Æ Æther

Queer Vienna: Einblicke in ein Bewegungsarchiv
8
Andreas Brunner, Sebastian Felten, Hannes Sulzenbacher

Archiv in Bewegung – eine Einleitung

Queere Bewegungen haben in Österreich erfolgreich für gleiche Rechte gekämpft, aber ihre Errungenschaften werden heute wieder in Frage gestellt. Aether #8 verfolgt elf Spuren durch ein Wiener Bewegungsarchiv und zeigt, wie queere Menschen in der Vergangenheit ihre Erfahrungen mobilisiert haben – als Ressourcen gegen heteronormative Denksysteme.

Die Wertschätzung von Geschlechtervielfalt und nicht-heteronormativen Sexualitäten scheint in der Mitte der österreichischen Gesellschaft angekommen zu sein. Die Ehe für alle und der Geschlechtseintrag »divers« für intersexuelle Menschen im Jahr 2019, die Öffnung der Adoption für homosexuelle Paare 2016 und nicht zuletzt der medienwirksame Sieg der Dragqueen Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest 2014 sind weithin sichtbare Zeichen, dass die jahrzehntelange Arbeit lesbischer, schwuler, bisexueller, Trans- und Inter-Aktivist*innen Erfolge zeitigten. Gendergerechte Anreden und Regenbogenflaggen sind in Schulen und Krankenhäusern, in Amtsstuben und auf Parteitagen inzwischen alltäglich. Einst von der Mehrheitsgesellschaft als abnormal abgewertete Lebensentwürfe und Identitäten scheinen normal geworden zu sein. Gleichzeitig formierte sich aber in den letzten Jahren in vielen Ländern Europas, in Russland und in den USA eine anti-feministische, illiberale Bewegung, die, unterstützt von rechten und kirchlichen Gruppen, gegen Gleichstellung und Geschlechterforschung mobil macht.1 Ein Kristallisationspunkt dieser Bewegung ist die FPÖ, die rechtspopulistische Freiheitliche Partei Österreichs, die im politischen System der Alpenrepublik fest verankert ist und rechtsextremen Parteien in ganz Europa als Vorbild dient. Sie war seit den 1980er Jahren immer wieder an Bundesregierungen beteiligt, »führte zentrale geschlechter­politische wie auch antifeministische Narrative in rechte Spektren ein und konnte selbige mit dem notwendigen Praxiswissen popularisieren«.2

Abb. 1: Einblick in ein Bewegungsarchiv. Im Vordergrund Collagen aus dem Nachlass des Künstlers Wolfgang Reder.

Sie lehnt Ehe und Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare als Teil einer »geburtenfördernden« Familienpolitik ab, die unter anderem den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen erschweren will. Rechte Gruppen werten Erkenntnisse der Geschlechterforschung pauschal als »Genderwahn« bzw. »Gender-Ideologie« ab und mobilisieren in ihrem Kampf gegen Selbstbestimmung von Frauen, queeren Menschen und Trans*personen (veraltete) biologische Argumente.3 Kinder und Jugendliche werden dabei als besonders schützenswerte Gruppe konstruiert, die man vor »Frühsexualisierung« und dem vermeintlich schädlichen Einfluss queerer Eltern bewahren müsse. Wichtige Errungenschaften der Frauen- und der LGBTIQ-Bewegungen werden durch rechte Diskurse und Politik wieder verstärkt in Frage gestellt.4

Bewegung speichern

Æther #8 wendet sich gegen diese Entwicklung, indem es die Archive der Emanzipationsbewegungen aktiviert und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich macht. Das Heft entstand aus einem Forschungsseminar am Institut für Geschichte der Universität Wien, in dem die Teilnehmenden sich oft zum ersten Mal mit queerer Geschichte akademisch beschäftigten und sich damit eine neue Perspektive auf die österreichische Vergangenheit erarbeiteten. Ein Stichwortgeber war an dieser Stelle der Theologe und Historiker Johann Martin Chladenius, der schon im Jahr 1742 den Begriff des »Sehepunkts« produktiv machte: »Das, was in der Welt geschieht, wird von verschiedenen Leuten auch auf verschiedene Art angesehen.«5 Als Beispiele wählte er Schlachten und Rebellionen, die von Adligen, Bauern oder Bürgern von jeweils unterschiedlichen »Sehepunkten« aus erfahren werden. Auch wenn Chladenius viele Perspektiven nicht miteinbezog – Bäuerinnen und Bürgerinnen kommen bei ihm nicht vor – ist sein Begriff des »Sehepunkts« für uns nützlich gewesen.6 Wie stellt sich etwa der Nationalsozialismus aus Sicht seiner homosexuellen Opfer dar, die lange auf Anerkennung warten mussten? Die Befreiung Österreichs 1945 für gleichgeschlechtlich Liebende, die weiterhin verfolgt wurden? Der Aufbruch der 1970er Jahre für schwule und lesbische Aktivisten*innen, die sich plötzlich organisieren durften, oder die Globalisierung der 1990er Jahre für queere Menschen mit Aids? Queere Erfahrungen aus der Zeit vor und während der Emanzipationsbewegung seit den 1970er Jahren – so eine Prämisse unseres Hefts – sind Ressourcen gegen heteronormative Denksysteme, die heute wieder verstärkt Konjunktur haben. Denn im Licht dieser Erfahrungen werden vermeintliche Selbstverständlichkeiten leichter zum Gegenstand einer politischen Diskussion – die Vater-Mutter-Kind-Familie etwa oder die binäre Geschlechterordnung.

Diese Erfahrungen finden sich jedoch kaum in Staats- und Stadtarchiven, die Historiker*innen sonst für die Erforschung politischer Geschichte heranziehen. Deshalb sind Community-Archive, die an vielen Orten der Welt aus den LGBTIQ-Bewegungen entstanden sind, Gedächtnisspeicher von unschätzbarem Wert.7 Sie sammeln Nachlässe und Memoiren, Infoblätter und polemische Banner, Kunst und Kitsch, aber auch Alltägliches wie Vereinsprotokolle oder Pornographie. Sie speichern Erfolgsgeschichten genauso wie Rückschläge, etwa die Vernichtung emanzipatorischer Bewegungen der 1920er und frühen 1930er Jahre in Deutschland und Österreich durch die NS-Diktatur. Community-Archive sind meist jünger und prekärer finanziert als etablierte Archive, sind dafür aber oft gut vernetzt, medienaffin und niederschwellig zugänglich.

Abb. 2: Die Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase (1923). Das Exemplar mit der Nummer 211 (von 1’000) enthält eine Titelzeichnung der Autorin Anita Berber.

Queere Archive helfen, wie Andreas Kraß es in Bezug auf die queeren Sammlungen der Berliner Humboldt-Universität formuliert, »den kritischen Blick auf das Archiv der Heteronormativität zu schärfen«.8 Dieses Archiv der Heteronormativität ist, ganz im Sinne Michel Foucaults, nicht (nur) ein Ort, an dem sich Akten stapeln, sondern vielmehr ein »System, das das Denken, Sprechen und Wissen über das Verhältnis der Geschlechter und die Ordnung der Sexualität an der Prämisse der Heterosexualität ausrichtet, als wenn diese selbstverständlich sei, ja gar nicht erst verstanden werden müsse«.9

Queere Archive – sowohl als Sammlungen als auch als Denksysteme – sind somit Gegenarchive. Sie sperren sich dagegen, die Vielfalt menschlicher Identität und Begehren in einfache Ordnungen zu pressen. Sie halten somit politische Ressourcen für alle Menschen vor, nicht nur für die Gemeinschaft der »Betroffenen«, aus der sie jeweils entstanden sind.

Die Beiträge dieses Bands schöpfen allesamt aus den Beständen eines Wiener Bewegungsarchivs. QWIEN – Zentrum für queere Geschichte dokumentiert die LGBTIQ-Emanzipation der letzten fünfzig Jahre – und ist selbst ein Produkt dieser Geschichte. Gegründet im Jahr 2009 als »Zentrum für schwul/lesbische Kultur und Geschichte« versteht es sich heute als Archiv, Bibliothek und Forschungsstelle für die queere Geschichte von Wien und Österreich.10 Als Forschungsstelle lag bei QWIEN der Schwerpunkt in den letzten Jahren auf der Verfolgung homosexueller Personen in der NS-Zeit, wofür eine umfangreiche Datenbank zur »Namentlichen Erfassung aller homosexuellen und transgender Opfer des Nationalsozialismus« angelegt wurde.11 Im Archiv stammen die meisten Bestände aus der Nachkriegszeit und dokumentieren vor allem die Lesben- und Schwulenbewegung seit den 1970er Jahren, die Aidskrise und queeres Leben der unmittelbaren Vergangenheit. Es ergänzt damit das schon seit 1983 bestehende STICHWORT, das Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung in Österreich.12

Elf Spuren durch das Archiv

Die hier versammelten Beiträge arbeiten Geschichten heraus, die teils noch nie erzählt worden sind. Sie gehen meist von einem auffälligen Objekt oder Dokument aus und verfolgen dann seine Spur durch die Sammlung.13 Ähnlich wie in der Anthropologie und Wissenschaftsgeschichte ermöglichten solche »Objektbiographien« und »sprechenden Dinge« die Werte und Wissenshorizonte queerer Communities zu rekonstruieren.14 Der erste Beitrag, in dem Livia Suchentrunk quasi als Fortsetzung der Einleitung Æther #8 historisch verortet, beginnt mit zwei verbogenen Alu-Stangen. Sie hingen in QWIEN zwischen Bibliotheksregalen unter der Decke, und die Autorin hielt sie zunächst für Sperrmüll. Durch ihre Nachforschung stellten sie sich bald als Relikt einer doppelten Gewalterfahrung heraus: die Verfolgung Homosexueller während der Nazizeit und Polizeigewalt bei einer Kundgebung im österreichischen »Bedenkjahr« 1988, als Aktivist*innen die Anerkennung Homosexueller als Nazi-Opfer forderten. Eine ähnliche Erfahrung hat die Autorin des zweiten Beitrags Sarah Kresser gemacht, als sie den Krümelspuren eines Lebkuchens in Rosa-Winkel-Form nachging. Durch Recherchen in Zeitschriften, Fotobeständen und Telefonaten mit Zeitzeug*innen fanden sich bald mehr »Mahntorten«, mit denen sich Aktivist*innen der 1980er Jahre das einstige Kennzeichen homosexueller KZ-Häftlinge aneigneten und Mehlspeisen als Medium für politische Botschaften nutzten. Beide Fälle zeigen, wie wichtig die Entdeckung der eigenen Verfolgungsgeschichte für Lesben und Schwule in den 1970er und 1980er Jahren war, und in was für vielfältigen Formen sich dieser Geschichtsaktivismus im Archiv niederschlug.

Abb. 3: Unter einer witzig gemeinten Überschrift schafften es zwei fast küssende Männer erstmals auf das Cover des österreichischen Nachrichtenmagazins Profil (1976).

Die Verfolgung homosexueller Handlungen endete in Österreich nicht mit Kriegsende, sondern blieb auch in den 1950er Jahren intensiv, wenn auch mit anderen Straffolgen als 1938 bis 1945. Vor allem männliche Homosexuelle wurden aufgrund des weiterhin gültigen § 129 lb StGB wegen »gleichgeschlechtlicher Unzucht« belangt und nach § 130 mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft. Die dabei erzeugten Strafakten sind heute oft für weite Teile des 20. Jahrhunderts eine wichtige Quelle, um die Selbstbilder queerer Menschen zu rekonstruieren, denn Selbstzeugnisse aus dieser Zeit sind rar. Sophie Wagner, die Autorin des dritten Beitrags, setzte sich im friedlichen Archivraum mit der Datenbank der »Namentlichen Erfassung« auseinander und sah sich mit hunderten aufwühlenden Einzelschicksalen konfrontiert. Ihr Beitrag widmet sich der Frage, wie sich aus Polizeiverhören – einer Dokumentart, aus der fast nur die Verfolgungsbehörden sprechen – die Stimme der Opfer herausarbeiten lässt.

Ist Homosexualität ein Verbrechen, eine Krankheit oder gar ein Menschenrecht? Diese Frage wurde im 20. Jahrhundert intensiv diskutiert und ist Gegenstand der folgenden zwei Beiträge. Alice Wüstinger stieß im Archiv auf eine Broschüre des Direktors der Grazer Universitätsbibliothek Dr. Wolfgang Benndorf mit dem Titel »Unvernunft und Unheil im Sexualstrafrecht« (1956) und fand dessen Argumentation sowohl fortschrittlich als auch verstörend. Sein bürgerlicher Fürsprecheraktivismus hielt pikiert Abstand zu ebenjenen Menschen, für deren Rechte er eintrat, was die damalige Ächtung schwuler Männer und lesbischer Frauen widerspiegelte. Gleichzeitig zu Benndorfs öffentlichen Bemühungen traf sich eine Gruppe einflussreicher Männer hinter verschlossener Tür im österreichischen Parlament. Im fünften Beitrag beschreibt Nina Kramer anhand eines maschinengetippten Sitzungsprotokolls, wie Nationalratsabgeordnete, Mediziner, Rechts- und Sexualwissenschaftler über eine Reform des Strafrechts und die Frage der Entkriminalisierung von Homosexualität berieten. Das interne Verdikt dieser Experten war durchaus milde – Homosexuelle seien krank, nicht kriminell, und deshalb solle man die »gleichgeschlechtliche Unzucht« unter Erwachsenen auch nicht länger mit dem Kerker bestrafen. Bis zur Reform des Strafrechts dauerte es dann allerdings noch bis 1971.

Abb. 4: Einblick in den Benutzer*innenraum in QWIEN.

Die in der Reform verankerte Entkriminalisierung schuf neue Möglichkeiten der politischen Arbeit. Vier Jahre später startete mit der Gruppe »Coming Out« die (neue) Schwulenbewegung in Wien. Diese frühe Zeit ist in QWIEN durch einzigartige Archivstücke belegt, die Rabea Otto für den sechsten Beitrag auswertete. Was bewegte die »CO-Schwestern« und wie setzten sie sich in den Diskussionen über ihre Ausrichtung mit zeitgenössischen linken und feministischen Bewegungen auseinander? Antworten fand Otto unter anderem in der Vereinszeitschrift CO Info und anderen Dokumenten der Gruppe. Einen weiteren institutionellen Nachlass nahm sich Joanne Becker für den siebten Beitrag zur »Rosa Lila Villa« vor, das 1982 eröffnete erste Lesben- und Schwulenhaus Wiens. Mit seiner rosa Fassade und spektakulären politischen Aktionen machte dieses Wohnprojekt weithin sichtbar auf lesbisch-schwule Lebensweisen aufmerksam. Gleichzeitig praktizierte seine Beratungsstelle »Rosa Lila Tip« überlebenswichtige Selbsthilfe zu Coming-out und AIDS – leise, beharrlich und oft auch anonym.

Die nächsten beiden Beiträge führen uns mittenhinein in die AIDS-Epidemie der 1980er Jahre. Sie erschütterte die junge schwul-lesbische Bewegung, aber ermöglichte auch völlig neue politische Allianzen und führte letztlich zu einer breiteren Akzeptanz homosexueller Lebensweisen. Nike Kirnbauer beschreibt im achten Beitrag den österreichischen Weg aus der Aidskrise. Er begann mit einem Schulterschluss zwischen Betroffenen, Medizin und Behörden, der eine vertrauensvolle Basis für den Aufbau von Präventionskonzepten schuf. Das verhinderte unter anderem einen Lockdown schwuler Begegnungsorte, der andernorts ein vermeintliches Mittel der Infektionseindämmung war. Der neunte Beitrag von Katharina Kührner und Andreas Brunner beschäftigt sich mit der Trauerkultur, die queere Communities in der Aidskrise entwickelt haben. Mit der Einführung der Kombinationstherapie hörte das »große Sterben« auf und die Historisierung von AIDS begann, womit sich aus der Trauerarbeit eine neue Gedenkkultur entwickelte.

Mit den letzten beiden Beiträgen erreichen wir die jüngste Vergangenheit. Katharina Pagitz verfolgt die Spur zweier weißer Smokings zurück bis zu einer durchzechten Nacht 1997, als Alkis Vlassakakis und Peter Holub auf dem Wiener Life Ball die dort versammelte Prominenz aufforderten, ihre selbstgeschneiderten Papieranzüge zu signieren. Diese Objektgeschichte erlaubt Reflexionen über die Bedeutung von Mode und Kunst im Kampf gegen AIDS und dessen medialer Darstellung. Ein Fußball aus Schaumstoff, ebenfalls mit vielen Unterschriften versehen, ist das Ausgangsobjekt für den elften Beitrag dieses Hefts und führte Margot Kreutzer in die gewollt absurde Welt der Wiener Tunten. Er ist Relikt des Tuntathlons, einer fast jährlich stattfindenden alternativen Sportveranstaltung in Wien, bei der selbsternannte Tunten versuchen, hetero- wie homosexuelle Normen durch Handtaschenwurf, Synchronbügeln und Stöckelschuhstaffettenlauf ins K.O. zu zwingen.

Elf Einblicke

Dieses Heft bietet somit elf neue Einblicke in ein Bewegungsarchiv. Es zeigt, wie sich Menschen seit den 1930er Jahren zunehmend erfolgreich gegen das »Archiv der Heterosexualität« wehrten. Schimpfworte und pathologisierende Begriffe (homosexuell, lesbisch, queer, schwul, Tunte) wurden angeeignet, umgedeutet und mit Inhalt gefüllt. Die Themen dieses Hefts – vom Geschichtsaktivismus der 1970er Jahre bis zum noch im Sommer 2022 begangenen Tuntathlon – zeugen alle von der produktiven Spannung zwischen Fremd- und Selbstbeschreibung, Wissenschaft und Gegenwissen. Sie zeigen am Beispiel Wien und Österreich, wie Lesben, Schwule und queere Menschen neue Lebensweisen entworfen und gegen Anfeindungen verteidigt haben. Sie haben mit Argumentationen, Kommunikationsformen und Technologien experimentiert, um sich selbst zu verstehen und anderen mitzuteilen, und schließlich Institutionen entwickelt, ihre Neuerungen für die Zukunft zu dokumentieren – QWIEN ist eine davon.

Abb. 5: Diese weltweit erste Buchpublikation zu Frauen und AIDS wurde 1988 von der Wiener Autorin und Historikerin Ines Rieder mitherausgegeben. Die deutsche Übersetzung und Bearbeitung folgte drei Jahre später.

So lädt dieses Heft auch dazu ein, vom »Sehepunkt« eines queeren Archivs einen Ausblick zu wagen auf eine Gegenwart, in der Errungenschaften der LGBTIQ-Bewegungen immer wieder in Frage gestellt werden. Eine positive Deutung dieser bedrückenden Realität schlugen die Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer und der Journalist Mark Gevisser unabhängig voneinander vor: Der verstärkte Antifeminismus und Antiliberalismus im öffentlichen Diskurs, in sozialen Medien und auf der Straße ist letztlich ein Zeichen dafür, wie erfolgreich die Frauen-, Lesben- und Schwulenbewegungen seit den 1960er Jahren weltweit gewesen sind.15

Queere Archive sind somit nicht nur Orte, an denen sich Minderheiten ihrer selbst vergewissern. Sie sind Orte, an denen man studieren kann, wie sich Mehrheiten ändern.

Andreas Brunner ist Co-Leiter von QWIEN, LGBTIQ-Aktivist, Ausstellungskurator und Autor zahlreicher Beiträge zur queeren Geschichte Österreichs.

Sebastian Felten arbeitet als Historiker an der Universität Wien. Am Schwulen Museum Berlin hat er Findmittel erarbeitet und die Ausstellung Unboxed: Transgender in a Gay Museum? ko-kuratiert.

Hannes Sulzenbacher ist Co-Leiter von QWIEN und Chefkurator des Jüdischen Museums Wien.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Nikola Krumpholz, Fotografie eines der Archivräume in QWIEN, Wien: QWIEN Archiv © Nikola Krumpholz.

Abb. 2: Anita Berber: Zeichnung, in: dies., Sebastian Droste: Die Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase, Wien: Gloriette-Verlag (1923), Wien: QWIEN Archiv.

Abb. 3: Nikola Krumpholz, Fotografie des Benutzer*innenraums in QWIEN, Wien: QWIEN Archiv © Nikola Krumpholz.

Abb. 4: Profil 7/21 (18. Mai 1976), Cover, Wien: QWIEN Archiv.

Abb. 5: Ines Rieder, Patricia Ruppelt (Hg): AIDS: The Women, San Francisco, Pittsburgh: Cleis Press (1988), Wien: QWIEN Archiv.

Literatur
  1. 1

    Birgit Sauer: »Anti-feministische Mobilisierung in Europa. Kampf um eine neue politische Hegemonie?«, in: Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft 3/13 (2019), hier S. 339–352; Annette Henninger, Denise Bergold-Caldwell, Sabine Grenz, Barbara Grubner, Helga Krüger-Kirn, Susanne Maurer, Marion Näser-Lather, Sandra Beaufays (Hg.): Mobilisierungen gegen Feminismus und »Gender«, Opladen: Budrich (2021).

  2. 2

    Judith Goetz: Fallstudie Österreich, Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung (2020) (= Triumph der Frauen? Das weibliche Antlitz des Rechtspopulismus und -extremismus in ausgewählten Ländern 4), S. 2.

  3. 3

    Stefanie Mayer, Edma Ajanovic, Birgit Sauer, »Kampfbegriff ›Gender-Ideologie‹. Zur Anatomie eines diskursiven Knotens. Das Beispiel Österreich«, in: Juliane Lang, Ulrich Peters (Hg.): Antifeminismus in Bewegung: Aktuelle Debatten um Geschlecht und sexuelle Vielfalt, Hamburg: Marta Press (2018), hier S. 37–59.

  4. 4

    Siehe auch Max Stadler, Janosch Steuwer, Monika Wulz (Hg.): Rechtes Wissen: Konstellationen zwischen Universität und Politik, Zürich: intercom Verlag, 2021 (= Æther 6).

  5. 5

    Johann Martin Chladenius: Einleitung zur richtigen Auslegung vernünfftiger Reden und Schrifften, Leipzig: Lanckisch (1742), S. 185.

  6. 6

    Vgl. Andrea Griesebner: Feministische Geschichtswissenschaft: Eine Einführung, Wien: Löcker (2012 [2., überarb. Aufl.]), S. 15–19; Shulamit Volkov: Deutschland aus jüdischer Sicht: Eine andere Geschichte vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München: C.H. Beck (2022).

  7. 7

    Siehe u.a. Susan Stryker: »Transgender History, Homonormativity, and Disciplinarity«, in: Radical History Review 100/2008 (2008), S. 145–157; Anthony Manion, Ruth Morgan: »The Gay and Lesbian Archives: Documenting Same-Sexuality in an African Context«, in: Agenda: Empowering Women for Gender Equity 67 (2006), S. 29–35.

  8. 8

    Andreas Kraß: »Queere Archive: Archäologie der Sexualwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin«, in: Maria Borowski, Jan Feddersen, Benno Gammerl, Rainer Nicolaysen, Christian Schmelzer (Hg.): Jahrbuch Sexualitäten, Göttingen: Wallstein (2016), S. 157-162, hier S. 160.

  9. 9

    Andreas Kraß: »Queere Archive: Archäologie der Sexualwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin«, in: Maria Borowski, Jan Feddersen, Benno Gammerl, Rainer Nicolaysen, Christian Schmelzer (Hg.): Jahrbuch Sexualitäten, Göttingen: Wallstein (2016), S. 157-162, hier S. 159.

  10. 10

    Vgl. Andreas Brunner, Hannes Sulzenbacher: »QWIEN: Wiens Archiv für queere Geschichte«, in: L’Homme 32/2 (2021), S. 111-116.

  11. 11

    Vgl. Johann Karl Kirchknopf: »Die umfassende Aufarbeitung der NS-Homosexuellenverfolgung in Wien: Am Beginn eines herausfordernden Projekts«, in: Michael Schwartz (Hg.): Homosexuelle im Nationalsozialismus: Neue Forschungsperspektiven zu Lebenssituationen von lesbischen, schwulen, bi, trans- und intersexuellen Menschen 1933 bis 1945, München: Oldenbourg (2014), hier S. 121–128; Andreas Brunner, Hannes Sulzenbacher: »Das Projekt der Namentlichen Erfassung der homosexuellen und transgender Opfer des Nationalsozialismus in Wien«, in: QWIEN, WASt (Hg.): Zu spät? Dimensionen des Gedenkens an homosexuelle und transgender Opfer des Nationalsozialismus, Wien: Zaglossus (2015), S. 98–122.

  12. 12

    Margit Hauser: »STICHWORT: Bewegung archivieren«, in: Mitteilungen der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare 1/75 (2022), S. 131–144.

  13. 13

    Carlo Ginzburg: »Morelli, Freud and Sherlock Holmes: Clues and Scientific Method«, in: History Workshop 9 (1980), S. 5–36.

  14. 14

    Igor Kopytoff, »The Cultural Biographies of Things: Commoditization as Process«, in: Arjun Appadurai (Hg.): The Social Life of Things: Commodities in Cultural Perspective, Cambridge, MA: Cambridge University Press (1986), S. 64–91; Lorraine Daston (Hg.): Things That Talk: Object Lessons from Art and Science, New York: Zone Books (2007).

  15. 15

    Birgit Sauer: »Anti-feministische Mobilisierung in Europa: Kampf um eine neue politische Hegemonie?«, in: Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft 3/13 (2019), S. 339–352; Mark Gevisser: Die pinke Linie: Weltweite Kämpfe um sexuelle Selbstbestimmung und Geschlechtsidentität, Berlin: Suhrkamp (2021).