen nach einigen Wochen in die Abflughalle. Diese wurde nun mit einer Trennwand in zwei Bereiche geteilt. In Anlehnung an den Hygienediskurs bezeichneten die Verantwortlichen den Bereich vor der Kontrolle als »unsauberen«, die kontrollierte Zone als »sauberen Bereich«.17

Als Hilfsmittel standen dem Personal anfänglich weder Metalldetektoren noch Röntgengeräte zur Verfügung, so dass jedes Gepäckstück geöffnet und jeder Passagier von Hand abgetastet werden musste. Ein Mitarbeiter der Kantonspolizei erinnerte sich später an »beinahe chaotische Zustände«18 während dieser Zeit: Die Möblierung war improvisiert, die Reisenden überfordert und das Personal nur rudimentär auf die anspruchsvolle Aufgabe vorbereitet. Bei grossem Andrang zog sich die Warteschlange durch die ganze Abflughalle.

Im Frühjahr 1971 trafen sich der Polizeidirektor, der Bundesanwalt, der Polizeikommandant, der Chef des Offizierspostens Flughafen, der Direktor des Amts für Luftverkehr und der Stationsleiter der Swissair zur Krisensitzung. Angesichts der gravierenden Probleme beschlossen sie, die »totale Kontrolle« nach sechs Monaten wieder aufzuheben und durch eine selektive Kontrolle von besonders gefährdeten Flügen zu ersetzen.19 Offenbar wurde das ökonomische Interesse am Passagierkomfort und an der Pünktlichkeit der Flüge stärker gewichtetet als der Schutz vor weiteren Anschlägen.

Die Einführung der Passagierkontrolle führte zu »beinahe chaotischen Zuständen«: Die Möbilierung war improvisiert, die Reisenden überfordert und das Kontrollpersonal wurde nur rudimentär auf die Aufgabe vorbereitet.

In der Folge traf die Swissair mit den Behörden eine Auswahl von Flügen, die ab 1971 einer Passagier- und Handgepäckkontrolle unterzogen werden sollten. Flüge ausländischer Fluggesellschaften kontrollierte die Kantonspolizei nur noch auf deren »ausdrücklichen und schriftlich formulierten Wunsch«.20 Mit einem Rundbrief fragte sie bei sämtlichen Airlines nach, ob sie eine Fortführung der Personen- und Handgepäckkontrolle wünschten, was immerhin 22 Airlines bejahten.21 Diese Sicherheitskontrolle »auf Bestellung« etablierte eine bemerkenswerte Verschiebung der Verantwortung von den Behörden auf die einzelnen Airlines. Diese mussten nun die Vor- und Nachteile einer Sicherheitskontrolle selbst beurteilen – unter Berücksichtigung der weltpolitischen Lage und des spezifischen Risikos der geflogenen Strecke. Im Fall einer Flugzeugentführung waren die entstehenden Kosten laut Behörden »vom Verursacher zu tragen; in der Regel von der betreffenden Fluggesellschaft, die Entführer an Bord gehen liess.«22

In den ersten vierzehn Monaten, in denen die »totale Kontrolle« praktiziert wurde, zog die Kantonspolizei tausende Gegenstände ein. Darunter befanden sich 379 Schusswaffen und 4650 sonstige »gefährliche« Gegenstände.23 Die Kriterien hierfür waren in den ersten Monaten der Kontrolle noch sehr vage: 1971 befanden sich darunter nicht nur Schusswaffen, Stellmesser und Tränengassprays, sondern alle möglichen Objekte »gefährlicher oder unkontrollierbarer Art«.24 Eine eindeutige Gefährdung ging in den Augen der Behörden beispielsweise von Giftstoffen und anderen Chemikalien aus. Spielzeugwaffen dagegen waren zwar ungefährlich, hätten aber für eine Flugzeugentführung dennoch Verwendung finden können. Bei der Sicherheitskontrolle kamen jedoch auch Kofferinhalte wie eine tote Katze, Kuckucksuhren und antike Morgensterne zum Vorschein. Weitere Gegenstände wurden eingezogen, weil das Kontrollpersonal den Inhalt nicht überprüfen konnte – »Mappe nicht zu öffnen« notierte in diesen Fällen das Sicherheitspersonal und übergab die fraglichen Objekte dem Piloten zur Aufbewahrung. Nach der Landung wurden die eingezogenen Gegenstände den Besitzer*innen wieder ausgehändigt.

Während der »totalen Kontrolle« von 1970 bis 1971 wurden täglich 6'890 Personen beziehungsweise 140 Flüge kontrolliert.25 In den ersten Monaten wurde das dafür nötige Personal – rund fünfzig Männer und Frauen – noch stundenweise von der Grenzpolizei ausgeliehen. Diese ausgebildeten Polizist*innen rotierten von nun an zwischen ihrer »angestammten« Arbeit bei der Passkontrolle und der neu geschaffenen Sicherheitskontrolle. Da weibliche Passagiere nur von Frauen kontrolliert werden durften, stellte zudem die Swissair einen Teil ihrer Mitarbeiterinnen für diese Aufgabe zur Verfügung. Dazu kamen Polizist*innen aus verschiedenen Korps der ganzen deutschsprachigen Schweiz. Erst als sich nach einigen Monaten abzeichnete, dass die Sicherheitskontrolle fortbestehen würde, ging die Kantonspolizei dazu über, das Personal für die Kontrolle selbst zu rekrutieren. Eine Herausforderung war dabei insbesondere die Rekrutierung von Frauen, welche für die Kontrolle der weiblichen Passagiere benötigt wurden. Auf der Suche nach geeigneten Kontrolleurinnen – im bestehenden Polizeikorps und beim Zoll waren damals fast keine Frauen beschäftigt – begann die Kantonspolizei 1971, die Ehefrauen von Polizeibeamten für die Sicherheitskontrolle anzustellen. Zufrieden stellte man fest, dass sich die »Polizistenfrauen« dafür »gut eignen und [sie] zuverlässig sind«.26

»Kein unnötiger Perfektionismus«

Damit war die Sicherheitskontrolle als logistische Massnahme gegen die gewaltsamen Angriffe auf den Flugverkehr eingeführt. Die Kontrolle von ausgewählten Flügen blieb in dieser Form bestehen, bis am 1. November 1975 das neue Terminal B eröffnet wurde. Mit dem Neubau sollte sich die Kapazität des Flughafens auf einen Schlag verdoppeln. Das 270 Millionen Schweizer Franken teure Projekt stellte für die Kantonspolizei die Chance dar, die Passagier- und Handgepäckkontrolle einerseits besser in die Flughafenarchitektur zu integrieren und andererseits die manuelle Kontrolle durch technische Lösungen zu ersetzen.

Abb. 4: Röntgenkontrolle »als Kompromisslösung«: Sicherheitsbeamte bei der Arbeit mit einem Gerät der ersten Generation, ca. 1982.

Inzwischen versuchten mehrere Firmen, sich mit technischen Kontrollsystemen auf dem neu entstehenden Markt für Sicherheitstechnik an Flughäfen zu positionieren. In Zürich interessierte man sich insbesondere für die grossen, bogenförmigen Metalldetektoren. Erste Versuche im Terminal A hatten bereits gezeigt, dass ein einzelner Metalldetektor zwei bis drei Durchlaufkabinen ersetzen konnte. Zudem konnte die benötigte Zeit von drei bis fünf Minuten auf rund eine Minute pro Person gesenkt werden.27 Im Terminal B schlug die Kantonspolizei eine Variante vor, bei der die Reisenden ihr Handgepäck abgeben mussten und dann durch den Metalldetektor schritten. Gab die Maschine Alarm, folgte eine Nachkontrolle von Hand. Anschliessend gingen sie zum Handgepäck zurück, welches gegebenenfalls ebenfalls nachkontrolliert werden musste. Die Flughafen-Immobilien-Gesellschaft (FIG), welche die Planung des Terminal B verantwortete, war vom Vorschlag der Kantonspolizei nicht überzeugt: »Die vorliegende Lösung scheint sehr kompliziert und zu ausschliesslich auf die Anforderungen der Polizei massgeschneidert«, kritisierte sie in einer Sitzung der zuständigen Projektgruppe. Die Passagierkontrolle dürfe den Flugverkehr nicht übermässig behindern: »Es soll kein unnötiger Perfektionismus getrieben werden. Im Prinzip geht es um eine Verunsicherung der Passagiere.«28

In dieser hitzigen Diskussion wies ein Sitzungsteilnehmer auf die Möglichkeit hin, das Handgepäck mit einem Röntgengerät zu kontrollieren, wie das an manchen Flughäfen bereits geschah. Zusammen mit dem Metalldetektor würde dies den Kontrollprozess massiv beschleunigen und vereinfachen. Die Idee stiess in der Projektgruppe auf offene Ohren: »Obwohl kein anwesender Vertreter der verschiedenen Körperschaften spontan eine Finanzierungsmöglichkeit sieht, werden Vor- und Nachteil der Röntgen-Gepäck-Kontrolle eingehend diskutiert.«29 Letztlich sprachen sich Kantonspolizei, Swissair, Flughafen-Immobilien-Gesellschaft und das Amt für Luftverkehr einstimmig für die Röntgenmaschinen aus. Einzig die Architekten warnten vergeblich vor einer Planänderung in dieser »kritischen Phase« des Neubauprojekts.30

Mit den neuen Geräten liessen sich gemäss Hersteller mehr als 1000 Gepäckstücke pro Stunde kontrollieren. Für die Reisenden gestaltete sich die Kontrolle deutlich angenehmer, da sie ihr Handgepäck nicht mehr öffnen und durchsuchen lassen mussten. In rund siebzig Prozent der Fälle, so die Erfahrungen aus dem Ausland, konnten die Gepäckstücke nach der Röntgenkontrolle freigegeben werden. Bemerkenswerterweise glaubte aber niemand, dass die Sicherheit dank der Geräte steigen würde. »Die beste Kontrolle«, so war man sich am Flughafen einig, »bleibt die gewissenhafte manuelle Kontrolle«.31 Eine Röntgenkontrolle sei jedoch »als Kompromisslösung akzeptierbar«, da sie die Personalkosten massiv reduziere und auch den Passagierkomfort erhöhe.

Abb. 5: Kontrolle nach dem Fliessbandprinzip: Sicherheitsbeamtin bei der manuellen Nachkontrolle eines Gepäckstücks, siebziger Jahre.

Eine eilig geschaffene »Arbeitsgruppe« sollte die verschiedene Geräte evaluieren; sie empfahl schliesslich ein amerikanisches Modell, von dem die Kantonspolizei acht Stück bestellte.32 Trotz der nur mässig ausgereiften Technik war die Bedienung der Maschinen relativ einfach, so dass (laut Hersteller) ein Tag Instruktion für die Kontrolleur*innen ausreichen sollte. Die Herstellerfirma stellte dazu eine »Tonbildschau« zur Verfügung, die von der Kantonspolizei Zürich ins Deutsche übersetzt wurde. Schwieriger als die Bedienung der Geräte war die Auswertung der Röntgenbilder, für die es erstaunlicherweise keine besondere Schulung gab. Offenbar vertraute man darauf, dass die Kontrolleur*innen von selber lernen würden, potentielle Waffen zu erkennen.

Passagierführung nach dem Fliessbandprinzip

Bei der Passagierführung an den Kontrollstationen entschied sich die Kantonspolizei für ein Vorgehen, das noch heute üblich ist: Die Reisenden legen ihr Handgepäck vor der Röntgenmaschine auf ein Laufband, gehen durch den Metalldetektor und nehmen dann – im Regelfall – ihr Handgepäck wieder zu sich. Diese Passagierführung war einfach und nachvollziehbar, und die eigentliche Kontrolle dauerte im besten Fall nur wenige Sekunden.33 Die Sicherheitskontrolle folgte damit einem Fliessbandprinzip, bei dem jede*r der fünf Kontrolleur*innen am eigenen Posten blieb und die Personen und Gepäckstücke zu ihnen kamen.

Abb. 6: Streng bewachter Luftverkehr: Kantonspolizisten auf dem Rollfeld in Zürich-Kloten, 1985.

Nach der Eröffnung des Terminal B waren Stadt- und Kantonspolizei, Amt für Luftverkehr, FIG und Swissair so zufrieden mit dem neuen System, dass sie die Sicherheitskontrolle auf alle abfliegenden Passagiere ausweiten wollten.34 Als die »elektrische Kontrolle« am 1. April 1976 auch im Terminal A eingeführt wurde, kehrte die »totale Kontrolle« wieder an den Flughafen Zürich zurück: Als erster Flughafen in Europa unterzog Zürich-Kloten wieder sämtliche abfliegenden Flüge einer vollständigen Sicherheitskontrolle von Personen und ihrem Handgepäck.35

So etablierte sich in Zürich, wie später auf allen grossen Flughäfen weltweit, eine immer dichtere Sicherheitskontrolle. Bis zum Ende der siebziger Jahre wurde die Sicherheitskontrolle immer nahtloser in die bestehenden Strukturen integriert, bis sie fest in der Polizeiorganisation, der Flughafenarchitektur, den Passagiergebühren und den relevanten Gesetzen verankert war. Gleichzeitig gewöhnten sich die Passagiere an den Prozess – und reagierten zunehmend misstrauisch auf »lasche« Kontrollen, wie beispielsweise die zahlreichen Leserbriefe zu diesem Thema in Tageszeitungen zeigen.36

Die Grenzen der logistischen Logik zeigten sich spätestens in den achtziger Jahren, als es Terrorist*innen immer häufiger gelang, die Sicherheitskontrollen zu umgehen, etwa indem sie ihre Waffen in einem Land mit niedrigeren Sicherheitsstandards an Bord brachten. In anderen Fällen griffen Terrorist*innen auf Schusswaffen mit einem hohen Plastikanteil zurück, da diese auf den Röntgenbildern kaum sichtbar waren. Mit der Verbreitung solcher Tricks stieg die Zahl der Flugzeugentführungen ab 1980 wieder deutlich an. »Die Verletzlichkeit des Luftverkehrs«, musste der Zürcher Polizeikommandant 1985 zugeben, sei »trotz der Einführung umfangreicher Sicherheitsmassnahmen bestehen geblieben.«37

Robin Leins hat den Master »Geschichte und Philosophie des Wissens« (ETH) 2016 abgeschlossen. Der Beitrag basiert auf seiner Masterarbeit »Gefährliche Körper. Die Entstehung der Sicherheitskontrolle am Flughafen Zürich im Spannungsfeld zwischen Sicherheit, Wirtschaftlichkeit und Komfort (1969–1986)«, die an der Professur für Technikgeschichte der ETH betreut wurde.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Fred Mayer, Blick von der Zuschauertribüne am Flughafen Zürich-Kloten, 1962–1966, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR05-200554-03A.

Abb. 2: Still aus catzotto: »1970 PFLP Dawson's Field«, https://www.youtube.com/watch?v=5de6fYWKDWU (25.09.2010).

Abb. 3: Unbekannt, Flugzeugabsturz der Coronado HB-ICD in Würenlingen, 21.02.1970, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Comet Photo AG, Com_C18-110-002.

Abb. 4: Unbekannt, Sicherheitskontrolle und Gepäckkontrolle im Flughafen Zürich-Kloten, ca. 1982, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR04-019024.

Abb. 5: Unbekannt, Sicherheitskontrolle und Gepäckkontrolle im Flughafen Zürich-Kloten,1970–1980, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR04-055754.

Abb. 6: Unbekannt, Flughafenpolizei auf dem Rollfeld in Zürich-Kloten, 07/1985, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR04-016339.

Literatur
  1. 1

    Wolfgang Borgmann: Das goldene Zeitalter des Luftverkehrs, Stuttgart: Motorbuch (2014).

  2. 2

    Vgl. Kantonspolizei Zürich: »Von der Grenzpolizei Dübendorf zum Offiziersposten Flughafen Kloten«, Chronik vom 03.11.1970, StAZH, Z 44.1911.

  3. 3

    Ebd.

  4. 4

    Otto Hostettler: »Swissair-Attentat 1970: Mantel des Schweigens«, in: Beobachter 21 (2010).

  5. 5

    Vgl. David Pascoe: Airspaces, London: Reaktion Books (2001), S. 186–188.

  6. 6

    Vgl. Erich Meier: Flughafen Zürich 1948–1988, 4. Aufl., Zürich: Amt für Luftverkehr (1988), S. 110.

  7. 7

    Walter Senn: »Doppelt genäht hält nicht immer besser«, in: Weltwoche Magazin, 24.04.1974.

  8. 8

    Vgl. Brendam I. Koerner: The Skies Belong to Us: Love and Terror in the Golden Age of Hijacking, New York: Crown Publishing Group (2013).

  9. 9

    Vgl. Joseph Masco: The Theater of Operations: National Security Affect From the Cold War to the War on Terror, Durham: Duke University Press (2014), S. 10.

  10. 10

    greatonyak: »Archie Bunker on Gun Control«, USA (1972), https://www.youtube.com/watch?v=CLjNJI54GMM (23.11.2006).

  11. 11

    Vgl. Sepp Moser: »Ist das Flugzeug noch das sicherste Verkehrsmittel?«, in: Tages Anzeiger (1986).

  12. 12

    Vgl. Albert Wirz: »Zahlen sich Geiselnahme und Terror aus?«, in: Tages Anzeiger (28.06.1985).

  13. 13

    Vgl. Marcel Gyr: Schweizer Terrorjahre. Das geheime Abkommen mit der PLO, Zürich: NZZ Libro (2016).

  14. 14

    Kantonspolizei Zürich: »Sicherheitskontrolle: Zusammenfassender Bericht für die Jahre 1969–1971«, interner Bericht von 1972, StAZH, Z 44.1905.

  15. 15

    Vgl. hierzu: Peter Adey: »Facing Airport Security: Affect, Biopolitics, and the Preemptive Securitisation of the Mobile Body«, in: Environment and Planning D: Society and Space 27/2 (2009), S. 274–295, hier S. 278.

  16. 16

    Vgl. Kantonspolizei Zürich: »Sicherheitskontrolle: Zusammenfassender Bericht für die Jahre 1969-1971«, interner Bericht von 1972, StAZH, Z 44.1905.

  17. 17

    Zum Hygienediskurs: Mary Douglas: Purity and Danger: an Analysis of Concept of Pollution and Taboo, Routledge classics, London/New York: Routledge and Kegan Paul (2005).

  18. 18

    Kantonspolizei Zürich: »Sicherheit von Personen und Sachen am Flughafen Zürich-Kloten«, Vortrag vor dem Hauseigentümerverband des Bezirkes Dielsdorf am 07.02.1977, StAZH, Z 44.1884.

  19. 19

    Vgl. Kantonspolizei Zürich: »Sicherheitskontrolle: Zusammenfassender Bericht für die Jahre 1969–1971«, interner Bericht von 1972, StAZH, Z 44.1905.

  20. 20

    Ebd.

  21. 21

    Vgl. Kantonspolizei Zürich: »Liste über die checkpflichtigen Flugkurse«, Verfügung vom 07.07.1972, StAZH, Z 44.1904.

  22. 22

    Kantonspolizei Zürich: »Auswertungsbesprechung betreffend Entführung des IBERIA-Flugzeuges vom 15./16. März 1977«, Beschlussprotokoll vom 14.04.1977, StAZH, Z 44.1842.

  23. 23

    Vgl. Kantonspolizei Zürich: »Chronik der Sicherheitskontrolle«, interner Bericht von 1974, StAZH, Z 44.1911.

  24. 24

    Kantonspolizei Zürich: »Sicherheitskontrolle: Zusammenfassender Bericht für die Jahre 1969-1971«, interner Bericht von 1972, StAZH, Z 44.1905.

  25. 25

    Ganzer Abschnitt: Vgl. ebd.

  26. 26

    Ebd.

  27. 27

    Vgl. Kantonspolizei Zürich: »Sicherheitsmassnahmen Terminal B«, Sitzungsprotokoll vom 23.09.1975, StAZH, Z 44.637.

  28. 28

    Ebd.

  29. 29

    Ebd.

  30. 30

    Kantonspolizei Zürich: »Terminal B - Sicherheitsmassnahmen, Standortbestimmung FIG«, Sitzungsprotokoll vom 03.07.1974, StAZH, Z 44.637, S. 2.

  31. 31

    Kantonspolizei Zürich: »Sicherheitsmassnahmen Terminal B«, Sitzungsprotokoll vom 23.09.1975, StAZH, Z 44.637.

  32. 32

    Kantonspolizei Zürich: »Anschaffung von elektrischen Sicherheitseinheiten«, interner Bericht vom 14.02.1975, StAZH, Z 44.625.

  33. 33

    Vgl. Kantonspolizei Zürich: »Untersuchung über die Selbstkosten der Polizei und ihre Verrechnung«, interner Bericht vom 19.12.1983, StAZH, Z 44.625.

  34. 34

    Vgl. Kantonspolizei Zürich: »Sitzung über die Sicherheitsmassnahmen und die Bestandeserhöhung der Flughafenwache«, Protokoll vom 13.06.1975, StAZH, Z 44.1816.

  35. 35

    Vgl. Kantonspolizei Zürich: »Sicherheit von Personen und Sachen am Flughafen Zürich-Kloten«, interner Bericht vom 07.02.1977, StAZH, Z 44.1884.

  36. 36

    »Ungehört, Unerhört« (o.V.), in: Beobachter (15.11.1985), S. 21.

  37. 37

    Kantonspolizei Zürich: »Sicherheitsmassnahmen im internationalen Luftverkehr«, Manuskript zum Vortrag beim Schweizerischen Polizeiinstitut Neuenburg vom 11.06.1985, StAZH, Z 235.109.