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Flughafen Kloten: Anatomie eines komplizierten Ortes
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Benedikt Meyer

Das lange Leben der Unterwalden

Nicht nur Flughäfen, auch Flugzeuge haben eine Geschichte. Die wechselvolle Biographie der DC-4 »Unterwalden« ist eng mit dem Zürcher Flughafen verbunden.

Rostig war sie und kaputt noch dazu. Holpernd und knatternd schob sich die »Unterwalden« über die Startbahn. Ein Propeller stand still, die drei anderen drehten sich immer schneller, immer lauter und die DC-4 gewann langsam an Fahrt. Etwas schief hob sie schliesslich ab. Mühsam gewann sie an Höhe und bald darauf verschwand Zürich-Kloten hinter ihr. Es wurde der zweitletzte Flug der alten Maschine.

Technische Artefakte erhalten viel Aufmerksamkeit – solange sie neu sind. Dabei lohnt es sich, den Blick auf ihr ganzes »Leben« zu erweitern. Die Biografie der DC-4 »Unterwalden« zeigt das besonders gut. Sie wurde vom Militärtransporter zur High-Tech-Maschine in Diensten renommierter Airlines. Dann ging sie an einen Charter-Anbieter, wurde zum Frachtflugzeug und schliesslich zur Transportmaschine in Südafrika. Dabei war die »Unterwalden« eng mit dem Flughafen Kloten verbunden. Hier wurde sie von den Zuschauerterrassen aus bestaunt, hier rückte sie mit zunehmendem Alter in den Hintergrund, hier startete sie im Mai 1988 zum zweitletzten Mal.

Flughäfen geben sich gerne als Orte von geradezu steriler Modernität. Dass hier ziemlich viel alte Technik herumfliegt, zeigt das Beispiel der DC-4 »Unterwalden«.

Abb. 1: Bestaunt und bewundert: Die »Unterwalden« vor der Besucherterrasse des Flughafens Kloten, 1953.

Anfänge

Die Geschichte der »Unterwalden« begann am 16. März 1945. Unter dem nicht sehr poetischen Namen USAF 44-9063 rollte die Maschine aus einem Produktionshangar der Douglas Aircraft Company. Eine C-54, ein Militärtransporter. Vermutlich beförderte sie in den letzten Kriegswochen noch Truppen und Material nach Europa – und im Sommer 1945 zurück in die USA. Dann hatte die Air Force keine Verwendung mehr für sie.1 Douglas kaufte die C-54 deshalb von der Armee zurück, baute sie zum Verkehrsflugzeug vom Typ DC-4 um und verkaufte sie im Februar 1946 an Pan American Airways. Sie wurde blau und weiss bemalt, erhielt die Kennung N88887 und den Namen »Clipper Monsoon«. Den berühmten Pan Am-Globus trug sie allerdings nie – er wurde erst neun Jahre später erfunden. Die DC-4 war ein Lastesel, ein Arbeitsgerät – und ein luftfahrthistorischer Meilenstein. Sie war das erste Flugzeug aus den Werkhallen von Douglas, das eine einfache Röhrenform aufwies. Die erste Maschine mit einziehbarem Fahrwerk, Tanks in den Flügeln und integrierter Bordküche. Dort wurde zwar nicht gekocht, sondern bloss aufgewärmt – aber immerhin.2

Die DC-4 war deutlich grösser als ihre Vorgängermodelle. So gross, dass erstmals ein bordinternes Telefon eingebaut wurde. Und so gross, dass zwei Piloten, ein Funker, ein Navigator, ein Bordingenieur und zwei bis drei Stewardessen benötigt wurden, um die Maschine zu fliegen und die 55 Passagiere zu betreuen. Die Reisegeschwindigkeit betrug 340 km/h und neue Instrumente3 erleichterten die Landung unter erschwerten Bedingungen.4 Allerdings brauchte die DC-4 dafür auch eine deutlich längere Piste als ihre Vorgängermodelle. Die Genfer Landebahn war bereits während des Krieges verlängert worden, in Basel wurde der Flugplatz Sternenfeld deswegen aufgegeben und in Zürich wurde bei Kloten ein komplett neuer Flughafen gebaut.5 Dieser war nicht bloss eine Verkehrsdrehscheibe, sondern eine Publikumsattraktion. Reiseunternehmen boten Ausflüge zum Flughafen Kloten an; die Zahl der Besucher*innen überstieg jene der Reisenden deutlich. Nirgendwo sonst liess sich der Geruch des Fortschritts und der Duft der weiten Welt so intensiv einatmen wie am neuen Flughafen, wo Maschinen aus der halben Welt eintrafen.6

Ob zu jener Zeit auch die »Clipper Monsoon« schon einmal in Kloten landete, ist nicht bekannt. Pan Am verfügte über 22 DC-4 und flog von den USA rund um den Globus. Die spätere »Unterwalden« könnte deshalb auch Honolulu, Beirut oder Manila angeflogen haben. Am wahrscheinlichsten ist aber, dass sie entweder zwischen Nord- und Südamerika im Einsatz war oder zwischen den USA und Europa. Dort landete die DC-4 schliesslich in den Diensten der Swissair.

Abb. 2: Hauptsache frische Kirschen: Die Bordküche einer DC-4 der Swissair, 1947.

Die Swissair und die DC-4

Die Schweizer Nationalfluggesellschaft hatte ihre erste DC-4 im Juni 1946 gekauft: vier Maschinen, die sie auf die Namen Genève, Zürich, Basel und Luzern taufte. Zu sagen, die Swissair habe zur DC-4 ein gespaltenes Verhältnis gehabt, wäre beschönigend: Die Airline verband eine tiefe Hassliebe mit dem Modell. Schuld daran waren unter anderem die Bundesbehörden. Diese hatten die Fluggesellschaft regelrecht dazu genötigt, Maschinen für den Transatlantikverkehr zu kaufen. Die Swissair lenkte erst nach monatelangem Kräftemessen ein, setzte ihre DC-4 dann aber primär auf Kurz- und Mittelstrecken ein.7 Der Kauf war umstritten: Die Technik entwickelte sich rasant und das Modell war bereits nicht mehr besonders modern.

Hintergrund des Streits zwischen Airline und Bund waren unterschiedliche Horizonte. Denn während Transatlantikflüge volkswirtschaftlich sinnvoll waren, brachten sie betriebswirtschaftlich anfänglich Verluste ein. Der Swissair-Verwaltungsrat scheute die Defizite. Und so führte die Fluggesellschaft die ersten Testflüge erst durch, nachdem die öffentliche Hand 30.6 Prozent ihrer Aktien erworben hatte.8 Am frühen Morgen des 2. Mai 1947 berichtete schliesslich ein hörbar ergriffener Radioreporter vom Start der »Basel« vom Flughafen Genf.9 Die Maschine flog über Shannon und Neufundland nach Washington (der eigentliche Zielflughafen New York konnte wegen Nebels nicht angeflogen werden). In den Medien wurde dazu eine Fotomontage verbreitet, welche fälschlicherweise die »Genf« über Manhattan zeigt.

Abb. 3: Fotomontage der HB-ILA über New York, 1947.

Zwei Jahre später nahm die Swissair regelmässige Verbindungen in die USA auf. Die Freude war getrübt, denn die DC-4 waren nur noch beschränkt konkurrenzfähig. Neue Maschinen waren schneller und verfügten über sogenannte Druckkabinen, die es erlaubten, in den ruhigeren, höheren Luftschichten zu fliegen. Anders gesagt: Die Swissair-Passagiere waren länger unterwegs und wurden stärker durchgeschüttelt als die Kunden der Konkurrenz. Es überrascht deshalb wenig, dass die Swissair mit ihren DC-4 relativ wenig Werbung betrieb. Auf einem Plakat von Herbert Leupin wurde die DC-4 sogar durch eine DC-6B ersetzt, nachdem die Swissair 1950 modernere Maschinen erhalten hatte. All ihren Mängeln zum Trotz: Die DC-4 bereitete dem Transatlantikverkehr den Weg und schrieb auch 1948 erneut Geschichte. Als die Sowjetunion Westberlin isolierte, versorgten alte Air Force-Maschinen die Stadt aus der Luft. Die »Rosinenbomber« der Berliner Luftbrücke markierten damit auch den Imagewandel des Flugzeugs von der Todesmaschine zum humanitären Instrument.10

Wie die »Unterwalden« in die Schweiz kam

Die spätere »Unterwalden« war daran nicht beteiligt. Sie flog 1948 immer noch für Pan American. Ihre späteren Schwestern »Luzern«, »Basel«, »Zürich« und »Genf« waren derweil für die Swissair in Europa, Nahost und über dem Atlantik unterwegs – bis zwei von ihnen verunglückten. Im Dezember 1950 touchierte die »Zürich« im Landeanflug auf Sydney (Kanada) mehrere Signalmasten, woraufhin Feuer ausbrach. Dieses konnte zunächst kontrolliert, die Maschine gelandet und die Passagiere in Sicherheit gebracht werden. Dann aber brannte das Wrack völlig aus. Ein Jahr und einen Tag später landete die »Luzern« im Nebel von Amsterdam dreihundert Meter vor der Piste. Es gab keine Verletzten, aber die Maschine war nicht reparierbar.11 Damit fehlten bei der Swissair Kapazitäten und so entschied man sich 1952, nochmals eine DC-4 zuzukaufen. Die Wahl fiel auf die »Clipper Monsoon« von Pan American. Oder wie von nun an heissen sollte: die »Unterwalden«. Kurz nach ihrem Start bei der Swissair rutschte die Maschine auf einem Schulungsflug über die Klotener Piste; das Bugrad knickte weg. Ansonsten versah sie ihren Dienst ohne nennenswerte Probleme.

Abb. 4: Rosinenbomber im Anflug auf Berlin-Tempelhof, 1948.

In die USA flog die »Unterwalden« wohl nur noch für Frachtflüge. Ansonsten war sie in Europa sowie im Nahen Osten im Einsatz, wo die Swissair ihr Angebot gerade kräftig ausbaute. Sporadisch zählte wohl auch Südostasien zu ihren Zielen. Sicher ist: Flüge nach Süden oder Südosten waren für die Reisenden unangenehm. Flog die »Unterwalden« über die Alpen, mussten ihnen in der dünnen Höhenluft Sauerstoffmasken gereicht werden. Reisende, die diese nicht tragen wollten, wurden mitunter ohnmächtig.12 Solche Erfahrungen wollte die Swissair ihren Reisenden immer weniger zumuten. Sie setzte die »Unterwalden« deshalb mit der Zeit zusehends für Frachtflüge ein. Im Swissair-Bildarchiv finden sich Fotografien, welche sie beim Verladen von Verpackungsmaschinen, Musikinstrumenten, Gepäck, Post oder Stückgut zeigen. Aber auch als Frachtflugzeug lief die Zeit der »Unterwalden« bei der Swissair gegen Ende der fünfziger Jahre langsam ab.

Die »Unterwalden« bei der Balair

Der Schweizer Luftverkehr konzentrierte sich seit dem Zweiten Weltkrieg immer stärker auf Zürich und Genf. Bern hatte den Anschluss de facto verloren, Basel drohte dasselbe Schicksal. Einen Ausweg sahen die Behörden im Charterverkehr, weshalb sie 1953 die »Balair« aus der Taufe hoben. Diese führte ab 1957 in Kooperation mit Reisebüros Bedarfsflüge durch, vor allem nach England und an die Badedestinationen des Mittelmeers. Die Balair hielt Basel aviatisch am Leben – und dafür mitverantwortlich war die »Unterwalden«.13

Als die Swissair 1959 vierzig Prozent der Balair-Aktien übernahm, bezahlte sie diese mit ihren letzten beiden DC-4: der »Unterwalden« und der »Genève«. Letztere zerschellte allerdings bereits ein Jahr später auf einem Ferienflug an einer sudanesischen Bergflanke. (Die letzte der vier Swissair-Schwestern, die »Basel«, war 1958 an die Syrian Air verkauft worden, schlitterte 1960 in den Kongo und versank.)14

Auch die »Unterwalden« war 1960 im Kongo im unterwegs. Dort hatte der Rückzug der belgischen Kolonialherren ein Machtvakuum hinterlassen. In der Folge war zwischen verschiedenen Parteien ein Bürgerkrieg ausgebrochen. Die politisch-historischen Hintergründe waren kompliziert, die humanitären Folgen hingegen einfach: unnötiges Leiden der Zivilbevölkerung. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) bat verschiedene Airlines um Unterstützung und die Balair schickte die »Unterwalden« und weitere Flugzeuge nach Afrika. Dort waren die Maschinen elf Stunden täglich im Einsatz und transportierten Mais, Kartoffeln, Stockfisch und andere Hilfsgüter.

Die Balair wurde später mit vielen weiteren humanitären Einsätzen beauftragt. So auch 1967 nach dem israelisch-arabischen Sechstagekrieg. Nachdem sich Israel und Ägypten auf einen Gefangenenaustausch verständigt hatten, starteten die »Unterwalden« und eine andere Maschine immer zeitgleich in Kairo und Tel Aviv, bis 850 Ägypter und achtzig Israeli wieder zuhause waren.15

Abb. 5: Die »Unterwalden« nach einem Startunfall in Kloten, 1952.

Die allermeisten Einsätze der »Unterwalden« waren indes deutlich profanerer Natur. Im Sommer bestand ihre Hauptaufgabe darin, Schweizer*innen ans Mittelmeer zu bringen. Über Weihnachten und die Ostertage brachte sie Gastarbeiter*innen in ihre spanische oder italienische Heimat. Sie beförderte Pilger nach Lourdes, Rom, Jerusalem oder Mekka, brachte Sportfans zu ihren Events und Wirtschaftskapitäne an Industriemessen. Hinzu kamen Frachttransporte, Sonderflüge sowie vermutlich auch Goldtransporte von Südafrika in die Schweiz.16 Mit wachsendem Erfolg flog die Balair immer öfter ab Zürich, die »Unterwalden« kehrte also nach Kloten zurück. Seit sie den Balair-Schriftzug trug, war die DC-4 auch wieder besser ausgelastet. Die Chartergesellschaft verkaufte ihre Plätze en bloc an Reisebüros und konnte so deutlich günstigere Tickets anbieten als die Linienfluggesellschaft, der sie zu vierzig Prozent gehörte. Bei der Swissair sorgte das für Irritation. Die Tochtergesellschaft bediente mit alten Flugzeugen teilweise dieselben Linien wie die Swissair mit ihren brandneuen Jets. Zwar war ein Flug mit der »Unterwalden« relativ langsam und unbequem, er war aber auch vergleichsweise billig. Die Balair setzte ihre Muttergesellschaft so erheblich unter Druck.17

Für den Technikhistoriker David Edgerton entsprechen solche Konflikte einem gängigen Muster. Statt zu verschwinden, entfalten alte Technologien oft ein ungeahnt langes Leben und überraschende Effekte. Die alten Maschinen der Charter-Gesellschaften waren wesentlich dafür verantwortlich, dass die Flugpreise allgemein sanken. Sie waren es, welche die Flugreise zum Massenprodukt machten.18 Die »Unterwalden« zog in Kloten zwar keine Besuchermassen mehr an, leistete aber weiterhin verlässliche Dienste und ist daher ein typisches Beispiel für die Beständigkeit »veralteter« Technologien. Es ist zu vermuten, dass auch im »Jet Age« der sechziger Jahre mehr Menschen ihren ersten Flug mit einer Propeller- als mit einer Düsenmaschine erlebten.

Abb. 6: Wartungsbedürftig: Nach einem Einsatz fürs Rote Kreuz wird die »Unterwalden« abgelaugt und revidiert, 1964.

Einen besonderen Auftritt hatte die »Unterwalden« 1964: Sie wurde zum Filmstar. Der Süddeutsche Rundfunk (SDR) drehte in München und Basel den ersten deutschsprachigen Flugzeugfilm Flug in Gefahr. Darin setzte eine Lebensmittelvergiftung beide Piloten ausser Gefecht, weshalb ein Passagier die Maschine landen musste. Zwar spielte das Ganze in Kanada, die Kennung HB-ILU der »Unterwalden« war aber mehrfach sichtbar.19

Ab 1968 wurde die DC-4 nicht mehr für Personentransporte verwendet. Flüge ohne Druckkabine konnten inzwischen auch Charter-Passagieren nicht mehr zugemutet werden und so lief die Zeit der »Unterwalden« bei der Balair ab. Zu alt, zu klein, zu langsam, zu ineffizient: 1969 wurde sie an die irische Aer Turas verkauft.

Irisch, norwegisch und weg vom Radar

Aer Turas war auf Frachtflüge spezialisiert. Für solche verwendete sie auch die zur »City of Galway«20 umbenannte »Unterwalden«. Wo diese überall im Einsatz war, ist nicht bekannt. Sicher ist hingegen, dass die Maschine 1972 an eine norwegische Firma weiterverkauft wurde, die sie für einige Monate dem Norwegischen Roten Kreuz zur Verfügung stellte. Kurz darauf ging die DC-4 zurück an die Aer Turas, wobei sie (möglicherweise aus Steuergründen) auf dem Papier in norwegischem Besitz blieb. Bis 1977: dann war auch das irisch-norwegische Kapitel der »Unterwalden« zu Ende. In den darauffolgenden fünf Jahren wechselte die DC-4 mindestens sechsmal den Besitzer. Unter diesen finden sich Air Falcon, Transair und Globe Aero, aber auch drei Privatpersonen namens Royce Wayne McCarthy, Ludwig C. Vogel und Rebecca S. Rucclus. Wo die Maschine überall eingesetzt wurde, ist unklar. Air Falcon soll in Dubai beheimatet gewesen sein und manche Quellen behaupten, sie habe einige Zeit in Malta gestanden, aber gesichert ist das nicht. Gewiss ist hingegen, dass die Maschine wieder in amerikanischen Besitz kam. Anders ist nicht zu erklären, dass sie wieder ihre frühere Pan Am-Kennung N88887 erhielt.21Die DC-4 entfernte sich langsam von den grossen Flugplätzen und etablierten Airlines. Doch solange sie flugfähig war, gab es Dienste, die sie übernehmen konnte und Investoren, die ein Interesse an ihr hatten.

Abb. 7: Wenn der Passagier zum Kapitän wird. Still aus: »Flug in Gefahr«, 1964.

Südafrika, Liberia, Schweiz, Frankfurt

Klarer wird die Geschichte der »Unterwalden« wieder ab 1983. Inzwischen war sie eine fliegende Antiquität und ihre nächste Eigentümerin war die südafrikanische National Air Cargo. Diese gab ihr die Kennung ZS-LMH und verwendete sie für Flüge innerhalb des Landes sowie in die umliegenden Staaten. Sie könnte Maschinen transportiert haben, Ersatzteile, Medikamente, Lebensmittel, Jagdtrophäen und vielleicht auch vereinzelte Passagiere.

Die Zeit, welche die »Unterwalden« in Afrika verbrachte, zeigt, dass es verkürzt wäre, Luftfahrtgeschichte nur aus europäisch-nordamerikanischer Perspektive zu betreiben. Gerade dort, wo die Schienen spärlicher und die Strassen schlechter waren, konnten auch alte Maschinen wertvolle Dienste leisten. Ausserdem wurde hier auf Lärm und andere Emissionen weniger geachtet. Vermutlich wäre die DC-4 noch deutlich länger in Afrika unterwegs gewesen, wäre sie nicht 1987 von einem englischen Investor gekauft worden. Als dieser kurz darauf in finanzielle Nöte geriet, fand er in der Basler Speditionsfirma Danzas eine geeignete Käuferin. Diese übernahm die Maschine »halb aus Enthusiasmus, halb aus kommerziellen Überlegungen«, wie ein ehemaliger Mitarbeiter erklärt.22

Ende Mai 1987 flog die »Unterwalden« von Johannesburg via Abidjan und Sevilla an den Rhein. Weshalb sie die improvisierte Anschrift »LWA Air Cargo« und die liberianische Kennung EL-AJP erhielt, ist unklar. Tiefere Steuern oder laschere Umweltvorschriften könnten eine Rolle gespielt haben, aber das ist Spekulation. Sicher ist hingegen, dass die DC-4 nun kaum noch flog. Zwar hätte sie für Blumentransporte von Spanien und den Niederlanden nach Basel eingesetzt werden sollen, doch die Danzas verkalkulierte sich und der alten DC-4 misslang der eine oder andere Start. Belegt sind bloss noch ein Flug nach Spanien, einer nach Rotterdam und einer nach Zürich. Dort stand sie im Mai 1988 letztmals auf dem Flughafen, der vor vierzig Jahren eigens für Flugzeuge ihres Typs gebaut worden war. Inzwischen war er so gross geworden, dass die DC-4 alt, klein und aus der Zeit gefallen wirkte. Der Rost nagte an ihr, ölige Substanzen sickerten aus den Triebwerken und einer der vier Propeller drehte sich nicht mehr.23

Abb. 8: Die »Unterwalden« im Flug, 1954.

Über kurz oder lang wäre die Maschine wohl ein Fall für den Schrottplatz geworden. Dass es anders kam, lag an den amerikanischen Initianten des Luftbrückendenkmals am Frankfurter Flughafen. Diese suchten eine DC-4, fanden die »Unterwalden« und erwarben sie über ein Tauschgeschäft.24 Im Herbst 1989 machten die Basler DC-4-Enthusiasten die »Unterwalden« ein letztes Mal flugtüchtig. Soweit wie möglich zurechtgeflickt brach sie am Nachmittag des 18. September 1989 zu ihrem letzten Flug auf. Eine knappe Stunde lang glitt sie durch den Himmel über dem Rhein in Richtung Norden. Dann senkte sie sich zur finalen Landung.

Die »Unterwalden« steht heute am Frankfurter Flughafen, nicht besonders prominent auf einer Rasenfläche.25 Neben ihr Sträucher, ein paar Blumen, eine Beton-Plastik, eine DC-3, einige Sitzbänke und im Hintergrund das Flughafengelände und die Autobahn. Bemalt ist sie nun wieder ähnlich wie zu Beginn ihrer Karriere, in den Farben der amerikanischen Armee. Sie trägt überdies die zwar informative, wenn auch historisch natürlich nicht ganz korrekte Aufschrift »Rosinenbomber«.

Die »Unterwalden« war länger im Einsatz als das Modell Concorde. Sie flog vor dem Anfang und nach dem Ende des Kalten Krieges. Sie bereiste vier oder fünf Kontinente, überflog Meere, Wüsten, Dschungel und Gebirge. Und sie bewältigte eine wechselhafte Karriere: Aus dem Militärflugzeug wurde eine zivile High-Tech-Maschine. Sie ermöglichte als Charter-Flieger einem breiten Publikum weite Flugreisen, leistete humanitäre Einsätze, diente in Europa und später Südafrika als Frachtmaschine und wurde schliesslich zum Denkmal am Flughafen Frankfurt. Es wäre verkürzt – und ausserdem falsch – die Stationen der »Unterwalden« als kontinuierlichen Abstieg anzusehen. Vielmehr wurden für die neue, dann alte und schliesslich uralte Maschine immer wieder neue Verwendungszwecke erfunden. Jahr um Jahr, Jahrzehnt um Jahrzehnt leistete die Unterwalden unterschiedlich glamouröse, aber stets wertvolle Dienste. Bis sie zum Denkmal wurde, das sie heute noch ist. So gesehen ist sie noch immer im Einsatz.

Benedikt Meyer ist Spezialist für historische Reportagen.26 Seine Doktorarbeit ›Im Flug. Schweizer Airlines und ihre Passagiere, 1919–2002‹ ist im Chronos-Verlag erschienen.

Statt zu verschwinden, entfalten alte Technologien oft ein ungeahnt langes Leben und überraschende Effekte.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Unbekannt, Douglas C-54 E-5 DO DC-4, HB-ILU »Unterwalden« vor dem Tower in Zürich-Kloten, 05/1953, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR03-06149.

Abb. 2: Unbekannt, Galley einer Douglas DC-4 der Swissair, 1947, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR01-03814.

Abb. 3: Unbekannt, Douglas DC-4-1009 A, HB-ILA »Genève« im Flug über New York im ersten Jahr der Linienflüge der Swissair in die USA, 1947, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR03-03469.

Abb. 4: Unbekannt, Eine C-54 (DC-4) im Anflug auf Berlin Tempelhof, 1948, https://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Luftbr%C3%BCcke.

Abb. 5: Unbekannt, Unfall Douglas C-54 E-5 DO Douglas DC-4, HB-ILU »Unterwalden«, 09.09.1952, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR01-05839.

Abb. 6: Marcel Tschudin, Die »Unterwalden« wird abgelaugt und revidiert, Flughafen Basel-Mulhouse, Dezember 1964.

Abb. 7: Still aus: wheelspinoboom: »Flug in Gefahr, Die Mutter aller Flugzeugkatastrophenfilme, mit Hanns Lothar, kompletter Film«, 1964, https://www.youtube.com/watch?v=nAVVdg2OM34, (14.09.2011).

Abb. 8: Unbekannt, Douglas C-54 E-5 DO DC-4, HB-ILU »Unterwalden« im Flug, 01/1954, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz, LBS_SR03-06409.

Literatur
  1. 1

    Vgl. »Registration Details for HB-ILU (Swissair) C-54E-5-DO«, https://www.planelogger.com/Aircraft/Registration/HB-ILU/629635 (24.02.2018).

  2. 2

    Vgl. Juri Jaquemet: Schweizer Zivilluftfahrt 1945–2000: Flottenpolitik und Netzwerke am Beispiel der Swissair, Biel/Bienne: Eigenverlag (2012), S. 132f.

  3. 3
  4. 4

    Vgl. Juri Jaquemet: Schweizer Zivilluftfahrt 1945–2000: Flottenpolitik und Netzwerke am Beispiel der Swissair, Biel/Bienne: Eigenverlag (2012), S. 133 und 136.

  5. 5

    Vgl. Sandro Fehr: Die Erschliessung der dritten Dimension: Entstehung und Entwicklung der zivilen Luftfahrtinfrastruktur in der Schweiz, 1919–1990, Zürich: Chronos (2013), S. 94 und 118ff.

  6. 6

    Vgl. Benedikt Meyer: Im Flug: Schweizer Airlines und ihre Passagiere, 1919–2002, Zürich: Chronos (2014), S. 135f.

  7. 7

    Ebd., S. 74ff.

  8. 8

    Vgl.Benedikt Meyer: »The Rise and Fall of Swissair, 19312002«, in: Journal of Transport History 38/1 (2017), S. 88–105, S. 93.

  9. 9
  10. 10

    Vgl. Benedikt Meyer: Im Flug: Schweizer Airlines und ihre Passagiere, 1919–2002, Zürich: Chronos (2014), S. 89f.

  11. 11
  12. 12

    Vgl. Benedikt Meyer: Im Flug: Schweizer Airlines und ihre Passagiere, 1919–2002, Zürich: Chronos (2014), S. 82.

  13. 13

    Vgl. ebd., S. 124f.

  14. 14

    Vgl. »Douglas DC-4 & C-54«, http://www.sr692.com/fleet/14_dc4/index.html (24.02.2018).

  15. 15

    Vgl. Trudi von Fellenberg-Bitzi: Balair: Als Fliegen noch Fliegen war, Zürich: AS (2017), S. 93ff.

  16. 16

    Vgl. ebd., S. 81ff.

  17. 17

    Vgl. Benedikt Meyer: Im Flug: Schweizer Airlines und ihre Passagiere, 1919–2002, Zürich: Chronos (2014), S. 164f.

  18. 18

    Vgl. David Edgerton: The Shock of the Old: Technology and Global History since 1900. London: Profile (2006), S. 5ff.

  19. 19

    wheelspinoboom: »Flug in Gefahr, Die Mutter aller Flugzeugkatastrophenfilme, mit Hanns Lothar, kompletter Film«, http://www.youtube.com/watch?v=nAVVdg2OM34&t=3m20s (14.09.2011).

  20. 20
  21. 21

    Vgl. »Registration Details for HB-ILU (Swissair) C-54E-5-DO«, https://www.planelogger.com/Aircraft/Registration/HB-ILU/629635 (24.02.2018).

  22. 22

    E-Mail von Marcel Tschudin vom 12.01.2018.

  23. 23

    Fotografie von Dionys Eusebio: http://www.eusebio.ch/HB-ILU/HB_ILU.htm.

  24. 24

    E-Mail von Markus Grossbach, Fraport AG vom 02.11.2017.

  25. 25
  26. 26