Æ Æther

Flughafen Kloten: Anatomie eines komplizierten Ortes
1
Stephanie Willi

»This is your captain speaking!«

Physische, rechtliche und soziale Barrieren stehen dem »Mädchentraum« vom Fliegen bis heute entgegen. Der Anteil weiblicher Pilotinnen bleibt, anders als das die wiederkehrenden Medienkampagnen suggerieren, gering.

Im Jahr 1986 landete der erste sogenannte »All-Girl-Flug« auf der Piste des Flughafens Salzburg. Im Flugzeug sass die Kapitänin Regula Eichenberger aus der Schweiz, begleitet von der Co-Pilotin Doris Wilson und einer nur aus Frauen bestehenden Flight-Attendant-Crew. Das Schweizer Fernsehen berichtete vor Ort von diesem »aussergewöhnlichen« Ereignis. Ein Herr mittleren Alters lobte im Interview, dass er »selten so eine perfekte Landung erlebt [hatte] wie gerade heute.« Eine ältere Dame erzählte aufgeregt: »Ich war nur überrascht, wie ich da auf einmal zwei Damen einsteigen sehe und sich vorne hinsetzen.« Der Journalist hinter der Kamera hakte nach: »Haben Sie gedacht heute fliegen die Stewardessen?« Die Dame lachte verlegen: »Ja wahrscheinlich, so hat’s ausgeschaut!«

Drei Jahre zuvor hatte die Crossair Regula Eichenberger als erste Pilotin einer Schweizer Airline engagiert. Doch nicht nur in ihrem Heimatland, auch in ganz Europa gehörte sie zur Avantgarde der Linienpilotinnen. Ihr Erstflug wurde mit einem riesigen Medienecho gefeiert – mit dabei auch der damalige Bundesrat Leon Schlumpf. Die frühen Emanzipationsversuche einer Schweizer Fluggesellschaft lassen erstaunen. Die »Männerrepublik« Schweiz hatte erst 1971 deutlich verspätet das Frauenstimmrecht angenommen und galt auch sonst nicht gerade als Pionier in Sachen Gleichstellung von Mann und Frau.

Abb. 1: Der erste »All-Girl-Flug« mit Regula Eichenberger. Still aus: »Heute fliegen wohl die Stewardessen«, 1986.

Als die Crossair 1983 medienwirksam die erste Schweizer Linienpilotin in die Luft gehen liess, war die Schweiz plötzlich Vorreiterin. Weitere europäische Airlines zogen nach. Bei der Swissair etwa wurde Gabrielle Musy-Lüthi als erste Frau in der Schweizerischen Luftverkehrsschule (SLS) zur Linienpilotin ausgebildet. 1988 begann auch die Deutsche Lufthansa, Pilotinnen auszubilden und zu beschäftigen. Den Neologismus »Kapitänin« liess sie sich im Jahr 2000 von der Gesellschaft für deutsche Sprache absegnen – eine PR-Aktion, die international für Aufsehen sorgte.2 An medialer Aufmerksamkeit für Frauen im Cockpit mangelte es in den knapp drei Jahrzehnten nach Eichenbergers telegenen »All-Girl-Flug« also kaum; trotzdem konnten seither nur wenige Frauen für den Pilotenberuf gewonnen werden. Seit mehreren Jahren stagniert der Frauenanteil der Pilot*innen sogar bei etwa fünf Prozent – national wie international.3 Weshalb hat der Anteil der Pilotinnen bis heute nicht zugenommen?

Die ersten Pilotinnen und die Medien

Nach den Gründen für das Fehlen von Frauen im Pilotenberuf suchte bereits der Artikel Wenn Schweizer Frauen in die Luft gehen in der Zeitschrift Die Tat vom August 1976. Dort heisst es, dass Frauen zwar »theoretisch die gleichen Möglichkeiten haben, eine fliegerische Ausbildung zu durchlaufen« wie Männer. Weil damals aber weder die Armee noch die Swissair Pilotinnen beschäftigte, bestand für Frauen kaum Aussicht auf finanzielle Unterstützung ihrer Berufsausbildung. Im Gegensatz dazu wurden ihre männlichen Kameraden vom Bund subventioniert. Der Artikel schloss mit einem Kommentar des Sprechers der Swissair: »Eine Diskussion über dieses Thema sei ›nicht im Gange‹ [...]. Der Hauptgrund für die Bevorzugung der Männer bestehe darin, dass ein zum Linienpiloten ausgebildeter Mann mit Sicherheit bis zur Altersgrenze von 55 Jahren Pilot bleibe, was bei der Frau nicht unbedingt der Fall sei [...].«4

Abb. 2: Swissair-Pilotin Gaby Lüthi mit Fluglehrer Hans Markwalder, 1985.

Als die Crossair im Jahr 1983 mit Regula Eichenberger ihre erste Linienpilotin vorstellte, beschloss auch die Geschäftsleitung der Swissair im Juni gleichen Jahres eine Detailstudie in Auftrag zu geben, um das weitere Vorgehen für die Ausbildung der ersten Pilotenschülerinnen in der Schweizerischen Luftverkehrsschule vorzubereiten.5 Schon im Folgejahr begann Gabriela Musy-Lüthi als erste Schülerin ihre Ausbildung. 1987 nahm sie dann als erste Co-Pilotin der Swissair in einem Linienflugzeug Platz. Im September 1998 schliesslich wurde Musy-Lüthi zur Kapitänin befördert; zusammen mit Co-Pilotin Claudia Wehrli führte sie 1999 den ersten Swissair-Flug mit kompletter Frauenbesatzung durch. Beim Grounding der Swissair im Jahr 2001 war Gabriela Musy-Lüthi eine von sechzehn Pilotinnen im Dienst der Fluggesellschaft – innerhalb einer insgesamt 1100 Personen umfassenden Besatzung.6

In einer Reportage mit etwa 285 Fotografien aus dem Jahr 1985, die heute im ETH-Bildarchiv archiviert ist, wird die Pilotinnenausbildung von Gaby Musy-Lüthi mit ihrem Fluglehrer Hans Markwalder in der SLS dokumentiert. Unmittelbar springt ins Auge, dass auf fast allen Bildern der Fluglehrer an Lüthis Seite steht, offenkundig mit Erklärungen beschäftigt. Die Fotografien sind immer ähnlich inszeniert: Der Fluglehrer zeigt auf etwas, während Lüthi konzentriert hinsieht (siehe beispielsweise Abbildung 2). Selbst bei einfachsten Aufgaben weicht er ihr nicht von ihrer Seite, etwa beim Betanken des Kleinflugzeuges. Abbildung 3 wirkt in Anbetracht der Tatsache, dass Lüthi ihre Privatpilotenlizenz bereits besass, besonders skurril. Es scheint, als würde Markwalder mit dem Zeigefinger auf die Tanköffnung hinweisen – ein Ablauf, der einer Privatpilotin geläufig gewesen sein dürfte.

Vergleicht man die Reportage mit weiteren Fotografien der SLS aus dem Jahre 1984, fällt auf, dass ihre männlichen Mitstreiter durchaus eigenhändig den Tank füllen (siehe Abbildung 4). In anderen Aufnahmen werden zwar auch die männlichen Piloten durch Markwalder instruiert, im Gegensatz zu Musy-Lüthi findet ihre Ausbildung aber in kleinen Gruppen statt, während Musy-Lüthi, so suggerieren zumindest die Fotografien, eine Einzellektion erhält.

Die ersten Schweizer Pilotinnen fanden dann auch nicht aufgrund ihrer fliegerischen Leistungen, sondern wegen ihres Geschlechts öffentliche Beachtung. Regula Eichenberger wurde sogar aufgefordert, an ihrem ersten Tag als Linienpilotin einen engen Jupe anzuziehen – was sie kategorisch ablehnte: »[...] aber ich wollte natürlich Hosen, wie die Männer. Es wäre auch unmöglich gewesen, in einem so kleinen Flugzeug mit einem engen Rock zu fliegen. [...] Ich habe gesagt, ich komme nicht zum Dienst, wenn ich keine Hosen habe.«7 Persönliche Geschichten wie jene von Eichenberger zeigen, dass traditionelle Vorstellungen über Geschlechterrollen im Cockpit weiterbestanden, auch wenn die Medienberichte ein anderes Bild vermittelten: »Die Crossair sehe keinen Grund, Frauen vom Beruf des Linienpiloten auszuschliessen. Bewerberinnen würden deshalb nach ›genau denselben Kriterien‹ beurteilt, ausgebildet und eingesetzt wie ihre männlichen Kollegen.«8

Abb. 3: Swissair-Pilotin Lüthi mit Fluglehrer Markwalder beim Betanken des Kleinflugzeuges, 1984.

Abb. 4: Pilotenschüler beim Betanken der Piaggio, 1984.

Das Cockpit als »physische Barriere«

Nicht nur zu enge Jupes machten den Pilotinnen im Cockpit zu schaffen. Denn schon die Cockpits an sich – bis 2004 wurden sie fast ausschliesslich für männliche Körpermasse designt und getestet – stellten erhebliche »physische Barrieren« für Pilotinnen dar.9 Die Mannequins »Joe« und »Josephine«, die der Industriedesigner Henry Dreyfuss 1955 in seinem Buch Designing for People beschrieb, wurden von vielen Firmen im Aeronautikbereich bei der Entwicklung ihrer Produkte genutzt. »Our job is to make Joe and Josephine compatible with their environment«, hiess es bei Dreyfuss.10 Besonders »Joe« beeinflusste die Entwicklung des Militärequipments wie Uniformen, Helme oder Flieger-Cockpits.

Die Daten für die Herstellung dieser »durchschnittlichen« Mannequins wurde unter anderem mithilfe von anthropometrischen Messungen an Soldaten der US-Armee gewonnen. Der Bau des Cockpits von Linienflugzeugen anhand von »Joe« ist also auf einen männlichen Durchschnitts-Soldaten zugeschnitten gewesen.11 Bis 1988 war die Mindestgrösse für Piloten bei der Lufthansa 1.70 Meter. Evi Hetzmannseder, eine der ersten Lufthansa-Pilotinnen, musste mit ihrer Körpergrösse von 1.65 Meter den Nachweis erbringen, dass sie tatsächlich alle Knöpfe und Schalter erreichen konnte.12

Auch die körperliche Beanspruchung und die anstrengende Bedienung des Steuerknüppels wurden als Argumente dafür vorgebracht, dass Frauen besser nicht fliegen sollten.13 Schon im Jahr 1924 verbot die International Commission for Air Navigation (ICAN), Pilotinnen für den kommerziellen Luftverkehr einzusetzen. Körpermodelle wie »Joe« bewirkten, dass Frauen auch auf materieller Ebene – der Arbeitsplatzgestaltung – vom Pilotenberuf ausgeschlossen wurden.

Feminist Technoscience und die Suche nach sozialen Barrieren

Das Cockpit stellte nicht nur eine physische, sondern auch eine soziale Barriere dar. So wurde zwar der Schweizer Militärdienst 1993 auch für Frauen geöffnet,14 aus der von 1980 bis 1998 erhobenen Statistik des Schweizer Bundesamtes lässt sich jedoch entnehmen, dass der Anteil von Frauen in sogenannten »Männerberufen« generell äusserst gering blieb – dazu zählte auch der Pilotenberuf.15 Der Beruf der Flugbegleiter*in dagegen galt als »Frauenarbeit«. Generell entschieden sich Frauen in diesem Zeitraum zu fast neunzig Prozent der Frauen für eine Ausbildung im Dienstleistungssektor, während Männer technische und gewerblich-industrielle Lehren bevorzugten.16 Für derartige Phänomene versuchte die Feminist Technoscience, die sich in den achtziger Jahren formte, Erklärungen zu finden.

Abb. 5: Die erste Pilotin Gaby Musy-Lüthi in einer MD-80 der Swissair, 1987.

Die Soziologin Judy Wajcman kam etwa in ihren Büchern zu dem Schluss, dass Frauen aus Technik und Wissenschaft deshalb ausgeschlossen wurden, weil Sozialisation, Schulbildung und Universitäten sie von traditionell »männlichen« Fächern wie Mathematik und Naturwissenschaft fernhielten. Da technologische Kompetenz mit Maskulinität identifiziert werde, so Wajcman, manifestierten sich Geschlechter-Stereotypisierungen bis heute am Arbeitsplatz, in der Schule und zu Hause. Selbst die Sprache der Technologie sei laut Wajcman maskulin durchsetzt. Dies habe zu einer Dominanz männlicher Akteure in technologienahen Berufen geführt, die, wie Wajcman 1991 in ihrem Buch TechnoFeminism ausführte, immer noch anhalte.17

Nicht nur Flugzeuge, auch viele andere Technologien unterliegen dem »Gendering«: In der Schweiz etwa war das Autofahren bis anfangs der sechziger Jahre dezidiert »Männersache«. Frauen galten lediglich als passive Passagiere oder Accessoires für die Autowerbung, die sich gezielt an Männer richtete.18 Besonders deutlich wird dies im Vergleich der heutigen 75 bis 79-jährigen Autofahrer*innen: 75 Prozent davon sind Männer.19 Seit 1950 nahm die Zahl der Autofahrerinnen stetig zu. Doch Automobile oder beispielsweise der Computer gelten auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch vorwiegend als »masculine technologies«.

Im Aviatikbereich lagen die Hürden ungleich höher: Bis zum Zweiten Weltkrieg hatten in der Schweiz nur circa zwanzig Frauen das Flugbrevet gemacht. Margret Fusbahn aus St. Gallen war vermutlich die erste Pilotin der Schweiz. 1930 gelang ihr ein internationaler Rekord-Höhenflug von 4600 Metern, mit dem sie über die Landesgrenze hinweg bekannt wurde.20 Mit der (Re-)Militarisierung des Flugwesens während des Zweiten Weltkriegs wurden Frauen international aus der Aviatik verdrängt. Piloten wurden zu »mutigen Helden« stilisiert und mit Maskulinität, Mut und Gefahr assoziiert – Attribute, die das Berufsbild auch nach Kriegsende prägen sollten. Zunächst konnten sich nur Männer mit militärischem Hintergrund bei den Airlines bewerben. Ärzte begründeten solche Ausschlusskriterien mit dem Argument, dass menstruierende Frauen nicht für den kommerziellen Flugverkehr gemacht seien. Der »Flugführer« wurde so zu einem sehr männlichen Wesen, gestärkt durch die Werbestrategie der Airlines, ihn als »Helden« und damit als kompetenten Flieger zu verkaufen.21 Es dauerte bis in die siebziger Jahre, bis sich dieses Bild langsam wandelte.

Dass der Pilotenberuf primär ein »Bubentraum« war (und immer noch ist), manifestiert sich auch in Bereichen, die dem eigentlichen Pilot*in-Werden vorgelagert sind. Untersucht man etwa die Ausgaben der Schweizer Vereinszeitschrift modellflugsport von 1974 bis 1983, findet man auf den Frontseiten keine einzige weibliche Person. Auch in den Reportagen sind die Frauen und Mädchen deutlich in Unterzahl. Auch wenn die Autoren des Magazins in ihren Artikeln davon sprechen, dass »Jugendliche« vermehrt auf dieses Hobby aufmerksam gemacht werden sollten, vermitteln die Fotografien ein anderes Bild.26

Fliegen – ein »Bubentraum«?

In Children’s Occupational Preferences, einer Studie aus dem Jahr 1990, gehörte der »Pilot« zu den unbeliebtesten Berufen bei Schulmädchen.22 Als Begründung nannten die befragten Mädchen zum einen das hierfür erforderliche Wissen technischer Natur; zum anderen fürchteten sie sich vor der Verantwortung: Der Umgang mit einem Notfall wurde als etwas Männliches definiert. Grundsätzlich glaubten die Mädchen, dass der Pilotenberuf ein »typischer« Männerberuf sei.23 Sie zählten eine ganze Reihe an weiteren Hürden auf: unregelmässige und lange Arbeitszeiten, der Umgang mit männlichen Arbeitskollegen, ihr mangelndes Selbstvertrauen, die teure Ausbildung, das Fehlen von weiblichen Vorbildern wie auch die Angst davor, Führungspositionen einzunehmen. Nur Mädchen, die schon früh in Kontakt mit dem Fliegen gekommen waren, waren dem Pilotenberuf weniger abgeneigt.24

In einem Werbefilm der SLS »This is your captain speaking« von 1967 wird die geschlechtsspezifische Segregation im System der Aviatik besonders deutlich. Die fiktive Geschichte eines Swissair-Piloten, die dort erzählt wird, wird immer wieder durch die Interviews des Reporters Markus Weyermann unterbrochen, der Passanten in der Bahnhofstrasse Zürich zum Beruf des Piloten befragt: »Möchtest du mal Pilot werden?«, »Würden Sie sich das Führen eines solchen Grossflugzeuges zutrauen?«, »Was würden Sie sagen, wenn ihr Sohn Pilot werden möchte?« Die Fragen Weyermanns richten sich dabei nur an Jungen und Männer. Frauen und Mädchen dagegen sollen ihre Meinung kundtun, was sie von einem Piloten halten: »Ich finde, das ist ein toller Mann, ein richtiger Super-Mann [kichern]«. Oder: »Ein Mann, der immer fort ist, nein, das wäre nichts für mich!« Die fiktionalen Szenen des Beitrags erzählen ähnliche Geschichten: Die Frau kocht und hängt Wäsche auf, während der Mann im Flugzeug wichtige Entscheidungen trifft.25

Abb. 6: Beispiel eines Covers der modellflugsport aus dem Jahr 1976.

Das Cockpit stellt nicht nur eine physische, sondern auch eine soziale Barriere dar.

Dass der Pilotenberuf primär ein »Bubentraum« war (und immer noch ist), manifestiert sich auch in Bereichen, die dem eigentlichen Pilot*in-Werden vorgelagert sind. Untersucht man etwa die Ausgaben der Schweizer Vereinszeitschrift modellflugsportvon 1974 bis 1983, findet man auf den Frontseiten keine einzige weibliche Person. Auch in den Reportagen sind die Frauen und Mädchen deutlich in Unterzahl. Auch wenn die Autoren des Magazins in ihren Artikeln davon sprechen, dass »Jugendliche« vermehrt auf dieses Hobby aufmerksam gemacht werden sollten, vermitteln die Fotografien ein anderes Bild.26

Selbst Chefredaktor Emil Giezenndanner schreibt: »Modellflug ist eine ausgezeichnete Schule für’s Leben. Schade, dass die Mädchen den Weg zum Modellflug noch nicht gefunden haben. Modellflieger, Modellfluggruppen, Obmänner und Jugendbetreuer, lasst uns diese Chance nutzen!«27 Giezendanners Aufruf von 1977 scheint nicht erhört worden zu sein. Der Tages-Anzeiger titelte in einem Bericht über die Weltmeisterschaft der Modelljets von 2013: »Der Bubentraum im Massstab 1:4«28

Den Traum vom Fliegen konnten oder mussten Frauen vor allem jenseits des Piloten-Berufs verfolgen – als Flugbegleiterinnen. Seit den fünfziger Jahren galt die »Hostess« als Frauenberuf. Doch auch die Flight-Attendants führten ihren eigenen Kampf gegen Vorurteile, insbesondere gegen die zunehmend sexualisierende Stereotypisierung ihres Berufes in den Werbekampagnen der Fluggesellschaften. In den sechziger und siebziger Jahren wurden sie gar als »sexual adventure« angeworben.29 Im Beitrag vom 9. November 1974 des Magazin Privat, einer Sendung des Schweizer Fernsehens, werden die Airhostessen als hübsche »Gallionsfigur[en] der Fluggesellschaften« bezeichnet, mit denen gezielt Werbung gemacht werde.30 Aber nicht nur die erotisierenden Marketingstrategien der Fluggesellschaften waren ein Problem. Die stewardess rebellion beziehungsweise stewardess liberation setzte sich in vielen Ländern, insbesondere in den USA, gegen die bevormundende Haltung der Airlines ein. Strenge Gewichtsregelungen, eine Altersbeschränkung bei 36 Jahren, unbequeme Uniformen, Ungleichheit am Arbeitsplatz und die geringen Karrierechancen wurden vom weiblichen Flugpersonal angeprangert. Um der Hypersexualisierung der Figur der Stewardess zusätzlich entgegenzuwirken, forderte es den Gebrauch des genderneutralen Wortes »Flight Attendant« (anstatt »Stewardess« oder »Air Hostess«).31

Abb. 7: Absolventinnen des »Hostessenkurses«, 1971.

Der Off-Sprecher des Magazin Privat-Beitrages erklärte weiter: »Die Geschlechterhierarchie allerdings bleibt auch zwischen Himmel und Erde erhalten. Der Boss an Bord ist immer ein Mann! [...] Er trägt die Verantwortung, die Mädchen gehorchen.« Auch sonst war das männliche Personal bessergestellt. Bei der Swissair kämpften die Air Hostessen noch in den siebziger Jahren für »gleiche Arbeit, gleichen Lohn«. Im Gegensatz zu den Air Stewards wurden sie nicht einmal in die Pensionskasse aufgenommen. Doch die Swissair zeigte sich, so der Beitrag, als »hartnäckiger Sozialpartner«.32

Rechtliche Barrieren

Am 7. Februar 1971 stimmten die wahlberechtigen Schweizer Männer bei der Volksabstimmung dem Stimm- und Wahlrecht für Frauen auf eidgenössischer Ebene zu. Die politische Emanzipation der Frau als Stimmrechtsbürgerin wirkte als »Katalysator« für die Gleichberechtigung in vielen gesellschaftlichen Bereichen. Seit 1977 ist es Frauen erlaubt, ohne Bewilligung ihres Ehemannes einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Vier Jahre später stimmten Volk und Stände der Verankerung der Gleichberechtigung in der Verfassung zu. Damit war auch die »rechtliche Barriere« für Linienpilotinnen aufgehoben worden. Dass die Crossair 1983 erstmals eine Frau beschäftigte, ist laut Einschätzung von Regula Eichenberger letztlich aber schlicht auf eine Marketingstrategie des damaligen Chefs zurückzuführen: »Moritz Suter ist ein super Geschäftsmann. Er hat realisiert, dass es noch keine Frauen im Cockpit gab und wusste: Das bringt die Crossair mal wieder in die Zeitung. Aber ich denke, er ist generell ein aufgeschlossener Typ.«33

Abb. 8: Erste Frau als Swissair-Captain: Gaby Musy-Lüthi bei der Arbeit, irgendwann zwischen 1986 und 1994.

Bis heute werden Pilotinnen in den Medien weltweit zelebriert: Seit 2016 etwa gibt es auch bei Singapore Airlines Pilotinnen. Und im März 2017 wurde der erste »Round-the-World-Flug« mit ausschliesslich weiblicher Flugbesatzung von Air India durchgeführt – begleitet von der üblichen Berichterstattung.34 Ein weiteres Spektakel, das besonders in den Schweizer Medien aufgegriffen wurde, war die erste Schweizer Kampfjetpilotin, die 2017 ihre Ausbildung abgeschlossen hat.35 Doch diese Berichte vermitteln ein falsches Bild: Pilotinnen sind heute weiterhin die Ausnahme. Fluggesellschaften versuchen zwar immer häufiger, Frauen für den Fliegerberuf zu gewinnen (beispielsweise verfolgt Easyjet das Ziel, dass bis 2020 jede*r fünfte neu eingestellte Pilot*in eine Frau sein soll).36 Doch auch seit der Aufhebung des Flugverbots der Schweizerischen Fluggesellschaften für Frauen im Jahr 1983 sind bei der Swiss bis heute nur fünf Prozent der Pilot*innen weiblich. International liegt die Zahl ebenfalls bei etwa fünf Prozent. Ein Anstieg ist nicht in Sicht.37 Auch wenn sich die rechtlichen und physischen Barrieren für Pilotinnen aufzulösen beginnen, sind soziale Einschränkungen noch immer wirksam; der Pilotenberuf und das Fliegen als Hobby bleiben als eine »Männerdomäne« bei Mädchen unbeliebt.

Stephanie Willi studiert im Master »Geschichte und Philosophie des Wissens« an der ETH Zürich.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Still aus: »Heute fliegen wohl die Stewardessen«, in: Schweizer Radio Fernsehen, https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/heute-fliegen-wohl-die-stewardessen---reaktionen-auf-pilotin-eichenberger?id=8c49126f-4c2b-4148-928f-e826efd6546d&station=69e8ac16-4327-4af4-b873-fd5cd6e895a7 (27.06.2013).

Abb. 2: Unbekannt, Swissair-Pilotin Gaby Lüthi mit Fluglehrer Hans Markwalder in der Schweizerischen Luftverkehrsschule (SLS) in Hausen am Albis, 1985, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR05-085047-32A.

Abb. 3: Unbekannt, Pilotenschüler beim Betanken der Piaggio, 06/1984, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR04-032593.

Abb. 4: Unbekannt, Gruppenbild von Pilotenschülern der Schweizerischen Luftverkehrsschule (SLS), 07/1986, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR04-032667.

Abb. 5: Unbekannt, Die erste Pilotin Gaby Musy-Lüthi in einer MD-80 der Swissair, 03/1987, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR04-015661.

Abb. 6: modellflugsport 1 (1976), Cover.

Abb. 7: Unbekannt, Absolventinnen des Hostessenkurses 1971, 26.06.1971, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR03-09918-11.

Abb. 8: Unbekannt, Erste Frau als Swissair-Captain, Gaby Musy-Lüthi, bei der Arbeit, 1986–1994, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR04-026512.

Literatur
  1. 1
  2. 2

    Vgl. Peter Wagner: »Pionier-Pilotinnen. ›Are you a madam, Sir?‹«, in: Spiegel Online, http://www.spiegel.de/karriere/flug-jubilaeum-die-ersten-pilotinnen-der-lufthansa-a-922185.html (16.09.2013).

  3. 3

    Vgl. Cathrin Caprez: »Pionierin der Lüfte – ›Ach was, eine Frau im Cockpit!‹«, in: Wissen, Schweizer Radio Fernsehen, https://www.srf.ch/kultur/wissen/ach-was-eine-frau-im-cockpit (07.08.2017).

  4. 4

    »Wenn Schweizer Frauen in die Luft gehen« (o.V.), in: Die Tat (10.08.1976), S. 5.

  5. 5

    »Bald Frauen« (o.V.), in: Walliser Bote (04.06.1983), S. 3.

  6. 6

    Jean-Claude Cailliez: »K à M: un chef d’escale Swissair et une pilote de charme: chapitre commercial!«, http://www.pionnairge.com/spip1/spip.php?page=imprimer&id_article=450 (12.05.2015).

  7. 7

    Cathrin Caprez: »Pionierin der Lüfte – ›Ach was, eine Frau im Cockpit!‹«, in: Wissen, Schweizer Radio Fernsehen, https://www.srf.ch/kultur/wissen/ach-was-eine-frau-im-cockpit (07.08.2017).

  8. 8

    »Jetzt Pilotinnen« (o.V.), in: Walliser Bote (26.02.1983), S. 5.

  9. 9

    Vgl. Jim Mitchell, Alexandra Kristovics, Ronald W. Bishop: »Glass Cockpit in General Aviation: A Comparison of Male and Female Pilots’ Perceptions«, in: Donna Bridges, Jane Neal-Smith, Albert J. Mills (Hg.): Absent Aviators. Gender Issues in Aviation, Farnham: Ashgate (2014), S. 261–286, hier S. 263.

  10. 10

    Vgl. Henry Dreyfuss: Designing for People, New York: Simon and Schuster (1955), S. 27.

  11. 11

    Alvin R. Tilley und Henry Dreyfuss: The Measure of Man and Woman, New York: John Wiley & Sons (2002), S. 9f.; vgl. Russell Flinchum: Henry Dreyfuss. Industrial Designer. The Man in the Brown Suit, New York: Rizzoli International Publications (1997), S. 84–87.

  12. 12

    Siehe Deutsche Fernsehgeschichte: »Evi Lausmann – Pilotin. Doku-Reihe ›Traumberufe‹«, https://www.youtube.com/watch?v=QdETcpzjiEk (1990).

  13. 13

    Vgl. Peter Wagner: »Pionier-Pilotinnen. ›Are you a Madam, Sir?‹«, in: Spiegel Online, http://www.spiegel.de/karriere/flug-jubilaeum-die-ersten-pilotinnen-der-lufthansa-a-922185.html (16.09.2013).

  14. 14

    Vgl. Andrea Kobler: »Zwischen Kindern und Militär«, in: Leben. Liebe. Laster 3 (2011), S. 28–30, hier 28.

  15. 15

    Vgl. Anna Borkowsky: »Frauen und Männer in der Berufsbildung der Schweiz«, in: Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften 22 (2000), S. 279–294, hier 287.

  16. 16

    Vgl. ebd.

  17. 17

    Vgl. Judy Wajcman: TechnoFeminism, Cambridge: Polity Press (2004) und Judy Wajcman: Feminism Confronts Technology, Cambridge: Polity Press (1991), S. 21.

  18. 18

    Vgl. Margaret Walsh: »Gender in the History of Transportation Services: A Historiographical Perspective«, in: The Business History Review 81/3 (2007), S. 545–562, hier 552f.

  19. 19

    Vgl. Peter Moser: »Alter, Automobilität und Unfallrisiko. Eine Analyse von schweizerischen Daten des Mikrozensus Verkehr und der Unfallstatistik«, in: Statistisches Amt des Kantons Zürich 4 (2004), S. 1–12, hier 2.

  20. 20

    Cathrin Caprez: »Sommerserie 5/7: Fliegen – die Wissenschaftsredaktion hebt ab – Flugpionierin Margaret Fusbahn-Billwiller«, in: Wissenschaftsmagazin, Schweizer Radio Fernsehen, https://www.srf.ch/sendungen/wissenschaftsmagazin/sommerserie-5-7-fliegen-die-wissenschaftsredaktion-hebt-ab-flugpionierin-margaret-fusbahn-billwiller (05.08.2017).

  21. 21

    Vgl. Albert J. Mills: »Cockpit. Hangars, Boys and Galleys: Corporate Masculinities and the Development of British Airways«, in: Gender, Work and Organization 5/3 (1998), S. 172–188.

  22. 22

    Vgl. Jean Stockard, Jeanne McGee: »Children’s Occupational Preferences: The Influence of Sex and Perceptions of Occupational Characteristics«, in: Journal of Vocational Behavior 36/3 (1990), S. 287–303.

  23. 23

    Vgl. Deanne Gibbon: »Difficult, Dangerous, Not a Job for Girls: Factors Impacting Women and Girls’ Orientation Towards Pilot Careers«, in: Donna Bridges, Jane Neal-Smith, Albert J. Mills (Hg.): Absent Aviators. Gender Issues in Aviation, Farnham: Ashgate (2014), S. 43–72, hier S. 45.

  24. 24

    Vgl. Jane Neal-Smith: »Flying through Barriers: Identifying Issues for Female Airline Pilots«, in: Donna Bridges, Jane Neal-Smith, Albert J. Mills (Hg.): Absent Aviators. Gender Issues in Aviation, Farnham: Ashgate (2014), S. 187–210, hier S. 191.

  25. 25

    Condor Films AG: »Swissair: This is your captain speaking«, https://www.youtube.com/watch?v=nLHKW4Tpd0Q (1967).

  26. 26

    Vgl. Werner Heise: »Jugend und Modellflugzeug«, in: modellflugsport 1 (1975), S. 4–5.

  27. 27

    Emil Giezendanner: »Editorial«, in: modell flugsport 4 (1977), S. 3

  28. 28

    André Hug: »Der Bubentraum im Massstab 1/4«, in: Tagesanzeiger, 21.08.2013.

  29. 29

    Kathleen M. Barry: Feminity in Flight. A History of Flight Attendants, Durham und London: Duke University Press (2007), S. 174.

  30. 30

    SRF Archiv: »Air Hostessen bei der Swissair«, in: Magazin Privat, https://www.youtube.com/watch?v=M3gpsTHfGeQ (09.11.1974).

  31. 31

    Vgl. Kathleen M. Barry: Feminity in Flight. A History of Flight Attendants, S. 206.

  32. 32

    SRF Archiv: »Air Hostessen bei der Swissair«, in: Magazin Privat, https://www.youtube.com/watch?v=M3gpsTHfGeQ (09.11.1974).

  33. 33

    Cathrin Caprez: »Pionierin der Lüfte – ›Ach was, eine Frau im Cockpit!‹«, in: Wissen, Schweizer Radio Fernsehen, https://www.srf.ch/kultur/wissen/ach-was-eine-frau-im-cockpit (07.08.2017).

  34. 34

    Vgl. Eliza Mackintosh: »Air India's All-Female Crew Makes History with Round-the-World Flight«, in: CNN, http://edition.cnn.com/2017/03/06/asia/air-india-all-women-crew-record/index.html (06.03.2017).

  35. 35

    Vgl. D. Krähenbühl: »Sie ist die erste Schweizer Kampfpilotin», in: 20 Minuten, http://www.20min.ch/schweiz/news/story/Diese-Frau-beschuetzt-die-Schweiz-von-oben-23226654 (21.12.2017).

  36. 36

    Vgl. »Easyjet will Frauenanteil in Cockpits erhöhen« (o.V.), in: Handelszeitung, https://www.handelszeitung.ch/unternehmen/easyjet-will-frauenanteil-im-cockpit-erhohen (29.01.2018).

  37. 37

    Vgl. Cathrin Caprez: »Pionierin der Lüfte – ›Ach was, eine Frau im Cockpit!‹«, in: Wissen, Schweizer Radio Fernsehen, https://www.srf.ch/kultur/wissen/ach-was-eine-frau-im-cockpit (07.08.2017).