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Flughafen Kloten: Anatomie eines komplizierten Ortes
1
Oskar Jönsson

Wald, Mensch und Moor

Der Flughafen Zürich-Kloten hat die ihn umgebende Landschaft stark geprägt. Der Flughafen entwickelte sich so zu einem Ort, an dem sich zentrale Fragen von Naturschutz und Umweltmanagement immer wieder entzündeten.

An einem grauen Herbstmorgen 1944 spielen zwei Knaben im Klotener Ried, einem ausgedehnten Moorgebiet zwischen den drei Gemeinden Kloten, Rümlang und Oberglatt. Bei jedem Schritt der beiden schwappen die Schwingrasen gemächlich hin und her.1 Entsprechend vorsichtig muss jeder Schritt erfolgen. Abgesehen von diesem Nervenkitzel interessiert sich Frank, einer der beiden Knaben, für die lebendige Natur. Abgelenkt von den vielen Eindrücken springt er ins Leere und bleibt im sumpfigen Boden stecken. Von selbst kann er sich nicht mehr befreien, und schnell steht ihm das Wasser bis zum Hals. Dank der Hilfe seines Freundes kann gerade noch ein weiteres Einsinken verhindert werden. Dieser droht nun aber selbst zu versinken. Nur mit gemeinsamer Kraft schaffen es die Knaben letzten Endes, sich aus dem Morast zu befreien.2

Knapp zwei Jahre später fahren am selben Ort schwere Baumaschinen auf, begleitet von Heerscharen von Arbeitern, mit Schaufel und Pickel bewaffnet. Die unproduktive Moorlandschaft, die bis anhin als Artillerieschiessplatz genutzt wurde, soll in einen Interkontinentalflughafen umgewandelt werden. Die schon relativ ebene Fläche wird planiert, Bachläufe werden kanalisiert und das reichlich vorhandene Moorwasser in die Glatt entwässert. Motorsägen heulen und alte Eichen krachen auf den Boden. Zürich und die Schweiz wachsen und wollen eine Verbindung zur Welt. Hierfür müssen die Moorvegetation und grosse Waldflächen weichen.

Abb. 1: Da der ursprüngliche Flughafenzaun noch nicht sehr hoch gebaut worden war, konnten Rehe relativ einfach auf das Gelände gelangen, wo sie ungestört neben den Pisten weideten (hier im Jahr 1968).

Frank Klötzli ist mittlerweile 83 Jahre alt, emeritierter Professor und hat eine lange Karriere als Pflanzenökologe an der ETH Zürich hinter sich. Sein Interesse für die Schwingrasen, zwischen denen er als Zehnjähriger fast ertrunken war, hat ihn sein Leben lang begleitet. Mit der teilweisen Entdeckung und vollständigen Kartierung der einmaligen Moorvegetation am Flughafen Zürich-Kloten entwickelte sich Frank Klötzli zu einem engagierten Naturschützer, nach dem auch einige besondere Grünflächen am Flughafen benannt sind: die Klötzliwiesen. An diesen artenreichen Moorflächen rollen täglich tausende Flugpassagiere vorbei, daneben huschen Wiesel durch das lange Gras. Auf dem Flughafengebiet sind auch heute noch 37 Hektar Flachmoor von nationaler Bedeutung.3

Hochtechnisierte Flughafeninfrastruktur und artenreiches Ökosystem: Was auf den ersten Blick als unvereinbarer Gegensatz wahrgenommen werden könnte, scheint sich gut zu vertragen – zumindest suggeriert dies die Eigendarstellung des »Umweltmanagements« am Flughafen Zürich-Kloten.4 Dies kennen wir auch von anderen grossen Verkehrssystemen wie dem Panamakanal: Die Natur wird immer mehr Teil der Infrastruktur.5 Natur und Technik werden zwar oft als Gegensatz empfunden, aber die Wechselwirkungen zwischen Bausubstanz und natürlicher Umwelt prägen den Flughafen Zürich bis heute. Die natürliche Umwelt hat sich dabei von einer reinen Umgebung, die es zu bändigen galt, zu einem Teil der Infrastruktur entwickelt und ist gleichzeitig im Zuge veränderter gesellschaftlicher Wertvorstellungen zum politischen Kapital geworden.

Abb. 2: Die Heuernte im Jahr 1968: Ackerbau und Graslandwirtschaft wurden, zeitweise im grossen Stil, bis Mitte der neunziger Jahre auf dem Flughafengelände betrieben.

Bulldozer und Pickel

In den frühen vierziger Jahren suchte man im dichtbesiedelten Schweizer Mittelland nach einer Alternative zum überlasteten Flughafen Dübendorf, der aus landschaftlichen Gründen nicht ausgebaut werden konnte. Man hielt Ausschau nach einer weiten offenen Fläche, der möglichst keine Hügel oder gar Berge im Wege stehen würden.6 Von grosser Bedeutung waren die vorherrschenden Windrichtungen auf der Fläche. Schliesslich waren die damaligen Propellermaschinen noch sehr anfällig für Seitenwinde. Insofern kam letzten Endes nur das Riedgebiet zwischen Kloten, Bülach und Oberglatt in Frage. Das Gebiet wurde von der Armee als Artillerieschiessplatz genutzt und war, vom Wald abgesehen, »Ödland, [...] unwirtliches Ried«.7 Gerade in der damaligen Zeit, wo die Nahrungsmittel wegen des Zweiten Weltkriegs knapp waren und jedes Fleckchen Land zum Acker umfunktioniert wurde, wäre es undenkbar gewesen, den Flughafen auf Ackerland zu bauen. Dass der Zürcher Flughafen in einem Moorgebiet projektiert wurde, wurde gegenüber dem konkurrierenden Berner Flughafenprojekt, welches auf Landwirtschaftsland geplant war, als wichtiger Vorteil empfunden.8 Sogar war geplant, die Flächen, welche nicht vom Flugbetrieb genutzt würden, durch Melioration – »Verbesserung« – landwirtschaftlich nutzbar zu machen (früher hiess das vor allem »Bodenverbesserung« durch Trockenlegung von Sumpfland). Entsprechend enthusiastisch waren auch der Zürcher Regierungsrat und Baudirektor Paul Corrodi über das Grossprojekt: »Der Flugplatzbau stellt eine gewaltige und schöpferische Aufgabe dar. Wildes Land vor den Toren Zürichs soll der Kultur zugeführt und in den Dienst der Wirtschaft gestellt werden. [...] Es handelt sich um ein volkswirtschaftlich hocherfreuliches Werk, das die zu erbringenden Opfer wert ist. Die Enkel werden uns dafür Dank wissen.«9

Abb. 3: Blick von Süden auf das Areal, auf dem der Flughafen Zürich-Kloten ab 1946 erbaut wurde. Die hauptsächlich beanspruchte Fläche liegt hinter der Strasse, die das Bild etwa in der Mitte durchschneidet, und umfasst die gut sichtbaren Wald- und Moorgebiete.

Entsprechend empfahl der Kantonsrat in seiner Sitzung vom 25. Februar 1946 einstimmig den Kredit von 36.8 Millionen Schweizer Franken für den Bau des Flughafens zur Volksabstimmung.10 In diesem Kredit enthalten waren auch 1.9 Millionen Schweizer Franken für die Melioration der Randgebiete, also für die Entwässerung von Sumpfgebiet. Gemäss Frank Klötzli gediehen auf dieser Fläche zwischen den Schwingrasen viele Pflanzen- und Tierarten, die sich in der Abgeschiedenheit des Waffenplatzes wohl fühlten.11 Doch die vorhandene biologische Vielfalt war kein Thema in den politischen Debatten. Es wurde lediglich festgehalten, dass »die Interessen des Natur- und Heimatschutzes [...] im Einvernehmen mit dem kantonalen Hochbauamt abzuklären [sind]«.12 Damals beschränkte sich der Fokus des Natur- und Heimatschutzes noch stark auf den Erhalt von Altertümern und Naturdenkmälern, zu denen etwa auch alleinstehende Bäume gehörten.13 Allein der Wald genoss schon seit 1903 einen umfassenden Schutz vor menschlicher Übernutzung.14 Entsprechend war der Wald auch das Landschaftselement, dem in den Debatten rund um den Bau des Flughafens Zürich-Kloten am meisten Aufmerksamkeit zuteil wurde.

So liessen etwa die Gemeinden Oberglatt und Rümlang in die Kantonsratsdebatte einfliessen, wie schwierig es ihnen falle, die schönen Waldflächen auf ihrem Gemeindegebiet an den Flughafen abtreten zu müssen.15 Die Gemeinde Rümlang verlangte vom Kanton Zürich dafür einen Realersatz, dem jedoch nicht nachgekommen werden konnte, da der Kanton auf dem Rümlanger Gemeindegebiet keinen Wald besass. Auch die geforderte Verlegung der Piste 16/34 um fünfhundert Meter nach Osten, um weniger Waldfläche zu beanspruchen, wurde aus aviatischen Gründen abgelehnt. Schliesslich sah sich der Kanton Zürich genötigt, die benötigten Flächen von der Gemeinde Rümlang durch Enteignung zu erwerben.16 Andernorts konnte die Baudirektion die Grundeigentümer*innen mit einem Rundflug der Swissair im Wert von je 210 Schweizer Franken zur Rodungsbewilligung bewegen.17

Die durch die Melioration gewonnenen Flächen neben den Pisten wurden den lokalen Bauer*innen verpachtet. In der Folgezeit wurde teilweise fast die Hälfte der Gesamtfläche des Flughafens bäuerlich bewirtschaftet. In den Anflugschneisen grasten mitunter bis zu tausend Schafe. Feldfrüchte wie Kartoffeln, Raps und Weizen wurden angepflanzt. Nicht erlaubt war der Anbau von Mais, da dies zu viele Vögel anlockte, was das Vogelschlagrisiko erhöhte.18

Bagger und Messband

Die an einem langen Teleskoparm sitzende Baggerschaufel sticht in den frühen siebziger Jahren durch den vernässten Oberboden und hebt ein 90x130x40 Zentimeter grosses Stück heraus. Die herausgerissenen Pflanzenwurzeln hängen in der Luft und strecken sich wie verzweifelt nach der verlorenen Heimat aus. Anders als beim Bau des Flughafens geschieht dieser Eingriff aber behutsam. Das fast eine Tonne schwere Stück wird sanft auf ein Palett geladen. Die Pflanzen müssen wegen des annahenden Pistenbaus umziehen.

Abb. 4: Ein Spezialbagger (Gradallbagger) gräbt im Frühling 1973 mit dem Teleskopausleger behutsam ein zur Verpflanzung bestimmtes Stück Moor aus.

»Zu den Fragen des Naturschutzes ist zu sagen, dass es heute reichlich spät ist, diese vorzutragen«, so der zuständige Regierungsrat Alois Günthard in der abschliessenden Kantonsratsdebatte zur Kreditbewilligung des Pistenausbaus.19 Im Zusammenhang mit der gestiegenen Nachfrage nach Luftmobilität plante der Flughafen Zürich-Kloten Ende der sechziger Jahre den Bau einer dritten Piste im Norden des Flughafengebiets. Die neue Piste war quer durch die einzigartige Moorlandschaft geplant, welche beim Flughafenbau nicht der Melioration zum Opfer gefallen war. Doch die Naturschützer*innen verschliefen die Vernehmlassung. In letzter Minute wurden sie unter Leitung von Klötzli beim Regierungsrat vorstellig, um auf den ökologischen Wert des Gebietes hinzuweisen.20 Eine andere Pistenführung war aber hinsichtlich der fortgeschrittenen Planung nicht möglich, und im September 1970 wurde die Erweiterung des Flughafens vom Zürcher Stimmvolk abgesegnet. Allerdings konnte der Regierungsrat Geld zur Verfügung stellen, um die schützenswerten und seltenen Teile der Moorlandschaft zu verpflanzen.21

Dabei kann es durchaus sein, dass die Naturschützer*innen mit einer früher vorgetragenen Einsprache die Pistenführung hätten beeinflussen können. In der Nachkriegszeit entwickelte sich das Verständnis von Natur- und Heimatschutz weiter und wurde von Seiten der Zürcher Regierung als eine »allgemeine Tendenz nach vermehrter Rücksichtnahme auf die Umgebung, das Strassen-, Orts- und Landschaftsbild« festgestellt.22 Zudem erwachte das wissenschaftliche Interesse bezüglich Naturschutz aufgrund der intensiven Landnutzung und den damit verbundenen Umweltschäden wieder.23 Dieses war in Bezug auf die Artenvielfalt schon ab dem späten 19. Jahrhundert durch Lokalforscher kultiviert worden, doch wurden ihre naturschützerischen Bedenken im Zuge der beiden Weltkriege der Kriegswirtschaft untergeordnet.24 Ab den fünfziger Jahren entwickelte sich in Europa allmählich eine gesamtheitlichere Sichtweise auf die Natur.25 Wissenschaftler*innen interessierten sich damals zunehmend für den Zusammenhang zwischen verschiedenen Arten als Teil eines grösseren Ganzen, womit der Begriff des Ökosystems Einzug hielt.26 Auch im Umfeld des Flughafens versuchte man nun, »Störungen des biologischen Gleichgewichtes, die nur vermehrte Bekämpfung von Schädlingen mittelst Chemikalien zur Folge haben müssen« möglichst zu vermeiden.27 Mit der Gründung von Organisationen wie dem WWF (1961) emanzipierte sich der Naturschutz dann weiter vom Heimatschutz. 1966 wurde der Naturschutz schliesslich auf Bundesebene gesetzlich erstmals umfassend geregelt.28 Im Tessin wurde im Jahr 1969 die Erweiterung des Flughafens Locarno-Magadino von Tessiner Naturschützer*innen durch eine Referendumsabstimmung erfolgreich verhindert – und dies wegen eines bedrohten Sumpfgebietes.29

In Zürich kam es anders: Bevor dort die Maschinen für den Pistenbau auffuhren, gruben Spezialbagger ausgewählte Mooreinheiten vorsichtig aus. Die Bagger mussten wegen der Verdichtungsgefahr des Bodens auf eigens ausgelegten Plattformen arbeiten. Und wo der Boden selbst für Raupenfahrzeuge zu nass war, musste man mit Handarbeit ran. Es war die weltweit erste Verpflanzung dieser Art und entsprechend viele Unsicherheiten galt es zu beachten. Zuerst musste für die zu verpflanzenden Flächen eine neue Heimat gefunden werden. Diese sollte ähnliche Standortbedingungen, speziell bezüglich Wasser- und Nährstoffhaushalt, aufwiesen, jedoch keine ähnlich ökologisch wertvolle Vegetation beheimaten.30 Weiter bestand die Frage, wie man die Pflanzengesellschaft möglichst erfolgreich verpflanzen konnte. In den frühen Bauphasen des Flughafens hatte man teilweise noch einzelne, gerade schön blühende Pflanzen erfolglos zu verpflanzen versucht. Mittlerweile wusste man um die Bedeutung des Unterbodens. So müsste idealerweise die gesamte Fläche ungebrochen, mitsamt dem ganzen Wurzelraum von dreissig bis fünfzig Zentimetern Mächtigkeit, auf einmal verpflanzt werden. Das war jedoch technisch nicht möglich, weshalb die Flächen in kleinere Stücke aufgeteilt wurden. Die einzelnen Stücke wurden danach auf Paletten gelegt und auf einer Schienenanlage an ihren Bestimmungsort transportiert. Für Frank Klötzli bot sich die Verpflanzungsaktion geradezu an, Daten für seine Forschung im Gebiet der Pflanzenökologie zu sammeln.31 Einerseits war unklar, ob sich die Pflanzengesellschaft überhaupt verpflanzen lassen würde. Andererseits bot sich mit der Verpflanzung die Möglichkeit, verschiedene Einflussfaktoren und deren Bedeutung für die Entwicklung einer Pflanzengesellschaft zu untersuchen.

Abb. 5: Bau der Piste 14/32 quer durch die beim Erstausbau noch verschonte Moorlandschaft im Juni 1974.

Die natürliche Umwelt hat sich von einer reinen Umgebung, die es zu bändigen galt, zu einem Teil der Infrastruktur entwickelt.

Neben Antworten auf diese eher kleinräumige Fragestellung erhoffte man sich auch neue Erkenntnisse im Bereich der Ökosystem-Ökologie. So wurden etwa die einzelnen Moorparzellen unterschiedlich weit weg vom Ursprungsort verpflanzt, um Interaktionen zwischen den verschiedenen Vegetationstypen besser zu verstehen. Als Resultat beobachtete Klötzli, dass sich in den Rissstellen der einzelnen Stücke aufgrund der erhöhten Nährstoffkonzentration schnellwüchsige Arten breitmachten und Pflanzenarten aus der benachbarten Vegetation in die neu etablierten Flächen einwanderten. Zudem war ein »Verpflanzungsschock« zu beobachten: Einige Pflanzenarten traten plötzlich gehäuft auf, andere waren wie verschollen. Speziell die empfindlichen Orchideen reagierten auf die Verpflanzung mit ihrer Abwesenheit. Da eine solche Verpflanzung vorher noch nie unternommen worden war, kam dem Vorhaben auch die entsprechende mediale Aufmerksamkeit zu. »Medien aus der ganzen Welt wollten sehen, was wir da gemacht hatten«, erinnert sich Klötzli heute.32 Grundsätzlich war die Verpflanzung ein Erfolg. Allerdings wiesen Klötzli und Maltby damals auch darauf hin, dass »nur weil Verpflanzungen technisch machbar sind, [...] diese nicht eine gehäufte Überbauung von Feuchtstandorten rechtfertigen« sollten.33 Die Kosten seien mit dreihundert bis fünfhundert Schweizer Franken pro Quadratmeter verpflanzter Fläche so gross, dass sich derartige Aktionen ausser in Notfällen kaum volkswirtschaftlich rechtfertigen lassen.34

Management und Revitalisierung

Der Weg vom Empfang zum Arbeitsplatz von Emanuel Fleuti am Hauptsitz der Flughafen Zürich AG gleicht einem Labyrinth, gesäumt von allerlei Pflanzen. Er leitet die Abteilung Umweltschutz am Flughafen Zürich seit deren Gründung im Jahr 1990. Entsprechend ist er auch mit dem Spagat vertraut, den der Flughafen zwischen Flugbetrieb und Umweltschutz bewältigen muss: Auf der einen Seite steht der Konzessionsauftrag, die internationale Vernetzung der Schweiz zu ermöglichen, auf der anderen Seite stehen die vielen Verordnungen bezüglich des Naturschutzes. Insofern sei man aus planerischer Sicht eher unglücklich über die vielen, national geschützten Moorflächen auf dem Flughafenareal, welche der optimalen Erfüllung des Konzessionsauftrags potenziell im Weg stehen.35 Eine derartige Gefährdung von Moorvegetation ergäbe sich bei einer Verlängerung der Piste 14/32 um vierhundert Meter in Richtung Norden, womit das laut Klötzli einmalige »Vordermoos« tangiert würde. Laut Fleuti ist nun aber lediglich eine Verlängerung um 280 Meter geplant, womit das Vordermoos nicht betroffen würde.36 Noch nicht geklärt ist jedoch der folgende Fall: Der Flughafen möchte einen Rollweg am Südende der Piste 14/32 anlegen, damit landende Flugzeuge die Piste 10/28 nicht mehr kreuzen müssen. Teile dieses Rollwegs würden quer durch die von Klötzli kartierten und national geschützten Flachmoore führen.37 Allerdings, so Fleuti, bestehe die Möglichkeit, die beanspruchten Flächen zu ersetzen und anderswo wieder »aufzubauen, so dass das Schutzziel erhalten bleibt«.38 Diese Möglichkeit »geht heute auch technisch, [...] Klötzli hat dies selber eigentlich bewiesen mit der Verpflanzung der Biotope.«39 Bei Waldflächen beispielsweise ist diese Praxis tatsächlich etabliert. Wird an einem Ort gerodet, muss anderswo aufgeforstet werden. Bei den Moorflächen wäre dies jedoch so einfach nicht möglich.

Abb. 6: Blick aus dem Süden auf den Flughafen im Ausbauzustand von 1977. Links im Bild ist die begradigte Glatt erkennbar, daneben die Waldstücke, die nach dem Bau des Flughafens übrig blieben.

Dass die Moorflächen heute einen derart starken Schutz geniessen, geht auf die Rothenthurm-Initiative zurück, die 1987 angenommen wurde. Die Initiative wurde durch Ausbaupläne des Militärs ausgelöst, deren Anlage im Zuge des Flughafenbaus von Kloten in Teilen nach Rothenthurm in die nächste Moorlandschaft umgesiedelt worden war.40 Besonders wichtige umweltpolitische Themen waren damals auch die Luft- und Gewässerverschmutzung sowie die Atomkraft, was zunehmend auch zur Integration der Umweltthematik an den Hochschulen führte. Es sollte aber bis 1987 dauern, bis der Studiengang »Umweltnaturwissenschaften« an der ETH Zürich zum ersten Mal angeboten wurde.41

Doch die Natur auf dem Flughafengelände bereitet den Betreibern nicht nur Kopfzerbrechen. Flachmoore wie auch Grünflächen im weiteren Sinne sind durchaus erwünscht, da sie mikroklimatisch zum Temperaturausgleich beitragen.42 Hier wird heute auch die Enteisungsflüssigkeit »entsorgt«, welche früher hauptsächlich in der Glatt landete. Für den Abbau wird die Enteisungsflüssigkeit auf den Grünflächen zwischen den Rollwegen verregnet, wo sie von den Mikroorganismen abgebaut wird. Da die Enteisungsflüssigkeit nur in der kalten Jahreszeit anfällt, erscheint es, als würde der Flughafen im Winter seine Rasenflächen bewässern. Wie der Autor durch seine frühere Tätigkeit am Flughafen Zürich-Kloten erfahren hat, ist dieser Anblick für viele weitgereiste Pilot*innen eine Neuheit. Das deutet darauf hin, dass diese innovative Form der Landschaftsnutzung, im Fachjargon auch Ecosystem Service (Ökosystemdienstleistung) genannt, am Flughafen Zürich-Kloten einmalig ist.

Abb. 7: Ein einsamer Reiher auf Nahrungssuche innerhalb des Flughafengeländes, irgendwann in den neunziger Jahren.

Weiter resultiert die gezielte Förderung von Wieseln auf dem Flughafengelände in einer geringen Nagetierpopulation. Dies reduziert die Attraktivität des Areals für nahrungssuchende Greifvögel, die sonst in sicherheitsrelevanter Höhe über dem Flughafen kreisen würden. Laut Fleuti habe der Flughafen auch massgeblich zur Planung der Revitaliserung der Glatt entlang des Flughafens beigetragen.43 Einerseits biete diese Revitalisierung die Möglichkeit zum ökologischen Ersatz, andererseits müsse sich der Flughafen im Rahmen der gesellschaftlichen Verantwortung für eine gesunde Umwelt einsetzen.44 Ein konkreter politischer Zusammenhang zwischen Glattrevitalisierung und der erhofften Verlängerung der Piste 10/28 über die Glatt hinweg bestehe aber nicht, so Fleuti weiter.45 Dennoch bewegen sich die Flughafenbetreiber in einem politischen Handlungsraum, in dem der Naturschutz über die Jahre hinweg an Bedeutung gewonnen hat – in ökonomischer wie auch in politischer Hinsicht.

Zwar sehen inzwischen selbst Naturschützer*innen wie Klötzli zumindest Teile des Flughafens – nämlich dessen Zaun – als effektiven Faktor beim Schutz der Flachmoore: »Eine der grössten Bedrohungen für die geschützten Moorgebiete«, so Klötzli im Gespräch, »sind Leute, die trotzdem hineintrampeln und auch vor Schwingrasen nicht zurückschrecken.«46 Eine erneute Überbauung der Moorgebiete durch die geplante Pistenumrollung wäre allerdings denkbar schlimmer als unvorsichtige Moorbesucher*innen. Der Flughafen Zürich-Kloten bleibt in jedem Fall ein Fremdkörper in der Landschaft und sein Ausbau aufgrund steigender Passagierzahlen würde neue Umweltzerstörungen nach sich ziehen. Konzepte wie »Kompensation« und »Umweltmanagement« suggerieren dabei, dass sich der Spagat zwischen Flugbetrieb und Naturschutz problemlos bewältigen liesse. Zweifellos sind Flughäfen wie Kloten über die Jahrzehnte hinweg naturnäher geworden, der grundsätzliche Konflikt zwischen Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz lässt sich damit aber nur teilweise lösen – er ist letztlich eine politische Frage.

Oskar Jönsson studiert im Master »Umweltnaturwissenschaften« an der ETH Zürich.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Zürich. Offizielle Zeitschrift des Interkontinentalen Flughafens Zürich-Kloten und des Verkehrsvereins Zürich (Herbst 1968), S. 23.

Abb. 2: Zürich. Offizielle Zeitschrift des Interkontinentalen Flughafens Zürich-Kloten und des Verkehrsvereins Zürich (Herbst 1968), S. 21.

Abb. 3: Werner Friedli, Kloten, Areal, Flugplatz, 02.08.1946, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_H1-009265.

Abb. 4: Ruedi Steiner, Flughafen Kloten: Moor-Verpflanzung im Bereich der neuen Piste, 05.03.1973, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Comet Photo AG, Com_L22-0050-0404.

Abb. 5: Jules Vogt, Kloten-Flughafen, Bau Piste 14–32, 06/1974, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Comet Photo AG, Com_FC24-8058-0024.

Abb. 6: Unbekannt, Kloten Flughafen, 11.09.1977, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_R1-771603.

Abb. 7: Unbekannt, Natur am Flughafen Zürich-Kloten, 1994–2001, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR04-017550.

Literatur
  1. 1

    Schwingrasen sind schwimmende Moosbrocken, kolonisiert von diversen Seggenarten sowie dem Sumpfblutauge. Unregelmässig durch Wurzelteppiche verbunden, täuschen sie mancherorts eine feste Oberfläche vor, wo keine ist.

  2. 2

    Frank Klötzli: Interview mit dem Autor, 23.10.2017.

  3. 3

    Vgl. Flughafen Zürich: »Broschüre Natur und Landschaft«, https://www.flughafen-zuerich.ch/unternehmen/laerm-politik-und-umwelt/natur-und-landschaft (2011), S. 15.

  4. 4

    Vgl. ebd.

  5. 5

    Vgl. Ashley Carse: »Nature as Infrastructure: Making and Managing the Panama Canal Watershed«, in: Social Studies of Science 42/4 (2012), S. 539–563.

  6. 6

    Vgl. Sandro Fehr: Die Erschliessung der dritten Dimension: Entstehung und Entwicklung der zivilen Luftfahrtinfrastruktur in der Schweiz, 1919–1990, Zürich: Chronos (2014), S. 124–129; 166–172.

  7. 7

    Paul Corrodi im Jahr 1946, zitiert nach ebd., S. 126.

  8. 8

    Vgl. ebd., S. 118–124.

  9. 9

    »Beschluß des Kantonsrates über den Bau eines interkontinentalen Flughafens bei Kloten«, Kantonsratsprotokoll vom 18.02.1946, Staatsarchiv Zürich, StAZH MM 24.62 KRP 1946/106/0938, S. 2185.

  10. 10

    Vgl. »Beschluß des Kantonsrates über den Bau eines interkontinentalen Flughafens bei Kloten«, Kantonsratsprotokoll vom 25.02.1946, Staatsarchiv Zürich, StAZH MM 24.62 KRP 1946/107/0943, S. 2201.

  11. 11

    Frank Klötzli: Interview mit dem Autor, 23.10.2017. Siehe auch: Jürg H. Meyer: »Pisten – gesäumt von wiegendem Korn«, in: Zürich: Offizielle Zeitschrift des Interkontinentalen Flughafens Zürich-Kloten und des Verkehrsvereins Zürich, Zürich (1968), S. 20–25, hier S. 20.

  12. 12

    »Randzonenmeloriation Flughafen Kloten«, Regierungsratsprotokoll vom 29.06.1946, Staatsarchiv Zürich, StAZH MM 3.73 RRB 1946/3063, S. 1331.

  13. 13

    Vgl. Direktion der öffentlichen Bauten des Kantons Zürich (Hg.): Die Regionalplanung im Kanton Zürich – Heft 4: Gesamtplan No. 1 / Zürcher Unterland - Interkontinental-Flughafen Zürich, Zürich (1950), S. 2.

  14. 14

    Vgl. WaldSchweiz – Verband der Waldeigentümer: »Waldgesetze«, https://www.waldschweiz.ch/schweizer-wald/verband/waldpolitik/grundlagen/waldgesetze.html.

  15. 15

    Vgl. »Beschluß des Kantonsrates über den Bau eines interkontinentalen Flughafens bei Kloten« Kantonsratsprotokoll vom 25.02.1946, Staatsarchiv Zürich, StAZH MM 24.62 KRP 1946/107/0943, S. 2197.

  16. 16

    Vgl. »Interpellation (Flughafen Kloten)«, Regierungsratsprotokoll vom 13.02.1947, Staatsarchiv Zürich, StAZH MM 3.74 RRB 1947/0579.

  17. 17

    Vgl. »Interkontinental-Flughafen Zürich«, Antrag an die Baudirektion vom 06.09.1950, Staatsarchiv Zürich, V V 51.4.

  18. 18

    Vgl. Jürg H. Meyer: »Pisten – gesäumt von wiegendem Korn«, in: Flughafen Zürich (Hg.): Zürich, S. 20–25, hier S. 20.

  19. 19

    »Beschluss des Kantonsrates über die Bewilligung eines Kredites für die Ausführung der 3. Bauetappe des Flughafens Zürich«, Kantonsratsprotokoll vom 06.07.1970, Staatsarchiv Zürich, StAZH MM 24.80 KR3P 1970/113/0851, S. 4626.

  20. 20

    Frank Klötzli: Interview mit dem Autor, 23.10.2017.

  21. 21

    Ebd.

  22. 22

    Direktion der öffentlichen Bauten des Kantons Zürich (Hg.): Die Regionalplanung im Kanton Zürich – Heft 4: Gesamtplan No. 1 / Zürcher Unterland - Interkontinental-Flughafen Zürich, Zürich (1950), S. 2.

  23. 23

    Vgl. Christina Pichler-Koban, Michael Jungmeier: Naturschutz, Werte, Wandel: Die Geschichte ausgewählter Schutzgebiete in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Bern: Haupt (2015), S. 57.

  24. 24

    Vgl. Tobias Scheidegger: »Petite Science«: Ausseruniversitäre Naturforschung in der Schweiz um 1900, Göttingen: Wallstein (2017), S. 480ff.

  25. 25

    Vgl. Frank B. Golley: A History of the Ecosystem Concept in Ecology: More than the Sum of the Parts, New Haven: Yale University Press (1993), S. 2ff.

  26. 26

    Ebd.

  27. 27

    »Adjunkt des Hochbauamts des Kantons Zürich an die kantonale Liegenschaftsverwaltung, 28.03.1951«, Staatsarchiv Zürich, V V 36.10. Hervorhebung durch den Autor eingefügt.

  28. 28

    Vgl. Christina Pichler-Koban, Michael Jungmeier: Naturschutz, Werte, Wandel: Die Geschichte ausgewählter Schutzgebiete in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Bern: Haupt (2015), S. 58f.

  29. 29

    Vgl. Damir Skenderovic: »Die Umweltschutzbewegung im Zeichen des Wertewandels«, in: Urs Altermatt (Hg.): Rechte und linke Fundamentalopposition: Studien zur Schweizer Politik 1965–1990, Basel und Frankfurt am Main: Helbling & Lichtenhahn (1994), S. 33–61, hier S. 56.

  30. 30

    Vgl. Frank Klötzli: »Disturbance in transplanted grasslands and wetlands«, in: J. van Andel u.a. (Hg.): Disturbance in Grasslands, Dordrecht: Dr W. Junk Publishers (1987), S. 79–96, hier S. 84f.

  31. 31

    Frank Klötzli: Interview mit dem Autor, 23.10.2017.

  32. 32

    Ebd.

  33. 33

    Frank Klötzli, Edward Maltby: »Mires on the move in Europe«, in: The Geographical Magazine 85/7 (1983), S.346–351, hier S. 351.

  34. 34

    Vgl. Frank Klötzli: »Disturbance in Transplanted Grasslands and Wetlands«, in: J. van Andel u.a. (Hg.): Disturbance in Grasslands, Dordrecht: Dr W. Junk Publishers (1987), S. 79–96, hier S. 96.

  35. 35

    Emanuel Fleuti: Interview mit dem Autor, 01.12.2017.

  36. 36

    Vgl. Andreas Schürer: »Professor Klötzli kämpft für die Moore«, in: Neue Zürcher Zeitung, https://www.nzz.ch/zuerich/flughafen-zuerich-professor-kloetzli-kaempft-fuer-die-moore-ld.1302154 (22.06.2017).

  37. 37

    Ebd.

  38. 38

    Emanuel Fleuti: Interview mit dem Autor, 01.12.2017.

  39. 39

    Ebd.

  40. 40

    Vgl. Jakob Tanner: Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert, München: C.H.Beck (2015), S. 401f.

  41. 41

    Peter Frischknecht: Email an den Autor, 12.02.2018.

  42. 42

    Emanuel Fleuti: Interview mit dem Autor, 01.12.2017.

  43. 43

    Ebd.

  44. 44

    Ebd.

  45. 45

    Ebd.

  46. 46

    Frank Klötzli: Interview mit dem Autor, 23.10.2017.