Æ Æther

Flughafen Kloten: Anatomie eines komplizierten Ortes
1
Raphael Winteler

Ein Problem im Fluss

Früher wurde die Glatt begradigt, später geschützt, heute soll sie wiederbelebt werden. Der Fluss am Flughafen ist ein unlösbares und wiederkehrendes Problem.

Bitte einsteigen

Das alljährliche Familienfest ist in vollem Gange, oder eher, es herrscht eine zähe Stimmung, wie immer. Üblicher Rahmen, bekannte Bahnen. Die Distanzen untereinander sind gross, thematisch wie architektonisch. Alles deutet auf einen schweigenden Stillstand hin. Plötzlich sackt die Mutter zusammen, verschwindet unbeweglich unter den Tisch. Die Übrigen springen erschrocken hoch, belebt durch die dringende Frage: Lebt sie noch? Jetzt kommt das Fest in Schwung. Denn ein*e jede*r stellt eine Diagnose und weiss, was zu tun ist. Doch im Ideen- und Handgemenge stirbt die Mutter eines tragischen Todes.

Bis auf den Schluss stimmt diese Geschichte mit der »Wiederbelebung der Gewässer« überein. Unter diesem Begriff werden heute »bauliche Massnahmen zur Wiederherstellung der natürlichen Funktionen eines verbauten, korrigierten, überdeckten oder eingedolten oberirdischen Gewässers« verstanden.1 Damit sollen die zum Problem gewordenen Gewässer wieder in einen »naturnahen« Zustand gebracht werden. Die sterbenden Gewässer sollen wiederbelebt werden.

Speziell die Glatt am Rande des heutigen Flughafens Zürich-Kloten war und ist ein Problem. Es kehren jedoch nicht die gleichen Probleme wieder, sondern das Problem ist selbst »im Fluss«. Viele legten im Laufe der Zeit Hand an und versuchten sich an einer Lösung. Doch keine war von Dauer. Es scheint fast so, als dürfte keine endgültige Lösung gefunden werden, denn: Problemlösen belebt. Die Wiederbelebung der Glatt ist dabei nur ein weiterer Lösungsversuch in ihrer langen Problemgeschichte. Ein weiterer Versuch, über das Leben der Glatt zu bestimmen. Stimmt das? Steigen wir zusammen in den Fluss ihrer Geschichte.

Die Glattkorrektionen

Die Glattkorrektionen im 19. Jahrhundert waren hauptsächlich eine Antwort auf heftige Überschwemmungen. Die Glatt wurde mit baulichen Massnahmen in ein enges, tiefes und gerades Flussbett gezwungen. Weil dadurch das umliegende Ried auf Dauer trockengelegt werden konnte, war die Grundlage für den späteren Flughafenbau gesetzt. Das Glatttal war und ist eigenartig. Diese Eigenart ist auf den Gefällsverlauf der Glatt zurückzuführen, der dazu führt, dass sie im unteren Teil »schnell«, im oberen Teil jedoch ganz »langsam« und glatt fliesst.

Abb. 1: Greifensee, Lockheed Orion CH-168 im Flug. Hinten die Glatt und rechts hinten im Dunst der Flughafen Dübendorf, 1932–1936.

So glatt, so problemvoll. Denn das geringe Gefälle und der mäandrierende Verlauf führten seit jeher zu Versumpfungen und Überschwemmungen, die »schon im 17. Jahrhundert die Grabung eines ziemlich geraden, fast ganz neuen Bettes von der Herzogenmühle (Wallisellen) bis nach Oberglatt hinab veranlasst hatte[n].«2 Doch die Massnahmen enttäuschten die Erwartungen und »führten nur zu der Überzeugung, dass durch bloss teilweise Korrektionen dem Übel niemals abgeholfen werden könne.«3 Das Bevölkerungswachstum erhöhte den Druck auf die Landschaft stetig.4

Als sich in den Jahren 1807–1810 die Überschwemmungen der Glatt häuften und Böden und Wohlstand gefährdeten, wurden die Hilferufe an die Regierung immer lauter. Auf Grundlage eines Berichtes von Hans Konrad Escher von der Linth5 veranlasste die Regierung zunächst im unteren Teil des Flusses bei Glattfelden »die Grabung eines neuen, 1.2 km langen Glattbettes«,6 das aber schon 1814 und 1815 wieder von Hochwässern zerstört wurde. Weitere Arbeiten kamen aus Uneinigkeiten über die Kostenaufteilung zwischen Kanton und Gemeinden ins Stocken. Gehemmt durch die Kostenfrage dauerte es bis zum verheerenden Hochwasser von 1876, bis gemeinsame Korrektionsbemühungen wieder in Gang kamen. Mit der zwischen 1878 und 1895 durchgeführten Korrektion war die Glatt nun von »rund 40 auf 35.7 km verkürzt worden.«7 Dabei wurde sie nicht nur gerade- und tiefergelegt, sondern zusätzlich wurden auch noch seitliche Dämme aufgeschüttet.

Der Kanton trieb den Wasserbau in Krisenzeiten voran, fielen die »Korrektionen« doch in eine Phase wirtschaftlicher Stagnation.8 Die Probleme mit der Glatt konnten jedoch nicht befriedigend gelöst werden. So stimmte das kantonale Stimmvolk im Jahr 1936 einer erneuten Tieferlegung der Glatt zu, trotz des Widerstands einzelner Gemeinden. Dabei wurde soweit als möglich auf Handaushub gesetzt, um im »Zeichen der damaligen Zeit – der Arbeitsbeschaffung«9 zu dienen. Neben der sicheren Abführung der Hochwässer gewann nun die Frage nach der Entsorgung der häuslichen Abwässer an Bedeutung. Dies bezeugt der Ingenieur Fritz Bösch in seinem ebenfalls im Jahr 1936 an der ETH Zürich gehaltenen Vortrag über die Abwasserreinigung, in dem er eine erneute Korrektion der Glatt als Bedingung von Kanalisationsnetzen und Kläranlagen betrachtete.10

Abb. 2: Glattkorrektion unterhalb Niederhöri, ca. 1895.

In dieser Zeit kam auch im Kantonsrat die Frage auf, ob es »im allgemeinen volkswirtschaftlichen Interesse« liege, »inmitten eines so grossen Konsumentenzentrums derartige Ödländereien bestehen zu lassen, wie sie der umfangreiche Talkessel zurzeit enthält?«11 Und in dieser Frage klingen sowohl der Bau des Flughafens Kloten und der Bau von Kläranlagen an, als auch die Fortführung der Korrektionen der Glatt und der angrenzenden Gewässer.

Die Kläranlage des Flughafens

Der Flughafen produziert seit jeher viele Abwässer: Anfälle aus Bordtoiletten und den Sanitäranlagen, Küchen und Duschen der Betriebsgebäude. Daneben fallen aus Werft, Werkstätten, Brandübungsplätzen und Baustellen gewerblich-industrielle Abwässer an. Grundsätzlich wurden früher die verschiedenen Abwässer zusammen gereinigt, während sie heute einzeln und »gezielt vorbehandelt« und anschliessend »in die kommunale Abwasserreinigungsanlage Kloten Opfikon für die Schlussreinigung eingeleitet werden«.12 Nicht gereinigt wird das Regenabwasser, welches auf den Flugflächen oder Dächern der Gebäude anfällt und zum Schutz der Gewässer über Ölrückhaltebecken in die Glatt entwässert. Ein Spezialfall sind die im Winterhalbjahr anfallenden »Enteisungsmittel« für die Befreiung der Flugzeuge, Pisten und Rollwege von Schnee und Eis. Erst seit zehn Jahren wird das »Enteiserabwasser« nicht mehr direkt in die Glatt geleitet, sondern je nach Konzentration unterschiedlich behandelt.

Abb. 3: Tage mit viel Schnee und extremer Kälte in Zürich-Kloten: Enteisung der Boeing 747-357 Combi, HB-IGC »Bern«, 1985.

Als der Flughafen im Jahr 1948 seinen Betrieb aufnahm, wurden die verunreinigten Abwässer in einer betriebseigenen Kläranlage gereinigt. Jedoch nie ohne Probleme. Denn die Abwässer der Flugzeugtoiletten, die mit speziellen Toilettenwagen zur Kläranlage gefahren werden mussten, enthielten ein die Kläranlage gefährdendes Desinfektionsmittel. Darum wandte sich die verantwortliche Abteilung Wasserrecht des Kantons Zürich zusammen mit der Swissair an die Spezialisten der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (EAWAG), das 1936 gegründete Wasserforschungsinstitut der ETH Zürich. Diese sollten die geeignetsten Massnahmen erarbeiten, »um den Inhalt der Toilettenwagen in einer Form bereitzustellen, welche das einwandfreie Funktionieren der Kläranlage nicht gefährdet.«13

Ausgehend von der Untersuchung der EAWAG lädt Dr. Altdorfer, Delegierter für den Luftverkehr der Direktion der öffentlichen Bauten, einen erweiterten Kreis von fünfzehn Beteiligten am Montag 5. Dezember 1949 zu einer Sitzung im Walcheturm ein. 16 Uhr, Sitzungszimmer 257, 2. Stock. Ausgangspunkt der Besprechung ist die ungelöste Frage der Beseitigung des Anfalles der Flugzeugtoiletten. Die vorgeschlagene Lösung der EAWAG, die Toilettenwagen bei der Kläranlage in den Schlammfaulraum zu entleeren, sei aus zwei Gründen nicht annehmbar, meint Dr. Althofer mit Nachdruck. »Erstens müsste dort ein heizbares Häuschen mit Warmwasseranlage gebaut werden, zweitens beträgt die Strecke vom Flugsteig rund 1.4 km, was betrieblich einer Zeitverschwendung gleichkommt.«14 Was folgt, ist eine Diskussion über verschiedene Lösungsmöglichkeiten. Doch die günstigste Lösung scheint weiterhin die bereits empfohlene zu sein: »Transport der Toilettenwagen nach der Kläranlage, Entleerung in Faulraum, Weitertransport nach dem Hangar, Ausspülen der Wagen und Füllen mit heissem Wasser und Rückfahrt auf den Flugsteig.« Dr. Altdorfer wagt einen letzten und grundsätzlichen Zweifel: »Ist bei der Projektierung der Kläranlage nicht ein Fehler gemacht worden? Hätte nicht ein anderes System gewählt werden sollen?« Chemiker Kuisel von der EAWAG erwidert: »Es gibt kein anderes Klärungssystem, welches den verlangten Anforderungen genügen könnte.« Und Ingenieur Busch bemerkt, dass »Genf keine Kläranlage besitze.« Ingenieur Bachofner wiederum bringt schliesslich Ruhe in die Unordnung und »orientiert über die Massnahmen, welche im Interesse der Glatt bereits getroffen oder noch im Gang sind.« Der Vorsitzende Dr. Altdorfer kommt zum Schluss, dass die zweckmässigste Lösung jene bleibt, welche die EAWAG in ihrem Bericht empfohlen hatte. Und so sieht Wegmann von der Swissair keine andere Möglichkeit, sich den Tatsachen unterzuordnen: »Unter diesen Umständen muss die Swissair bald einen zusätzlichen Toilettenwagen bereitstellen.« Schluss der Sitzung 17:30 Uhr.

Ein paar Jahre später sind die Probleme um die Kläranlage des Flughafens weiterhin ungelöst, die Zeit der betriebseigenen Kläranlage gezählt. In dieser Zeit klingt langsam schon ein neuer Ton in Sachen Gewässerschutz an, etwa wenn die Neue Zürcher Zeitung im Jahr 1952 den Film »Wasser in Gefahr« bespricht: »Der Film […] zeigt die Not der Wasserlosigkeit: dürstendes Leben stirbt; der Regen fällt erlösend, Wasser bedeutet trinken, Gesundheit, Freude, Nahrung, Kraft. Aber ohne nachzudenken, verbraucht der Mensch sehr viel Wasser, zugleich verschmutzt er es. Verschandelung, Krankheit, Gefährdung des Lebens sind die Folge. Der Film zeigt, was Wissenschaft und Technik dagegen vorkehren können: Kanalisation und Kläranlagen.«15

Am 7. Oktober 1957 beschloss der Kantonsrat einen Kredit für den Anschluss des Flughafens an eine gemeinsame Abwasserreinigungsanlage Kloten Opfikon.16 Der Bau einer gemeinsamen Kläranlage war ein Versuch, das Verschmutzungsproblem der Glatt zu lösen. Und nicht nur der Glatt: Überall in der Schweiz wurde damit begonnen, Kläranlagen im grossen Stil zu bauen. Statt den Flusslauf zu verändern, wurde also das Abwasser nun vor der Einleitung in die Glatt gereinigt.

Abb. 4: Toilettenservice-Fahrzeug der Swissair am Flughafen Zürich-Kloten, 1971–1975.

Abb. 5: Abwasserreinigungsanlage Kloten Opfikon und des Flughafens, 1965.

Die Wiederbelebung der Glatt

Am 23. Oktober 1989 beschloss der Kantonsrat mit 119:0 Stimmen einen Rahmenkredit von achtzehn Millionen Schweizer Franken für die Unterstützung und Durchführung von Wiederbelebungsmassnahmen im Kanton Zürich.17 Die Wiederbelebung war ein Versuch, die ökologischen Probleme der verbauten Gewässer zu lösen. Nachdem die Glatt bereits korrigiert und das zufliessende Abwasser gereinigt worden waren, ging es nun darum, dem Fluss seinen Raum zurückzugeben. Obwohl noch 1974 eine weitere Vertiefung der Glatt beschlossen wurde, machte sich langsam eine »Neubesinnung im Umgang mit unseren Gewässern breit.«18 Mit welchen Stimmen drückte sich diese Neubesinnung aus? Schon Ende der fünfziger Jahre war aus dem Kantonsrat zu hören: »Aber heute fliesst die Glatt […] in einem Zustande, der ekelerregend ist. Man muss schon sehr alte Leute fragen, die sich an eine saubere Glatt, in der man noch baden konnte, erinnern können. Dieser Zustand darf nicht andauern.«19 Mitte der sechziger Jahre klang es bereits handlungsorientierter, wenn der Parlamentarier Dr. Walter Diggelmann erzieherische Massnahmen andachte: »Will man einen dauernd wirksamen Gewässerschutz erreichen, so genügen Kläranlagen allein nicht: […] Ich möchte daher den Regierungsrat einladen, die Frage zu prüfen, in welchem Rahmen in der Volksschule eine nachhaltige Erziehung zu verantwortungsbewusstem Verhalten gegenüber unseren Gewässern realisiert werden könnte.«20 Nochmals zehn Jahre später hatte die Verschmutzung des Greifensees einen solch besorgniserregenden Stand erreicht, dass Dr. Ullin Streiff vom Regierungsrat eine sofortige und mutige Tat verlangte und gleichzeitig vorausblickte: »Offensichtlich wissen wir noch zu wenig über alle Zusammenhänge. Könnte die Regierung die Forschung an unserer Universität nicht animieren, sich speziell mit den hier aufgeworfenen Problemen zu befassen?«21

Video/Still: Beitrag über die Revitalisierung von Zürcher Gewässern, 2015.

Und so wird anfangs der achtziger Jahre allmählich die Forderung zur Ausdolung der Gewässer laut, wobei manche Stimmen nicht zuletzt die wiederbelebenden Effekte auf die Arbeitssituation betonen: »Dass nebenbei auch noch Arbeit anfällt, wenn man unnötig eingedolte Bäche wieder herausholt, Arbeit, die man an die Hand nehmen kann, wenn der Arbeitsvorrat der Bauwirtschaft allenfalls sinkt, ist noch eine erfreuliche Nebenerscheinung.«22 In diesem Zuge wird auch die Glatt beim Flughafen wieder Thema. Spätestens mit dem Inkrafttreten des geänderten Gewässerschutzgesetzes am 1. Januar 2011 hat die »Renaturierung« zum Ziel, Flüsse, Bäche und Seeufer mithilfe von folgenden Massnahmen wieder aufzuwerten: ausreichendem Gewässerraum, Revitalisierungen und der Reduktion der negativen Auswirkungen der Wasserkraftnutzung.23 Revitalisierung heisst von nun an die »Wiederherstellung der natürlichen Funktionen eines verbauten, korrigierten, überdeckten oder eingedolten oberirdischen Gewässers mit baulichen Massnahmen.«24 Dabei werden vorwiegend die Methoden des naturnahen Wasserbaus angewendet. Dessen technischen Grundsätze können vereinfacht zusammengefasst werden: Das Wasser soll auf möglichst abwechslungsreichen Strecken möglichst frei fliessen können.25

Das Gewässerschutzgesetz verpflichtet den Kanton, die Revitalisierungen zu planen und den Zeitplan dafür festzulegen.26 Zu konkreten Revitalisierungsprojekten hat der Kanton Zürich im Jahr 2015 einen Film veröffentlicht, in dem zwei Dinge sichtbar werden.27 Erstens sollen die betroffenen Akteure von Anfang an mitreden können.28 Zweitens wird auch klar, dass sich daraus »widersprechende Nutzungs- und Schutzinteressen« ergeben können.29

Für die Glatt am Flughafen heisst das, dass der Kanton Zürich »einen so genannten Gewässerraum auszuscheiden«30 hat: »Dabei handelt es sich um einen Korridor bestehend aus dem Gewässer und einem Landstreifen entlang beider Ufer […]. Dieser Landstreifen kann landwirtschaftlich extensiv genutzt [geringer Eingriff] werden«31 und »weitgehend frei von neuen Anlagen bleiben.«32 Diese Vorgabe ist von Gewässerspezialist*innen in einem eigenen Gutachten für die Glatt erarbeitet worden.33 Es kommt mit aufwändigen Berechnungsmethoden zum Schluss, dass »aus Sicht Hochwasserschutz eine Gewässerraumbreite von 40–48 m« ausreicht und »aus ökologischer Sicht (Förderung einer angemessenen Biodiversität) ein Gewässerraum von rund 70 m erforderlich« ist.34 Hauptgrundlage ist dabei die ausführliche historische Rekonstruktion der »natürlichen Morphologie der Glatt«35 anhand von Archivmaterial.

Und so liegen im letzten Kapitel des Gutachtens zur Festlegung des Gewässerraums der Glatt die Vergangenheit und Zukunft so nah wie nirgendwo sonst zusammen. Einerseits wird dort der Gewässerraum für den Fall einer Verlängerung der Flugpiste 10/28 skizziert, andererseits wird festgestellt, dass sich die natürliche Dynamik nur dann wieder einstellt, wenn die Linienführung auf die ursprüngliche Morphologie abgestimmt wird.36

Abb. 6: Vorher/nachher: Die Glatt und das Klotener Ried 1850 (oben) und 1950 (unten).

Schluss

Rekapitulieren wir die anfänglichen Überlegungen: Die Renaturierung der Glatt ist ein weiterer Versuch, über das Leben der Glatt zu bestimmen. Dabei soll es wie an einem Familienfest zugehen, wo sich angesichts des momentanen Zustandes der Mutter die dringende Frage stellt: Wie geht es ihr? Was sollen wir tun? Die Mutter ist ansprechbar, doch was sagt sie uns, was hören wir? Um herauszufinden, wie es ihr geht, beobachten die einen sie sehr genau, andere diskutieren zusammen, wieder andere haben das Fest bereits verlassen und verlassen sich für ihr Urteil auf die übermittelten Messdaten. Im fraglichen Ideen- und Handgemenge sind so im Wesentlichen zwei dissonante Stimmen zu hören. Die eine scheint zu sagen: »Belebt mich, gebt mir einen Raum von siebzig Metern«, die andere: »Tötet mich, baut eine Piste über mich.«37 Wer spürt die Feststimmung?

Ja, ich spüre etwas, denn es regt sich in mir eine Idee: Sollten wir nicht auch noch den altehrwürdigen Kant wiederbeleben und seinen kategorischen Imperativ auf die Gewässer anwenden, indem wir uns so verhalten, dass wir »die natürliche und soziale Welt jederzeit zugleich als Gegenüber und niemals nur als Mittel behandeln«?38 Und indem ich zitiere, nehme ich den anderen beim Wort. Glatt, ich höre… [unverständliches und sehr glattes Gemurmel] … Wie geht es dir?

Raphael Winteler studiert im Master »Geschichte und Philosophie des Wissens« an der ETH Zürich.

Glatt, ich höre… [unverständliches und sehr glattes Gemurmel] … Wie geht es dir?

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Unbekannt, Greifensee, Lockheed Orion CH-168 im Flug. Hinten die Glatt und rechts hinten im Dunst der Flughafen Dübendorf, 1932–1936, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR02-10400-AL.

Abb. 2: Unbekannt, Glattkorrektion unterhalb Niederhöri, ca. 1895, Staatsarchiv des Kantons Zürich, StAZH VV III 9 a.7.

Abb. 3: Unbekannt, Tage mit viel Schnee und extremer Kälte in Zürich-Kloten: Enteisung der Boeing 747-357 Combi, HB-IGC »Bern«, 1985, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR05-085001-21A.

Abb. 4: Werner Gamper, Toilettenservice-Fahrzeug der Swissair am Flughafen Zürich-Kloten, 1971–1975, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR05-200257-24.

Abb. 5: Werner Friedli, Abwasserreinigungsanlage Kloten Opfikon und des Flughafens, 1965, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_H1-026046.

Abb. 6: Peter Kläui, Eduard Imhof, Atlas zur Geschichte des Kantons Zürich, 1351-1951, hg. vom Regierungsrat des Kantons Zürich, Zürich: Orell Füssli (1951), Ausschnitte aus den Tafeln 25 und 26.

Video: Kanton Zürich: »Revitalisierung von Zürcher Gewässern«, https://www.youtube.com/watch?v=f_neJQOEJCA (2015).

Literatur
  1. 1
  2. 2

    Druck & Verlag Theophil Maag (Hg.): Opfikon, Glattbrugg, Oberhausen Einst und Jetzt, Glattbrugg: Maag (1969), S. 32.

  3. 3

    Ebd.

  4. 4

    Vgl. Ernst Winkler: »Veränderungen der Kulturlandschaft im Zürcherischen Glattal«, in: Mitteilungen der Geographisch-Ethnographischen Gesellschaft 36 (1935–1936), S. 53.

  5. 5

    »Textilkaufmann und Politiker, Geognost und Ingenieur, Botaniker und Staatsphilosoph, Lehrer und Familienmensch.« Vgl. Das Linthwerk: »Hans Konrad Escher von der Linth«, http://hans-konrad-escher.ch/die-person-escher.

  6. 6

    Ernst Winkler: »Veränderungen der Kulturlandschaft im Zürcherischen Glattal«, in: Mitteilungen der Geographisch-Ethnographischen Gesellschaft 36 (1935–1936), S. 65.

  7. 7

    Ebd., S. 66.

  8. 8

    Vgl. Martin Illi: »Das Oberhauserriet – Die Geschichte einer Landschaft«, in: Gesellschaft zürcherischer Geschichtsfreunde (Hg.): Zürcher Taschenbuch 1990. Neue Folge Hundertundzehnter Jahrgang, Zürich: Buchdruckerei an der Sihl AG (1989), S. 48–72, hier S. 64.

  9. 9

    Druck & Verlag Theophil Maag (Hg.): Opfikon, Glattbrugg, Oberhausen Einst und Jetzt, Glattbrugg: Maag (1969), S. 34.

  10. 10

    Vgl. Fritz Boesch: »Das Projekt der Glatt-Vertiefung«, in: Schweizerische Bauzeitung 109/110 (1937), S. 254–256, hier S. 254.

  11. 11

    »Glattkorrektion«, Kantonsratsprotokoll vom 29.01.1931, Staatsarchiv des Kantons Zürich, StAZH MM 3.45 RRB 1931/0235.

  12. 12

    Flughafen Zürich: »Wasser & Boden. Broschüre Gewässerschutz«, https://www.flughafen-zuerich.ch/unternehmen/laerm-politik-und-umwelt/wasser-und-boden (2011), S. 9.

  13. 13

    »Kläranlage Taubenried«, Sitzungsprotokolle von 1948–1956, Staatsarchiv des Kantons Zürich, StAZH V V 63.3.1.

  14. 14

    Ebd; Alle Zitate in diesem Absatz: ebd.

  15. 15

    »Wasser in Gefahr« (o.V.), in Neue Zürcher Zeitung (25.05.1952), S. 16a.

  16. 16

    Vgl. »Beschluss des Kantonsrates über die Bewilligung eines Kredites für den Anschluss des Flughafens Zürich an eine gemeinsame Abwasserreinigungsanlage Kloten/Opfikon«, Kantonsratsprotokoll vom 07.10.1957, Staatsarchiv des Kantons Zürich, StAZH MM 24.69 KRP 1957/082/0702.

  17. 17

    Vgl. »Beschluss des Kantonsrates über die Bewilligung eines Kredits für die Durchführung von Wiederbelebungsmassnahmen (Revitalisierung) an öffentlichen Fliessgewässern«, Kantonsratsprotokoll vom 23.10.1989, Staatsarchiv des Kantons Zürich, StAZH MM 24.126 KRP 1989/128/0006.

  18. 18

    Ebd.

  19. 19

    »Interpellation Albert Hürlimann - Regensberg vom 23. Februar 1959 über die Verschmutzung der Glatt«, Kantonsratsprotokoll vom 25.05.1959, Staatsarchiv des Kantons Zürich, StAZH MM 24.71 KRP 1959/003/0041.

  20. 20

    »Interpellation Dr. Walter Diggelmann - Zürich vom 7. September 1964 über die Aufklärung in der Volksschule über den Gewässerschutz«, Kantonsratsprotokoll vom 01.02.1965, Staatsarchiv des Kantons Zürich, StAZH MM 24.75 KRP 1965/066/0461.

  21. 21

    »Interpellation Dr. Ullin Streiff - Wetzikon vom 22. Januar 1973 über die Verschmutzung des Greifensees und des Pfäffikersees«, Kantonsratsprotokoll vom 26.03.1973, Staatsarchiv des Kantons Zürich, StAZH MM 24.85 KRP 1973/104/0732.

  22. 22

    »Postulat Armin Schneebeli (LdU, Winterthur) vom 15. Juni 1981 betreffend die offene Führung von Flüssen und Bächen«, Kantonsratsprotokoll vom 28.09.1981, Staatsarchiv des Kantons Zürich, StAZH MM 24.105 KRP 1981/131/0013.

  23. 23
  24. 24

    Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft: »Bundesgesetz über den Schutz der Gewässer. (Gewässerschutzgesetz, GSchG), vom 24.01.1991 (Stand am 01.01.2017)«, https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19910022/index.html (2017). Der Begriff der »Wiederbelebung« kommt im Gewässerschutzgesetz nicht mehr vor.

  25. 25

    Christian Göldi: »Die Wiederbelebung von Fliessgewässern im Kanton Zürich«, in: Vermessung, Photogrammetrie, Kulturtechnik 88/4 (1990), S. 199.

  26. 26

    Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft: »Bundesgesetz über den Schutz der Gewässer. (Gewässerschutzgesetz, GSchG), vom 24.01.1991 (Stand am 01.01.2017)«, https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19910022/index.html (2017), Art. 38a.

  27. 27

    Kanton Zürich: »Revitalisierung von Zürcher Gewässern«, https://www.youtube.com/watch?v=f_neJQOEJCA (2015).

  28. 28

    Vgl. ebd., entsprechende Aussage ab Minute 2:44.

  29. 29
  30. 30

    Bundesamt für Umwelt BAFU: »Warum brauchen die Gewässer Raum?«, https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/wasser/dossiers/warum-brauchen-die-gewaesser-raum.html (2017).

  31. 31
  32. 32

    Bundesamt für Umwelt BAFU: »Warum brauchen die Gewässer Raum?«, https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/wasser/dossiers/warum-brauchen-die-gewaesser-raum.html (2017).

  33. 33

    Vgl. Baudirektion Kanton Zürich, AWEL Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft, Abteilung Wasserbau, Flussbau AG: »Glatt. Festlegung Gewässerraum. Teilbereich Flughafen«, http://www.gewaesserraum.ch/login/?redirect_to=http://www.gewaesserraum.ch (2013).

  34. 34

    Ebd., S. 23.

  35. 35

    Ebd., S. 6.

  36. 36

    Ebd., S. 24.

  37. 37

    »It cannot be allowed to flow as its own needs dictate. All restoration projects will therefore have to take place within the interstices of these interlocking human needs.« Vgl. Mark Cioc: The Rhine. An Eco-Biography, 1815–2000, London: University of Washington Press (2002), S. 205.

  38. 38

    So der Vorschlag von Martin Seel: »Anerkennende Erkenntnis. Eine normative Theorie des Gebrauchs von Begriffen«, in: Adornos Philosophie der Kontemplation, Frankfurt am Main: Suhrkamp (2004), S. 60.