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Rechtes Wissen: Konstellationen zwischen Universität und Politik
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André Semadeni

Geist(er)jäger: Reisen in den rechten Kosmos der 1980er Jahre

Rechts das Regierungsmandat, links die kulturelle Hegemonie: die Machtverhältnisse der späten Bundesrepublik schienen klar sortiert. Auf seinen Reisen durch den rechten Kosmos der 1980er Jahre begann der Politikwissenschaftler Claus Leggewie daran zu zweifeln.

Bonn, Januar 1987. Es sollte die letzte Bundestagswahl vor der Wiedervereinigung sein. Die Bundesrepublik liess sich auf keine Experimente ein und bestätigte ihre Regierung, Kabinett Kohl III war Tatsache. Die Euphorie aber hielt sich in Kreisen der CDU/CSU in Grenzen, sie büsste ganze viereinhalb Prozentpunkte ein und stand als verlierende Gewinnerin der Wahl da. Und obwohl die Koalition mit der FDP, welche schon seit 17 Jahren als Juniorpartnerin in Bonn regierte, fortgeführt werden konnte, sah sich die Union mit epochalen Herausforderungen konfrontiert. Die Stichworte lauteten: Ökologie, Technologie und Wissenschaft. Themen wie In-vitro-Fertilisation, Umweltschutz sowie die Abtreibungsdebatte dominierten den politischen und intellektuellen Diskurs. Es ging um die Zukunft: die Zukunft der Union, die Zukunft der Bundesrepublik, die Zukunft der Meinungsherrschaft.

Auf galaktischer Erkundung

In seinem ebenfalls 1987 im Rotbuch Verlag erschienenen Buch mit dem lakonischen Titel Der Geist steht rechts: Ausflüge in die Denkfabriken der Wende begab sich der deutsche Politikwissenschaftler Claus Leggewie in dieser Konstellation auf eine »intergalaktische« Reise, um die aktuelle politisch-kulturelle und geistige Landschaft der Bundesrepublik zu vermessen. Der auffällige Buchdeckel (Abb. 2) zeigt eine fliegende Untertasse, und auf den ersten Blick möchte man glauben, es handle sich dabei um eine Science-Fiction-Erzählung. Weit gefehlt: schon die Karikaturen von Lenin, Marx und Mao, die dort gereizt zu den beiden CDU-Altkanzlern Konrad Adenauer und Ludwig Erhard hochblicken, lassen über den Inhalt und die Hauptrollen in diesem Buch vermuten. Aufschlussreicher noch, etwas versteckt, aber gut kontrastiert auf dem Rückdeckel oberhalb des Waschzettels: ein Passionskreuz (weiss auf schwarz) und eine Swastika (schwarz auf weiss). Untersuchungsgegenstand ist die konservative »Galaxie« mit ihrer Zentralprotagonistin, der »christ-demokratischen Orthodoxie«.1

Auf seiner Reise durch den ideologisch äusserst heterogenen konservativen Kosmos macht Claus Leggewie Halt bei Denkfabriken, Stiftungen und Studienzentren. Er identifiziert (vorwiegend männliche) Akteure, Beziehungen und Machtkonstellationen und zeichnet dabei ein Bild, das in seiner Zeit zu überraschen vermochte. »So gescheit und vergnüglich es auch ist, wie Leggewie die ›konservative Galaxie‹ erforscht«, meinte kurz nach dem Erscheinen der Rezensent Gunter Hofmann für die Wochenzeitung Die Zeit: »wenn man dem das eigene Bild der CDU entgegenstellt, überrascht doch eher, wie wenig es sich mit den meisten der Namen, Zeitschriften oder Zirkeln, die zum Beweis angeführt werden, in Einklang bringen lässt«.2

Leggewie führte etwa Gespräche mit den Philosophen Günter Rohrmoser, bekannt durch seine Nähe zum Studienzentrum Weikersheim, oder Robert Spaemann, der wie Rohrmoser der sogenannten Ritter-Schule zugerechnet wird. Letztere bildete sich als Zusammenschluss gleichgesinnter Denker um den Philosophen Joachim Ritter heraus, in gewisser Abgrenzung zur Frankfurter Schule. Auch Armin Mohler, welcher als Vordenker der neuen Rechten grossen Einfluss unter anderem auch auf den Nouvelle Droite-Gründervater Alain de Benoist ausübte, brachte er zum Dialog. Und obwohl sich die Meinungen dieser konservativen Köpfe und Denkinstitute teilweise diametral gegenüberstanden, zeigte sich für Leggewie nach seinem Ausflug eine eindeutige Tendenz: Der Geist steht rechts.

Abb. 1: Die CDU zog 1986/1987 mit dem Slogan »Zukunft statt Rot-Grün« in den Wahlkampf — hier als »Autoaufkleber«.

Intellektuelle Vormacht

Wer in diesem Kontext von Geist spricht, verweist auf den italienischen Philosophen und Schriftsteller Antonio Gramsci und sein Konzept der kulturellen Hegemonie. Dieser hatte in den 1930er Jahren postuliert, dass sich Politik und Ideologie nur bedingt von Gebieten wie der Ökonomie und der Kultur trennen lassen. Vielmehr hingegen hängen die verschiedenen Elemente einer Gesellschaft zusammen und bilden eine gemeinsame Struktur. Theorie und Praxis verfliessen demnach ineinander und spiegeln sich in allen Lebensbereichen wider.3 Nach Gramsci manifestierte sich die Hegemonie aber nicht in einem gewaltsamen Diktat, sondern in der Zustimmung der beherrschten Gesellschaft gegenüber dem Handeln der Machthaber*innen. Diese müssten durch eine Hoheit über Debatten und Diskurse einen »Gleichgewichtszustand« schaffen, in welchem »die Interessen der herrschenden Gruppen überwiegen«.4

Kurz gefasst bedeutet das, dass eine politische Hegemonie die kulturelle Hegemonie voraussetzt. Gramsci entwarf dieses Theorem in den 1930er Jahren angesichts des Scheiterns der italienischen Kommunist*innen. Ungeachtet der marxistischen Ausrichtung seines Erschaffers fand es später im ganzen politischen Meinungsspektrum bis hin an den rechten Rand Verbreitung.5 Eine besondere Bedeutung kommt nach Gramsci dem Intellektuellen in der Rolle des »Kriegers um den Geist« zu: »Es gibt keine unabhängige Klasse von Intellektuellen, sondern jede Klasse hat ihre Intellektuellen; aber die Intellektuellen der historisch progressiven Klasse üben eine solche Anziehungskraft aus, dass sie sich letztlich die Intellektuellen der anderen Klasse unterordnen«.6 War es 1987 tatsächlich die Rechte, die sich als »historisch progressive Klasse« zur kulturellen Hegemonie aufschwang?

Leggewies pauschale Antwort scheint zu einfach, schon deshalb, weil man in weiten Kreisen Ende der 1980er Jahre fest von einer Linkslastigkeit des Geistes überzeugt war.7 So sprach Leggewies Gesprächspartner Wulf Schönbohm, Leiter der Abteilung für Grundsatzfragen und Planung in der CDU und damit enger Mitarbeiter des damaligen Parteigeneralsekretärs Heiner Geissler, von einer sich zurückbildenden kulturellen Dominanz der linken Geisteselite. Dies sei aber nicht mit einer kulturhegemonialen Führung der CDU gleichzusetzen.8 Auch Günter Rohrmoser erkannte in den aktuellen Entwicklungen vor allem eine um sich greifende Abkehr von linken Utopien – und eine geistige Führung durch die Grünen und Alternativen.9 Und der Zeit erschien Leggewies These insgesamt als »intellektuelle Spielerei«.10 Die Kontradiktionen waren augenfällig. Doch was eigentlich zählte und worauf Leggewies provokanter Titel wohl auch abzielte, war die sich abzeichnende Entwicklung, welche er beobachtete. Denn die aufkeimenden Meinungen von heute münden in die Kulturrevolution von morgen. Und während in der Frage um die aktuelle kulturelle Hegemonie grosse Uneinigkeit herrschte, fanden sich die Streitparteien im Hinblick auf die Zukunft der CDU in einem gemeinsamen Konsens: Wichtige und diffizile Positionierungen stehen für die CDU auf der Traktandenliste. Dabei darf die Partei eines nicht verlieren: ihren Zusammenhalt.

Wissenschaft im konservativen Richtungsstreit

Leggewie nannte diese Probleme beim Namen und führte durch die herrschenden Antagonismen in der konservativen Geisteselite. Er unterteilte diese in die drei »Marschsäulen des Bürgerblocks«: Neoliberale, Konservative und christlich-soziale Reformer.11 Dass hier Konfliktpotential schlummerte, war flagrant. Dabei fiel vor allem ein Umstand ins Gewicht – die Auseinandersetzungen fanden vor dem Hintergrund einer wachsenden Bedeutung der Wissenschaft statt. Denn wer 1968 oder die konservative Gegenbewegung der nächsten Jahre in den Akademien miterlebt hatte, wusste, dass die Universitäten und Hochschulen zur Bühne ideologischer Auseinandersetzungen geworden waren.12

Abb. 2: Claus Leggewies Der Geist steht rechts: Ausflüge in die Denkfabriken der Wende erschien 1987 im Rotbuch Verlag. Auf dem Cover: Konrad Adenauer mit UFO, Ludwig Erhard auf dem Mond sowie Lenin, Marx und Mao, die gereizt zu den beiden CDU-Altkanzlern hinaufblicken.

Dabei ging es nicht ausschliesslich darum, wer die Hoheit in den Akademien besass, sondern auch um die Frage des Stellenwertes der Wissenschaft in den eigenen Ideologien. Offensichtlich wurde dies etwa in der Auseinandersetzung darüber, welchen Stellenwert christliche Werte und Argumentationen für den Konservatismus besitzen sollten. Der Streit um das »C« im Parteiakronym der CDU, das Autor*innen und Glaubensvertreter*innen der Neuen Politischen Meinung, wie beispielsweise Basilius Streithofen, gerne hervorkehren wollten, manifestierte sich um 1987 unter anderem in der Abtreibungsfrage.13 Plötzlich wurden nicht nur religiöse (Anti-)Argumentarien angeführt. Der von Mohler zitierte Soziologe Robert Hepp etwa betonte in einem Interview mit Augenmerk auf die Demographie, dass er es bedaure, dass für wiederholtes Abtreiben nicht die Todesstrafe angedroht werden könne. Im selben Satz sprach er sich für ein Verkaufsverbot von Empfängnisverhütungen aus. Er sah darin das Patentrezept gegen die gegenwärtigen bevölkerungspolitischen Probleme, gegen den »sanften Völkermord an sich selbst«, der sich aus der tiefen Geburtenrate ergebe.14

Doch nicht überall im konservativen Kosmos lehnte man die Abtreibung rundweg ab: In einer anderen, an die Evolutionsbiologie angelehnten Erklärung wurde die Rolle der Abtreibung als Instrument zur Verhinderung von Föten mit Missbildung unterstrichen; als Technik, um die »weisse Rasse« erfolgreich dem Übermenschentum näherbringen zu können.15 Wissenschaft wurde in diesem Kontext zur zentralen Debattenressource und gleichzeitig Schlachtfeld zur Austragung wissenschaftlicher Kontroversen. Dies gilt auch für den sogenannten Historikerstreit, der sich 1986 aus den Professorenbüros der Universitäten in die Öffentlichkeit verlagerte. Die Frage nach Völkermord und Kriegsschuld wurde zum Politikum, Geschichtsforschung und Geisteswissenschaften wurden in ihren Grundsätzen der Methodik, Neutralität und Freiheit diskutiert.16

Während Kirche und orthodoxe Christdemokrat*innen mit dem zunehmenden Einfluss der Akademien haderten, pflegten Unionspolitiker*innen im Süden der Bundesrepublik eine durchaus optimistische Sicht auf die Wissenschaften. Baden-Württembergs Ministerpräsident Lothar Späth, auch anerkennend »Cleverle« genannt, agierte pragmatisch. Vor allem die Natur- und Ingenieurswissenschaften standen bei ihm hoch im Kurs; Späth war sich der Kraft eines Technologienarrativs vollkommen bewusst und setzte hierbei auf die örtlichen Einrichtungen der Spitzenforschung, benannt nach naturwissenschaftlichen Grössen: Fraunhofer- und Max-Planck-Institute nutzte er, wie Leggewie offenlegte, als politische Strategielieferanten.17 Komplementär zu den dort praktizierten Naturwissenschaften wirkten Geistes- und Sozialwissenschaften, die den Technologie-Imperativ gesellschaftsfähig machen und gleichzeitig historische Kontinuität garantieren sollten.18

Auf der gleichen technokratischen Wellenlänge politisierte auch Kurt Biedenkopf. Der Alt-CDU-Generalsekretär, von der Zeit als »Ordo-Denker und Wachstumspolitiker« bezeichnet,19 parteiintern durchaus umstritten, hatte sich seine Denkfabrik allerdings gleich selbst erschaffen. Das Institut für Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik stellte sich in seinen Satzungen klar den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit seiner Praxis.20 Die CDU hatte also innovative Parteifunktionäre und Mandatsträgerinnen in bester Positionierung, die mit Hilfe von Wissenschaft und Technik die Antwort auf die Frage nach der Zukunft des Konservatismus zu wissen glaubten.

Abb. 3: »Der High-Technokrat: Lothar Späth« — Exzerpt aus Leggewies Der Geist steht rechts (»Fünfte Station: Cleverle und die Postkonservativen«) in der Badischen Zeitung.

Ökologiekritik zwischen Innovation und Tradition

Der Gestus von Technik und Innovation verstellte allerdings den Blick darauf, dass viele der aus der Wissenschaft entlehnten Positionen für den Konservatismus alles andere als neu waren. Besonders ermessen lässt sich dies auf dem Feld der Umweltpolitik, das in den 1980er Jahren zu einem besonders wichtigen Ort der intellektuellen Auseinandersetzungen wurde. Vor allem die verheerende Katastrophe, welche sich am 26. April 1986 in Reaktor 4 des Kernkraftwerks in Tschernobyl ereignete, bewegte die Debatte um die sowieso schon umstrittene Atomkraft schlagartig in eine neue Dimension.21 Die Zeit diagnostizierte nach dem Unfall: »Allerdings lassen sich diese Erfahrungen nicht mehr im Rechts-Links-Schema parteipolitisch verrechnen. Die neuen Verbindungslinien zwischen konservativer Zivilisationskritik und progressiver Ökologie durchkreuzen die alten Fronten«.22

Ökologie wurde zum Schlagwort der Zeit. Es bestimmte zunehmend den öffentlichen Diskurs, was sich nicht zuletzt in der Parteienlandschaft niederschlug. Die Gründung der Grünen Partei 1980 und deren Erfolg an den Bundestagswahlen drei und sieben Jahre später waren symptomatisch für eine Entwicklung, die sich über Jahre hinweg abgezeichnet hatte. In den Akademien wuchs die Aufmerksamkeit für ökologische Themen rasant und auch die Ideologiefabriken der Parteien waren sich bewusst, dass Antworten gefordert wurden: Wer das Thema effektiv und stringent mit dem eigenen Parteiprogramm verbinden konnte, durfte sich im kulturhegemonialen Rennen auf einen grossen Vorsprung freuen. So verschrieb sich unter anderem die CIVITAS, eine von Spaemann und den Kollegen Peter Koslowski und Reinhard Löw 1979 gegründete Gesellschaft, anhand von Tagungen den Fragen zum Evolutionismus oder den ethischen Konflikten der modernen Medizin und der Biologie. Spaemann wies darauf hin, dass die Hinwendung zu den aktuellen Naturwissenschaften keine Abkehr von älteren Denktraditionen bedeutete. In den Interviews mit ihm, die Leggewie in seinem Buch abdruckte, betonte Spaemann: »Der neue ökologische Konsens muss sich aus verschiedenen Quellen speisen. Er kann sich aus religiösen Quellen speisen (Kreatürlichkeit)«.23 Nach ihm sollte sich also auch die Kirche dazu eignen, Ökologie erklären zu können. Ökologie, so betonte ganz explizit auch Günter Rohrmoser, war ein Kernthema des Konservatismus: »Die Natur der Ökologiekrise lässt ja gar keine anderen Antworten als konservative zu, und es werden ja auch allenthalben konservative gegeben«.24 Dies waren provokante Kampfansagen an die ›linke‹ Umweltbewegung. Aber sie besassen eine wahre Essenz, die Ende der 1980er Jahre zunehmend ins Bewusstsein rückte.

Rechts für die Umwelt

Rechte Ökologie – was vielleicht zunächst wie ein schlecht geformtes Oxymoron anmutet, hatte in der Tat eine längere Tradition als so manchem Linken und Grünen lieb sein konnte. Die Spuren führen zurück in die Jahrhundertwende, als das Bekenntnis zur Heimat zunehmend an Bedeutung gewann. Heimat, die sich aus der Landschaft, der Kultur und der zugrundeliegenden Natur zusammensetzt, galt es zu schützen. Der Kopf hinter diesen Ideen hiess Ernst Rudorff, ein bürgerlicher Musiker, besonders bekümmert über die Verunstaltung seiner Heimat. Seine Feinde lauteten damals: Modernisierung, Tourismus und Gier. Er rief zum Schutz der Natur auf, welcher er eine zentrale, schon fast spirituelle Rolle in der Entwicklung eines Volkes zuschrieb.25 Dies mündete 1904 in die Gründung des Deutschen Bundes Heimatschutz, welcher sich fortan mit Projekten wie der Austrocknung von Flüssen durch extensive Wasserentnahme, dem Denkmalschutz von historischen Kulturstätten und der Eindämmung unüberlegter Expansion von industriellen Einrichtungen beschäftigte. Daneben unterstützte er Publikationen, die sich unter anderem mit der Konservation von Natur und traditioneller Architektur beschäftigten.26 Alles in allem eine reiche Ideengeschichte, die von kulturtraditioneller und argumentativer Bedeutung war. Angesichts dieser ökologischen Tradition sah sich das rechte Lager berechtigt, die Genese des Umweltschutzes für sich zu reklamieren.27 Doch entscheidender als die Besetzung von dessen Historie war das Erbe des altrechten Ökologiebegriffs, das durch die Geschichte mitgetragen wurde. Man musste offensichtlich nicht weit suchen, um in diesen Grundsätzen die Parallelen zu einer Politik der Grünen am Ende der 1980er Jahre zu erkennen. Durch ihre in den 1970er und 1980er Jahren geschärften, teilweise stark abstrahierten Positionen, dehnten die Konservativen den ökologie-ideologischen Graben aber über die Zeit hinweg aus. Selbst die anfänglichen Parallelen konnten die zunehmende Diskrepanz zwischen dem linken und rechten Ökologieverständnis nicht überdecken.

Diese Entwicklung war nicht zuletzt auch eine grosse Chance für die Unionsparteien, sich in diesem kulturhegemonial relevanten Thema von ihrer politischen Konkurrenz abzuheben. Doch diese zauderten, was 1982 unter anderem in der Gründung der Ökologisch-Demokratischen Partei mündete. Dieses von Leggewie auch als »Abspaltung vom Fleisch der Union« betitelte Ereignis war Zeugnis davon, dass sich die CDU schwertat, die Partei in einem ökologischen Konsens zu einen.28 Heute wird deutlich, dass Günter Rohrmoser dazu im Gespräch mit Leggewie eine treffende Entwicklung beschrieben hatte: »Dass die CDU zu dieser zentralen, vielleicht wichtigsten Frage keine philosophisch durchdachte Position hat, wird die Hauptursache für ihren dramatischen Integrationsverlust als Volkspartei in den 90er Jahren sein«.29

Der Grund für dieses Versagen der Partei mag erstens darin gelegen haben, dass die wissenschaftliche Argumentation vor allem aus naturwissenschaftlicher Perspektive nicht wasserdicht war. Andererseits, und auch etwas wahrscheinlicher, könnte eine fundamentale Anschauung den Ausschlag gegeben haben: der von neurechter Seite negierte Universalismus – also die Ablehnung aller egalitären Gesellschaftssysteme – vertrug sich nicht mit den christlichen Strömungen innerhalb des rechten Kosmos. Das war insofern bedauerlich für die CDU, als sich interne Ideologiekonflikte nicht unbedingt positiv auf ein einheitliches Auftreten im Ringen um die kulturelle Hegemonie auswirkten. Es ergänzte aber das Bild einer in sich uneinigen rechten Geisteselite, welches Leggewie in seiner Analyse ausmachte.

Ein Reisebericht

Leggewies Ausflüge in den konservativen Kosmos haben die ganz grosse Bühne umgangen. Doch mit seinem Fokus warf er Licht auf ein Phänomen, das damals noch recht unberührt zu sein schien. »Ohne Zweifel ist bisher die Untersuchung des institutionellen Rahmens vernachlässigt worden, innerhalb dessen in der Bundesrepublik konservative Leitbilder artikuliert und in massenwirksame Wahlstrategien umgesetzt werden. Claus Leggewie hat nun eine Studie vorgelegt, die geeignet scheint, diese Lücke zu schliessen« schreibt Richard Saage in einer Besprechung 1987.30

Abb. 4: Atomkraft, ein Weg der Vernunft? (1982) — die Reihe ›Civitas Resultate‹ erschien seit 1981 u.a. im Piper Verlag.

Leggewie offenbarte, dass die Arbeit von Denkfabriken nun endgültig im (neu-)rechten Ideologieapparat der Bundesrepublik angekommen war. Was in den frühen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in den USA unter dem Begriff »think tank« begonnen hatte, machten sich jetzt auch konservative Intellektuelle in Deutschland zu Nutze. Sie schlossen sich zusammen, um ihre Ideen austauschen zu können, an ihnen zu feilen und anhand von Zeitschriften, Tagungen und Netzwerken gebündelt Einfluss auf den intellektuellen und politischen Diskurs nehmen zu können. Die – als nahtlos anzufügendes Exempel – 1970 von Armin Mohler und Mitstreiter Caspar von Schrenck-Notzing gegründete Zeitschrift für Rechtsintellektuelle Criticón lobte die Information sowie den Schreibstil des Buches und verpasste dem rechten Lager in selbstkritischer Manier einen Denkzettel, indem sie bemerkte, dass eine solche Methodik und Herangehensweise in den eigenen Reihen selten gesehen sei.31 Günter Hofmann apostrophierte das Werk in der Zeit fünf Jahre nach dessen Erscheinung als »mittleres Beben«.32

Dass also die Konklusion (»der Geist steht rechts«), in einer Zeit der breit anerkannten Linkslastigkeit der kulturellen Hegemonie, als Provokation und Denkanstoss aufgefasst wurde, reicht, um zu erkennen, dass der »unorthodoxe Kopf« Claus Leggewie den damaligen Diskurs um die Meinungsführerschaft mit seinen Entdeckungen erweitert hat.33 Darüber hinaus markiert das Buch einen Perspektivwechsel. Es leistet einen Anstoss für eine bis heute andauernde kritische Auseinandersetzung der Verbindung zwischen rechten Ideen und der Wissenschaft. Deutlich wird das, wenn man einen rund dreissig Jahre grossen Zeitsprung macht. Das Werk wirkt trotz fester zeitlicher Verankerung noch bis in die Gegenwart, es dient als Rezeptionsquelle von Arbeiten und Publikationen, welche sich mit der Politik in der Union, den vielumworbenen Denkfabriken und dem Zusammenhang von Rechten und Universität beschäftigen.34

Dazu kommt, dass Leggewie einige Entwicklungen richtig prognostizierte – das Vakuum im rechten politischen Flügel, welches durch die AfD 2017 mit einem tsunamiartigen Einzug in den Bundestag gefüllt wurde. Auch die Landschaft der Denkinstitute hat sich seither gewandelt und ausgebildet. Wer sich etwas vertieft mit der gegenwärtigen Politik in Deutschland auseinandersetzt, dem sind das Institut für Staatspolitik und der dazugehörige Verlag Antaios sowie die Zeitschrift Sezession wohl bekannt. Und die Strecke Schnellroda-AfD ist zu einer gefestigten Transportverbindung von politischem und ideologischem Immaterialgut avanciert.

Was Leggewie 1987 zu seinem kühnen Fazit trieb, lässt sich also aus den beschriebenen Entwicklungen und Phänomenen verstehen. Seine Feststellung vom rechten Geist mag einige echauffiert, andere bestätigt und weitere verwundert haben. Doch Leggewie hat uns damals beigebracht, dass die Rechte wieder denkt. Sie denkt organisiert, kontradiktorisch und technologisch – strategisch, ökologisch, christlich und natürlich rechts. Und damit ist die Liste nicht abgeschlossen. Intra- und intergalaktische Sternenkriege im Ideologiekosmos waren und sind vorprogrammiert. Aber um Sternenkriege führen zu können, bedarf es der nötigen Ausrüstung. Und diese hatte die Rechte um 1987.

André Semadeni studiert Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: »Zukunft statt Rot-Grün«, CDU Wahlkampf-Sticker, 1987.

Abb. 2: Claus Leggewie: Der Geist steht rechts: Ausflüge in die Denkfabriken der Wende, Berlin: Rotbuch Verlag (1987), Cover.

Abb. 3: Claus Leggewie: »Cleverle und die Postkonservativen«, in: Badische Zeitung (22. August 1987), S. 5, Detail.

Abb. 4: Peter Koslowski, Philipp Kreuzer, Reinhard Löw (Hg.): Atomkraft, ein Weg der Vernunft? Eine kritische Einschätzung der Konsequenzen der Kernenergie, München: Piper (1982), Cover.

Literatur
  1. 1

    Claus Leggewie: Der Geist steht rechts: Ausflüge in die Denkfabriken der Wende, Berlin: Rotbuch Verlag (1987), S. 28.

  2. 2

    Gunter Hofmann: »Wohin treibt die Union?«, in: Die Zeit (17.07.1987), https://www.zeit.de/1987/30/wohin-treibt-die-union/.

  3. 3

    Vgl. Gwyn A. Williams: »The Concept of ›Egemonia‹ in the Thought of Antonio Gramsci: Some Notes on Interpretation«, in: Journal of the History of Ideas 4/21 (1960), S. 586–599. Zur Gramsci-Rezeption der »Neuen Rechten« siehe »Die kulturelle Macht« [frz. »Le pouvoir culturel«, 1979], in: Alain de Benoist: Kulturrevolution von rechts: Gramsci und die Nouvelle Droite, Krefeld: Sinus (1985).

  4. 4

    Antonio Gramsci, zitiert in: Mario Candeias: »Gramscianische Konstellationen: Hegemonie und die Durchsetzung neuer Produktions- und Lebensweisen«, in: Andreas Merkens, Victor Rego Diaz (Hg.): Mit Gramsci arbeiten: Texte zur politisch-praktischen Aneignung Antonio Gramscis, Hamburg: Argument Verlag (2007), S. 15–23, hier S. 20.

  5. 5

    Wolfgang Gessenharter, Helmut Fröchling: »Neue Rechte und Rechtsextremismus in Deutschland«, in: Jens Mecklenburg (Hg.): Handbuch deutscher Rechtsextremismus, Berlin: Elefanten Press (1996), S. 550–571, hier S. 561.

  6. 6

    Antonio Gramsci: »Erstes Heft – 44 (1929–1935)«, in: Klaus Bochmann (Hg.): Gefängnishefte / Antonio Gramsci, Bd. 1, Hamburg: Argument Verlag (1991).

  7. 7

    Gunter Hofmann: »Wohin treibt die Union?«, in: Die Zeit (17.07.1987), https://www.zeit.de/1987/30/wohin-treibt-die-union/.

  8. 8

    Ebd.

  9. 9

    Claus Leggewie: Der Geist steht rechts: Ausflüge in die Denkfabriken der Wende, Berlin: Rotbuch Verlag (1987), S. 56.

  10. 10

    Gunter Hofmann: »Der beschädigte Konservatismus«, in: Die Zeit (17.03.1989), https://www.zeit.de/1987/30/wohin-treibt-die-union/.

  11. 11

    Claus Leggewie: Der Geist steht rechts: Ausflüge in die Denkfabriken der Wende, Berlin: Rotbuch Verlag (1987), S. 10.

  12. 12

    Vgl. Nicolai Wehrs: »Der ›Bund Freiheit der Wissenschaft‹ (BFW) in den 1970er Jahren«, in: Potsdamer Bulletin für Zeithistorische Studien 42 (2008), S. 7–17.

  13. 13

    Claus Leggewie: Der Geist steht rechts: Ausflüge in die Denkfabriken der Wende, Berlin: Rotbuch Verlag (1987), S. 89.

  14. 14

    Arbeitskreis Neue Rechte, zitiert in: Wolfgang Gessenharter: Kippt die Republik? Die Neue Rechte und ihre Unterstützung durch Politik und Medien, München: Droemer Knaur (1994), hier S. 132; Thor v. Waldstein: »... als würde der deutsche Wald das deutsche Volk überleben« (Interview mit Robert Hepp aus elemente zur Metapolitik 3/1987), gekürzte Fassung online: »Der Soziologe Robert Hepp ist 80 – ein Interview«, in: Sezession (20.02.2018), https://sezession.de/58228/der-soziologe-robert-hepp-ist-80-ein-interview/.

  15. 15

    Yves Christen (n.d.), zitiert in: Patrick Moreau, »Die neue Religion der Rasse«, in: Iring Fetscher (Hg.): Neokonservative und ›Neue Rechte‹: Der Angriff gegen Sozialstaat und liberale Demokratie in der Bundesrepublik, Westeuropa und den Vereinigten Staaten, München: C.H. Beck (1983), S. 117–162, hier S. 158.

  16. 16

    Claus Leggewie: Der Geist steht rechts: Ausflüge in die Denkfabriken der Wende, Berlin: Rotbuch Verlag (1987), S. 225–226.

  17. 17

    Ebd., S. 66.

  18. 18

    Ebd., S. 73.

  19. 19

    Gunter Hofmann: »Wohin treibt die Union?«, in: Die Zeit (17.07.1987), https://www.zeit.de/1987/30/wohin-treibt-die-union/.

  20. 20

    Claus Leggewie: Der Geist steht rechts: Ausflüge in die Denkfabriken der Wende, Berlin: Rotbuch Verlag (1987), S. 80–81.

  21. 21

    Melanie Arndt: Tschernobyl. Auswirkungen des Reaktorunfalls auf die Bundesrepublik Deutschland und die DDR, Thüringen: Landeszentrale für politische Bildung (2011).

  22. 22

    Robert Leicht: »Jetzt wissen wir, was auf dem Spiel steht«, in: Die Zeit (16.05.1986), https://www.zeit.de/1986/21/jetzt-wissen-wir-was-auf-dem-spiel-steht/.

  23. 23

    Claus Leggewie: Der Geist steht rechts: Ausflüge in die Denkfabriken der Wende, Berlin: Rotbuch Verlag (1987), S. 146. Weiterführend aus damaliger Perspektive vgl. Fritz Reusswig, Michael Scharping: »Wo steht die Natur, wenn der Geist rechts steht?«, in: Thomas Noetzel, Horst Dieter Zahn (Hg.): Die Kunst des Möglichen: Neokonservatismus und industrielle Kultur, Marburg: SP-Verlag (1989), S. 108–130.

  24. 24

    Claus Leggewie: Der Geist steht rechts: Ausflüge in die Denkfabriken der Wende, Berlin: Rotbuch Verlag (1987), S. 62.

  25. 25

    Vgl. etwa Thomas Lekan: »A ›Noble Prospect‹: Tourism, Heimat, and Conservation on the Rhine, 1880–1914«, in: The Journal of Modern History 4/81 (2009), S. 824–858; Helmut Trotnow: »So neu sind die Grünen nicht«, in: Die Zeit (20.09.1985), https://www.zeit.de/1985/39/so-neu-sind-die-gruenen-nicht/.

  26. 26

    Christian F. Otto: »Modern Environment and Historical Continuity: The Heimatschutz Discourse in Germany«, in: Art Journal 2/43 (1983), S. 148–157.

  27. 27

    Vgl. etwa Günter Rohrmoser: »Was heißt schon konservativ?«, in: Natur 4/11 (1983), S. 68-71.

  28. 28

    Claus Leggewie: »Die Zwerge am rechten Rand – Zu den Chancen kleiner neuer Rechtsparteien in der Bundesrepublik Deutschland«, in: Politische Vierteljahresschrift 4/28 (1987), S. 361–383, hier S. 366.

  29. 29

    Claus Leggewie: Der Geist steht rechts: Ausflüge in die Denkfabriken der Wende, Berlin: Rotbuch Verlag (1987), S. 62.

  30. 30

    Richard Saage: »Claus Leggewie: Der Geist steht rechts«, in: Politische Vierteljahresschrift 4/29 (1988), S. 698–699, hier S. 698.

  31. 31

    Zit. nach Günter Platzdasch: »Ein linker Entdecker«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (27.03.2020), https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/dem-politologen-claus-leggewie-zum-siebzigsten-16697689.html/.

  32. 32

    Gunter Hofmann: »Die Radikalität kommt aus der Mitte«, in: Die Zeit (16.12.1992), https://www.zeit.de/1992/43/die-radikalitaet-kommt-aus-der-mitte/.

  33. 33

    Gunter Hofmann: »Wohin treibt die Union?«, in: Die Zeit (17.07.1987), https://www.zeit.de/1987/30/wohin-treibt-die-union.

  34. 34

    Michael Minkenberg: »The New Right in Germany«, in: European Journal of Political Research 1/22 (1992), S. 55–81; Hartwig Pautz: »Think Tanks in the United Kingdom and Germany: Actors in the Modernisation of Social Democracy«, in: The British Journal of Politics and International Relations 2/12 (2010), S. 274–294.